Bestimmte Regionen des Weltaktienmarkts sind derzeit relativ hoch bewertet. Etwa lag das Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis für die USA zuletzt bei 32. Auch indische Aktien (36) und niederländische (35) sind sehr teuer, wie Zahlen von Barclays zeigen (Stand: 31. Januar 2024).
Das Shiller-KGV setzt den inflationsbereinigten Aktienkurs ins Verhältnis zu den inflationsbereinigten durchschnittlichen Gewinnen der vergangenen zehn Jahre. Ein Wert von 15 bis 20 gilt dabei als durchschnittlich, von 25 bis 30 als teuer und von über 30 als sehr teuer.
Auch das Kurs-Buchwert-Verhältnis und das Kurs-Gewinn-Verhältnis zeigen relativ hohe Bewertungen für US-Aktien an. Etwa liegt das KGV beim MSCI USA bei 26 und das KBV bei 4,7. Etwas niedriger sind die Bewertungen beim MSCI World (KGV: 22, KBV: 3,3) und dem MSCI ACWI IMI (KGV: 21, KBV: 2,8).
Laut Zahlen des Vermögensberaters Gerd Kommer lag das KGV des MSCI ACWI IMI historisch bei 15,2 und das KBV bei 1,9. Demnach sind globale Aktien derzeit also über 25 Prozent teurer als im historischen Mittel. Der Index bildet 99 Prozent der Aktienmärkte in knapp 50 Industrie- und Schwellenländern ab. Allerdings sind nicht alle Märkte teuer: Etwa sind deutsche Aktien eher günstig - trotz der zahlreichen Allzeithochs des DAX. Das Shiller-KGV des DAX betrug zum 31. Januar 19,5. Das KGV lag sogar bei 12,6 und das KBV gemäß Indexinformationsblatt bei 1,4.
Experten warnen vor möglicher Überbewertung
Manche Experten sehen die hohen Bewertungen kritisch. Etwa verweist der Fondsmanager Norbert Keimling von Taunus Trust auf das Shiller-KGV und das KBV. „Durch die hohe Bewertung des hochkapitalisierten US-Marktes notieren 77 Prozent des Weltaktienmarktes im klar überteuerten Bereich, nur noch 14 Prozent der globalen Marktkapitalisierung sind günstig zu haben”, erklärt er in einem Linkedin-Beitrag.
Auch der Honorar-Finanzanlagenberater Michael Ritzau betrachtet die hohe Bewertung von US-Aktien mit Skepsis. „In meinem eigenen ETF-Portfolio und in den Portfolios meiner Kunden reduziere ich die Gewichtung der USA-Aktien - einerseits aufgrund von möglichen Klumpenrisiken, andererseits aufgrund der hohen Bewertung”, erklärt der Inhaber der Südbadischen Honorarberatung im Gespräch mit den DWN.
Gleichwohl lasse sich aus einem hohen Shiller-KGV und einem hohen KBV nicht folgern, dass US-Aktien in den kommenden Jahren schlechter laufen werden als der breite Markt. „Bereits vor über fünf Jahren warnten viele vor einer USA-Überbewertung. Wer damals aus den USA raus ist, hat bis heute weniger Rendite erzielt als ein USA-Investor.”
Gerade für ETF-Anleger könnten die teuren USA-Aktien zum Problem werden. Marktkapitalisierte Indizes wie der MSCI World oder der FTSE All-World gewichten US-Titel mit 60 bis 70 Prozent. Historische Zahlen zeigen aber, dass Aktien mit hohem Shiller-KGV und KBV in den zehn Folgejahren meist unterdurchschnittlich rentierten.
Auf hohes Shiller-KGV folgt schwache Rendite
Etwa analysierte Norbert Keimling in einer Untersuchung aus dem Jahr 2016 das Shiller-KGV von 17 internationalen Aktienmärkten zwischen 1979 und 2015 sowie des S&P 500 seit 1881. Lag das Shiller-KGV unter 10, dann betrug die reale Rendite im Schnitt der folgenden zehn bis 15 Jahre 11,7 Prozent (bei einem Shiller-KGV von 10 bis 15: 8,7 Prozent).
Bei einem Shiller-KGV zwischen 25 und 30 oder über 30 rentierten Aktien hingegen in allen Ländern deutlich schwächer: Im Schnitt lagen die inflationsbereinigten Wertzuwächse noch bei 4,1 bzw. 0,5 Prozent pro Jahr.
Je höher das Shiller-KGV, desto größer war zudem der maximale Wertverlust in den folgenden drei beziehungsweise 15 Jahren. Nach einem Shiller-KGV von bis zu 10 brachen die Märkte um maximal 51 Prozent in den folgenden drei Jahren ein. Lag das Verhältnis über 30, betrugen die Verluste schlimmstenfalls 77 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigte sich beim KBV in puncto Rendite und maximaler Wertverlust.
