Für Fehlprognosen ist Russel Hardy, seines Zeichens Chef des Schweizer Rohstoffhändlers Vitol, nicht bekannt, und wenn, dann sind sie zu verschmerzen. So verhält es sich wohl auch mit seiner letztjährigen Einschätzung, das abgeschlossene Geschäftsjahr betreffend. Nach den Rekordergebnissen des Jahres 2022, welche auf die enormen Verwerfungen vor allem im Energiesektor in Folge des russischen Einmarschs in die Ukraine zurückzuführen waren, warnten er und andere vor zukünftig mageren Zeiten. Marktvolatilität, Rentabilität und Gewinnspannen würden sich normalisieren, so lautete der Konsens innerhalb der Branche und bei Beobachtern.
Weiter auf Kurs – trotz Gewinneinbruch
Was die Prognose der sinkenden Gewinne anging hatte Hardy Recht. So verringerte sich Vitols Gewinn im abgelaufenen Geschäftsjahr tatsächlich um mehr als 16 %. Von mageren Zeiten lässt sich jedoch nicht sprechen, denn mit sage und schreibe 13 Milliarden Dollar hat das Unternehmen immer noch dreimal so viel verdient wie im letzten „Normaljahr“ 2021. In den vergangenen drei Jahren hat Vitol mehr als 32 Milliarden Dollar an Nettogewinnen eingefahren und übertrumpft damit seine Konkurrenten deutlich, die aber ebenfalls sehr gute Ergebnisse erzielen konnten. Rivale Trafigura veröffentlichte 7,4 Milliarden Gewinn für sein im September endendes Geschäftsjahr, und Gunvor, ebenfalls einer der weltweit größten unabhängigen Öl- und Gashändler, verbuchte immer noch einen beachtlichen Profit von 1,25 Milliarden Dollar, wobei dessen Jahresergebnis 2023 um 47 % eingebrochen ist. Auch Glencore, einer der weltweit größten – und als einziger der Schweizer Handelshäuser börsennotierte Rohstoffkonzerne – ließ beim Gewinn kräftig Federn. Jedoch bleiben selbst nach dem 75 prozentigen Einbruch noch 4,3 Milliarden Dollar hängen.
Umfeld auch weiterhin lukrativ
Zwar sank die russlandbedingte Volatilität bei Rohöl, ausgeglichen wurde dies jedoch durch Lieferengpässe bei Ölderivaten wie Diesel und Heizöl. Zudem blieben die Gewinnspannen im Gas- und Stromhandel relativ hoch, und die Preisschwankungen während des größten Teils des letzten Jahres über den historischen Niveaus. Damit befinden sich die Unternehmen, die die Ressourcen der Welt handeln, lagern und transportieren, weiterhin in der profitabelste Periode ihrer Geschichte. Sie verfügen nun über eine riesige Kriegskasse, die es erlaubt, ihre Rolle als strategische Anbieter von Energie, Metallen und Nahrungsmitteln zu festigen, während der Westen den stotternden Übergang weg von fossilen Brennstoffen fortsetzt - deren Nachfrage weltweit allerdings weiter steigt. Entsprechend engagieren sich Vitol & Co.. So wurden bereits Ölraffinerien, Speicheranlagen, Gaskraftwerke, Tankschiffe und andere Handelsunternehmen gekauft. Darüber hinaus erhalten sie gleichzeitig umfangreiche Unterstützung von Ländern wie Italien, Deutschland, den USA und Saudi-Arabien, um die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen zu gewährleisten.
