Immobilien

Deutschlands herrenlose Häuser: Eine Chance für den Markt?

Lesezeit: 4 min
27.04.2024 08:51
Herrenlose Immobilien - ein kurioses Phänomen in Deutschland. Es handelt sich hier um Gebäude oder Grundstücke, die keinen nachweisbaren Eigentümer haben. Wie geht man damit um? Sind herrenlose Immobilien eine Chance für pfiffige Immobilienkäufer? 
Deutschlands herrenlose Häuser: Eine Chance für den Markt?
Viele herrenlose Häuser könnten Problem für Dörfer und Gemeinden werden (Foto: iStock/Alan_P).
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Nachdem der vermeintliche Leerstand von etwa 1,8 Millionen Wohnungen in Deutschland in den Medien Wellen gemacht hat, ist ein peripheres, ähnlich kurioses Phänomen sichtbar geworden: Herrenlose Immobilien. Diese Gebäude und/oder Grundstücke haben keinen nachweisbaren Eigentümer. Alleine in Rheinland-Pfalz gibt es sage und schreibe 1200 solcher Immobilien. Aber wie ist das möglich? Und: Sind herrenlose Immobilien eine Chance für pfiffige Immobilienkäufer?

Was sind herrenlose Immobilien?

Es mag bizarr klingen, aber Immobilien und Grundstücke in Deutschland brauchen nicht zwingend einen Besitzer. Gemäß §928 Abschnitt 1 des BGB kann man sich aus dem Grundbuch streichen lassen und verwirkt so Verantwortung und Vorteil der Immobilie. Die Immobilie geht gemäß § 928 Abschnitt 2 an das jeweilige Bundesland über. Das Bundesland hat zwar ein Zugriffsrecht, das Nutzrecht kann jedoch auch von Dritten ergriffen werden. Da Steuergelder diesen Non-Besitz mitfinanzieren, ist das Bundesland hochmotiviert, die Immobilie wieder loszuwerden.

Die Grundstücksbelastung wird von der Herrenlosigkeit nicht verändert. Besteht zum Beispiel eine Hypothek oder Reallast auf der Immobilie, bleibt diese existent und wird an den nächsten Besitzer weitergegeben. Der Staat, als Aneigner statt Besitzer, erbt weder Rechte noch Pflichten an der Immobilie. So muss sich das Bundesland auch nicht um die Instandsetzung oder Verkehrssicherheitspflicht der Immobilie kümmern. Je länger die Immobilie in dem Sinne brach liegt, desto höher also die Chance, dass ihr Wert völlig verfällt.

Inmitten von Immobilienboom und Wohnungskrise stellt sich so mancher die Frage, wie Herrenlosigkeit überhaupt möglich sein kann. Die Gründe sind jedoch banaler Natur: Vor allem in den neuen Bundesländern gibt es eine Zahl an herrenlosen Gebäuden, so der Deutsche Städte- und Gemeindebund. Aufgrund von fehlenden Infrastrukturen und Jobchancen finden sich dort regelmäßig aufgegebene Immobilien. Auch Immobilien, die als Erbe gedacht waren, aber keinen Interessenten finden, fallen oft unter die Kategorie der Herrenlosigkeit. Vielleicht gibt es keinen rechtlich definierten Erben, vielleicht schlägt dieser das Erbe aber auch aus. Das nennt man dann eine Fiskalerbschaft, welche ebenfalls an das Bundesland übertragen wird. Zur Fiskalerbschaft gehören neben klassischen Immobilien und Wohngrundstücken auch Waldstücke, Schrottplätze und Hotels.

Eine Immobilie zu besitzen muss sich lohnen - entweder durch den Verkauf oder durch eine Amortisation von Miete. Im Fall der meisten herrenlosen Immobilien ist das schlichtweg nicht möglich – und so gewinnen sie ihren verlassenen Status.

Legalität und Rahmenbedingungen

Stern-Autor Gernot Kramper beschreibt den Prozess, sich ein herrenloses Haus zu eigen zu machen, plakativ als „einfach aufs Amt gehen, eine Unterschrift und schon ist man Hausbesitzer. Ohne einen Euro zu bezahlen“. Ganz so einfach ist es dann doch nicht.

Experten raten zu Vorsicht bei der Übernahme von herrenlosen Häusern. Es gibt typischerweise einen Grund, wieso Immobilienbesitzer diese einfach verlassen. Über fehlende Infrastrukturen hinaus könnte die Immobilie stark baufällig sein. Insbesondere im Hinblick auf Heizungsgesetz und Co. ist zu erwarten, dass verlassene Immobilien weitreichenden Sanierungsbedarf haben. Das kann sich dennoch finanziell lohnen; doch Interessierte müssen dringend in Erfahrung bringen, wieso die Immobilie verlassen ist, bevor sie sich eine wortwörtliche Bruchbude aufhalsen.