„Das Shiller-KGV hat seit 1881 langfristige Renditen des S&P 500 für Zeiträume von über zehn Jahren recht zuverlässig prognostiziert”, erklärt Kleinling daher in der Studie. Das gelte zudem auch für 16 andere Länder. Kleinling rechnete daher im Jahr 2016 mit einer geringeren Rendite bei US-Aktien über die kommenden zehn bis 15 Jahre als bei Aktien aus anderen Weltregionen.
Der Vermögensverwalter Vanguard erwartet ebenfalls niedrige US-Renditen in den kommenden zehn Jahren. Laut einer Analyse von Mitte Februar soll die Nominalrendite von US-Growth-Aktien nur bei 0,9 bis 2,9 Prozent pro Jahr liegen. Für den gesamten US-Aktienmarkt liegt sie höher (3,7 bis 5,7 Prozent). Besser rentieren sollen die Schwellenländer (6,1 bis 8,1 Prozent) und alle Industrieländer ohne die USA (6,9 bis 8,9 Prozent). Die Forscher verwendeten ein Wahrscheinlichkeitsverfahren, bei dem sie 10.000 mögliche Zukunftsszenarien auf Basis von historischen Kapitalmarktdaten auswerteten.
“Wir wissen erst im Nachhinein, ob der Markt überbewertet ist”
Andere Experten warnen hingegen vor einer starken Fokussierung auf das Shiller-KGV. Etwa sind laut dem US-Finanzökonomen Larry Swedroe buchhalterische Vorschriften in den USA geändert worden, wodurch Unternehmensgewinne seit Anfang der 2000er-Jahre höher ausgewiesen würden. Das würde das Shiller-KGV um schätzungsweise vier Punkte erhöhen.
Außerdem würden Unternehmen heutzutage anteilig weniger Dividenden ausschütten und mehr investieren, was die Gewinne stärker wachsen lasse. Auch das verzerre das Shiller-KGV um einen Punkt nach oben.
Swedroe hält selbst extrem hohe KGVs für möglich. „Wenn wir niedrigere kurzfristige Zinsen mit einem weiteren Rückgang der Erwartungen an die Risiken von Aktieninvestitionen kombinieren, könnte das zu KGVs von 40 bis 50 führen”, schreibt er im Buch “What Wall Street doesn’t want you to know”. Das Shiller-KGV eigne sich letztlich nicht als Timing-Werkzeug. „Wir wissen erst im Nachhinein, ob der Markt unter- oder überbewertet ist.”
Auch Michael Ritzau warnt vor Market-Timing, also dem Kaufen und Verkaufen von Wertpapieren auf Basis von Markterwartungen und Prognosen. „Historisch gesehen war es manchmal auch so, dass hoch bewertete Aktienmärkte dennoch jahrelang weiter haussierten”, erklärt er. Die künftige Marktentwicklung lasse sich nicht seriös voraussagen. Wer vorzeitig aussteige, verpasse womöglich einen Großteil der Zugewinne.
Wie können Anleger reagieren?
Neueinsteiger in den Aktienmarkt können einen Mittelweg einschlagen: Sie können den Anteil der USA verringern und etwa Schwellenländer oder Europa höher gewichten. So kaufen sie nicht bloß günstigere Aktien, sondern reduzieren auch das Klumpenrisiko bei den USA und den Tech-Werten.
Michael Ritzau rät davon ab, in Branchen-ETFs, Länder-ETFs oder Kleinregionen-ETFs zu investieren. „Ich würde keinen Südasien-ETF kaufen, um das Bewertungsniveau zu senken”, sagt er. Besser sei es, breit diversifizierte ETFs für Europa oder die Schwellenländer beizumischen. Europäische Aktien machen bei den großen Indexanbietern MSCI und FTSE knapp 20 Prozent des globalen Börsenwerts aus, Schwellenländer rund 10 Prozent.
Etwa könnte ein Weltaktienportfolio aus 60 Prozent MSCI World, 20 Prozent MSCI Emerging Markets und 20 Prozent MSCI Europe bestehen. Hier würde das KGV volumengewichtet bei 19,0 liegen (MSCI World: 21,7) und das KBV bei 2,7 (MSCI World: 3,3). Außerdem wäre das Gewicht der USA unter 50 Prozent und keine Einzelaktie hätte mehr als 2,8 Prozent Gewicht (Apple im MSCI World: 4,6 Prozent). Bei einem Portfolio aus 50 Prozent MSCI World und je 25 Prozent Europa und Schwellenländer liegen KGV und KBV um 15 Prozent bzw. 21 Prozent tiefer als beim MSCI World (18,4 bzw. 2,6).
Ein Weltportfolio aus zwei ETFs könnte aus 70 Prozent MSCI ACWI IMI und 30 Prozent MSCI Europe bestehen. Hier wären das KGV und das KBV um 12 bzw. 21 Prozent geringer (19,1 bzw. 2,6).