Die andere Seite der Erfolgsmedaille
Die vergangenen zwei Jahre waren für die ohnehin erfolgsverwöhnten Rohstoffhandelshäuser herausragend und die Ergebnisse auf ganz besondere Umstände zurückzuführen. Es ist jedoch ein offenes Geheimnis, dass ein beachtlicher Teil ihres Erfolges auch auf weniger lupenreine Geschäftspraktiken fußt und nicht ausschließlich auf geschickte Unternehmensführung oder ein glückliches Händchen am Handelstisch beruht. So erfordert die Jagd nach Bodenschätzen schon seit dem ersten kalifornischen Goldrausch vor über 170 Jahren sowohl Fingerspitzengefühl als auch Durchsetzungsvermögen. Die meisten leicht zugänglichen Ressourcen sind bereits erschöpft, neue finden sich oft in Ländern, in denen eine gewisse moralische Flexibilität erforderlich ist, um zum Erfolg zu kommen. Länder mit reichen Bodenschätzen wie der Kongo, der Irak oder Sambia rangieren seit Jahren auf den hinteren Plätzen des "Corruption Perception Index". Gegen andere wurden umfangreiche Sanktionen verhängt, die den Handel mit ihnen stark einschränken. Ein Insider der Rohstoffbranche, Paul Wyler, ehemaliger Top-Manager von Glencore, schilderte 2021 in einem bemerkenswerten Interview die damals gängige Praxis. Er erklärte, dass es für Schweizer Unternehmen wie Glencore bis 2002 legal und steuerlich absetzbar war, hohe "Kommissionen" zu zahlen. Diese Praxis wurde begünstigt durch Glencores Status als privates Unternehmen, bevor es 2011 an die Börse ging. Trotz des zunehmenden Drucks von Ermittlern und Aufsichtsbehörden sind Bestechung und Korruption weiterhin die größten Probleme der Rohstoffindustrie, wie aktuelle Verfahren zeigen.
Korruption bleibt großes Problem
Momentan zeigt eine Reihe von Gerichtsverfahren, in die die großen Ölhandelsfirmen verwickelt sind, dass die Korruption in der Branche unvermindert fortbesteht. Großes Aufsehen erregte jüngst der Prozess gegen eine mittlere Führungskraft der Vitol-Gruppe. Ihm drohen bis zu 30 Jahre Gefängnis, nachdem dieser im Februar schuldig befunden wurde, umfänglich Bestechungsgelder gezahlt zu haben – ein Zeuge sagte aus, dass für jeden einzelnen Auftrag der ekuadorianischen Regierung Schmiergeld gezahlt worden sei. Während des Prozesses gab ein leitender Angestellter der staatlichen Ölgesellschaft zu, Gelder angenommen zu haben und nannte Namen. Und diese Liste hatte es in sich, tauchten darauf doch unter anderem Vitol, Trafigura und Gunvor auf. Laut Zeugenaussagen befanden sich die Zielpersonen der Bestechung auf den höchsten Regierungsebenen. Vitol konnte mittlerweile eine Vereinbarung über den Aufschub der Strafverfolgung wegen Bestechung und Korruption in Südamerika treffen und hat eine Geldstrafe gezahlt.
In einem weiteren spektakulären Fall bekannte sich Konkurrent Glencore erst kürzlich schuldig, bereits wenige Tage nach der Staatsgründung des Südsudans 2011 Mitarbeiter mit fast 1 Million Dollar Bargeld in das Land geflogen zu haben, um Bestechungsgelder für zukünftige Ölgeschäfte unterzubringen. Hier dauern die Ermittlungen gegen die einzelnen Personen an. Erst 2022 zahlte das Unternehmen mehr als 1 Milliarde Dollar, nachdem es sich in den USA, in Großbritannien und in Brasilien der Bestechung und Marktmanipulation schuldig bekannt hatte. Gunvor erklärte sich erst in diesem Jahr bereit, mehr als 660 Millionen Dollar zur Beilegung von Bestechungsvorwürfen zu zahlen.
Der eidesstattlichen Erklärung einer der ehemals ranghöchsten Führungskräfte bei Trafigura zufolge flossen zwischen 2003 und 2014 fast 20 Millionen Dollar an brasilianische Offizielle, um Verträge mit dem Ölkonzern Petrobras zu sichern. Trafigura räumte ein, dass diese Schmiergeldzahlungen an höchster Stelle bekannt waren und mindestens geduldet wurden. Ende März hat sich das Unternehmen vor einem Bundesgericht in Miami mit dem US-Justizministerium auf einen Vergleich geeinigt und zahlte eine Geldstrafe in Höhe von knapp 127 Millionen Dollar. Legt man Trafiguras letztjähriges Jahresplus von 7,4 Milliarden Dollar zugrunde wäre diese Scharte in rund sechs Tagen ausgewetzt. Sechs Tage Arbeit für eine Dekade Korruption... Solange die Regierungen keine härteren Strafen verhängen, dürften die Händler Geldstrafen wohl weiterhin eher als Portokosten für ihre Geschäftstätigkeit betrachten.