Ist man sich der Risiken bewusst, gibt es mehrere Wege, um fündig zu werden. Der erste Schritt ist es, sich bei der Gemeinde über herrenlose Häuser zu informieren. Diese besitzen in der Regel eine Liste aller verfügbaren Immobilien. Portale wie Immonet und Immobilienscout sind ebenfalls bewährte Anlaufstellen für Schnäppchen.

In der Regel muss das Grundbuch geprüft werden. Ist man an einer Aneignung interessiert, hat man laut §12 der Grundbuchordnung ein Recht zur Einsicht. Wer seine Immobilie aufgibt, deklariert dies dort.

Kostenlos ist dieser Prozess schon aus bürokratischer Sicht nicht. Alleine die Neu-Eintragung in das Grundbuch ist mit Kosten verbunden. Darüber hinaus empfehlen Experten die Prüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen des Erwerbs, welche sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden können.

Darüber hinaus können herrenlose Immobilien auch auf Basis des Ersitzungsrechts (§937) in Besitz genommen werden. Dieser Paragraph besagt, dass eine Person, welche eine Immobilie oder ein Grundstück ununterbrochen und „in gutem Glauben ohne gewaltsamen Besitzerwerb“ für mindestens 10 Jahre besitzt, dieses Eigentum auch erwerben kann.

Über Kosten für Sanierungen hinaus sollte auch der Faktor Haftung in Betracht gezogen werden. Da der Staat keine Verkehrssicherungspflicht im Falle der Herrenlosigkeit besitzt, wird diese Pflicht auf den neuen Besitzer übertragen. Bis die Immobilie offiziell an einen neuen Besitzer weitergegeben ist, haftet der originale Eigentümer für einen begrenzten Zeitraum weiter, auch nach der Abtretung. Der Besitzer – alt und neu – muss aber laut §1004 nur für eine herrenlose Immobilie haften, wenn er von den Schäden wusste oder „zumutbare“ Abhilfemaßnahmen im Raum stehen. Bestehen aktive Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit durch die Immobilie, wird auch das Ordnungsamt aktiv und ergreift gegebenenfalls Maßnahmen auf Kosten des Besitzers.

Lohnt sich der Kauf?

Die Preisexplosion auf dem Immobilienmarkt ist seit vielen Jahr ein Thema für interessierte Immobilienkäufer, vor allem der jüngeren Generation. Herrenlose sowie leerstehende Immobilien zeigen die Kehrseite der Medaille. Außerhalb von beliebten Ballungsgebieten fallen die Immobilienpreise auf teilweise lächerlich niedrige Preise. Im Bundesland Sachsen kann man auf der Immobilienseite Immonet etwa 500 Häuser für unter 50.000 EUR kaufen. Die Damen und Herren aus München und Umgebung schlucken bei solchen Preisen sicher. Es klingt wie ein Traum und muss auch als solcher verstanden werden. Die 50.000 EUR sind lediglich eine Anzahlung – auf den glücklichen Käufer kommen horrende Sanierungskosten zu.

Man muss stets wiederholen: Weder Immobilienbesitzer noch das Bundesland würde eine „gesunde“ Immobilie als herrenlos hergeben. Ob sich der Kauf lohnt, ist eine absolut individuelle Rechnung. Eine umfangreiche Sanierung kostet in München genau so viel wie in Schönberg. Es ist Vorsicht geboten. Der große Unterschied ist, wie hoch der Immobilienwert pro Standort ist. Es kann sich eventuell lohnen, die Immobilie für das Grundstück zu kaufen und das Gebäude darauf abzureißen. Aber auch das unterliegt exakten Berechnungen von Kosten versus Nutzen.

Herrenlos no more?

Am Immobilienmarkt gilt die altbekannte Regel: Wenn es zu schön ist, um wahr zu sein, liegt wohl etwas im Argen. Herrenlose Immobilien sind das, was man aus ihnen macht. Sie können zugleich Schnäppchen und Anker sein. Wer eine Offenheit für große Sanierungen oder auch handwerkliches Geschick besitzt, kann aus einer herrenlosen Immobilie einen enormen Vorteil ziehen. Klar ist aber, dass der Kauf dieser besonderen Immobilien weitreichende Recherchen bedarf – mehr noch, als der Immobilienmarkt sowieso von seinen Käufern verlangt. Das Spektakel ist also mit Vorsicht zu genießen.


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