Finanzen

Deutschlands Kapitalmarkt: Hemmnis für die Finanzierung der Zukunft

Lesezeit: 5 min
26.05.2024 14:00
Die heimischen Kapitalmärkte spielen als Finanzierungsquelle deutscher Unternehmen eine untergeordnete Rolle – Bankkredite dominieren weiterhin das Geschehen. Für das Gelingen der grünen Wirtschaftswende ist es jedoch unabdingbar, dass mehr Gelder über die Börsen fließen. Ein neue Studie gibt einen Überblick.
Deutschlands Kapitalmarkt: Hemmnis für die Finanzierung der Zukunft
Deutschlands Kapitalmarkt ist verbesserungswürdig. (Bild: istockphoto.com, MarianVejcik)
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Der deutsche Kapitalmarkt ist relativ klein. Zu klein, um die Energiewende und die ambitionierten Nachhaltigkeitsziele zu finanzieren. Zu diesem Ergebnis kommt der europäische Finanzmarktverband AFME in einer neuen Studie, die in Zusammenarbeit mit der Beratungsfirma zeb Consulting erstellt wurde.

AFME-Geschäftsführer Adam Farkas sieht Deutschland vor der großen Herausforderung für die Dekarbonisierung bis 2030 jährliche Finanzmittel in Höhe von rund 175 Milliarden Euro von externen Geldgebern aufzutreiben. „Es scheint klar, dass weder die öffentliche Hand noch die Banken allein in der Lage sind, diese massiven Investitionen zu finanzieren. Wenn die Bundesregierung ihre ambitionierten Pläne zum Umbau von Industrie, Gebäudebestand, Infrastruktur und Verkehr in den nächsten Jahren realisieren will, kann sie auf das große Potential von kapitalmarktfinanzierten Investitionen nicht verzichten“, führt Farkas aus.

Mit dem inzwischen überarbeiteten Klimaschutzgesetz hat sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, bis 2030 die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland um mindestens 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu reduzieren. Dafür braucht es in den nächsten Jahren massive Investitionen: Für Bahnstrecken, Hochspannungsleitungen, Wasserstoff-Pipelines, Geothermie, Solar- und Windparks und beim Wohnungsneubau sowie der Sanierung von Bestandsimmobilien.

Geringe Bedeutung der Kapitalmärkte im Länder-Vergleich

Die geringe Bedeutung der Kapitalmärkte in Deutschland zeigt sich bei einem Blick auf den Aktienmarkt. Die Marktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen Deutschlands macht im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung rund 50 Prozent aus. Das ist nicht nur im Vergleich zu den dominanten USA (rund 220 Prozent) und Großbritannien (140 Prozent) wenig, sondern auch mit Blick auf Nachbarländer wie Frankreich (über 100%). Der Börsenumsatz mit Aktien in Relation zum BIP fällt mit 39 Prozent ebenfalls sehr niedrig aus. In beiden Kategorien steht nur Italien noch schlechter da.

Problematischerweise wenden sich immer mehr deutsche Firmen von den heimischen Aktienmärkten ab. Seit 2019 ist ein steigender Anteil von Ihnen an ausländischen Aktienbörsen gelistet – insbesondere in den USA. Dabei gibt es ein klares Branchenmuster: Insbesondere Unternehmen aus innovativen und schnell wachsenden Branchen wie IT oder Biotechnologie ziehen auf ausländische Börsenplätze um.

„Das Grundproblem aus deutscher Sicht ist, dass sich mit der Börsennotierung auch der Geschäftsfokus der Firmen teilweise verschiebt. So stieg das jährliche Wachstum des Gesamtumsatzes von im Ausland gelisteten deutschen Unternehmen nach ihrem Börsengang von 7,4 Prozent auf 19,1 Prozent, während der Anteil ihres deutschen Geschäfts von 16,2 Prozent auf 10,8 Prozent zurückging“, heißt es in einer Zusammenfassung der Studie.

Auch in kleineren Märkten ist es eindeutig ablesbar. Laut KfW-Daten wurden in Deutschland 2023 insgesamt 7,2 Milliarden Euro an Wagniskapital („Venture Capital“) investiert. Das Geldvolumen, das in riskante Finanzierungen junger deutscher Unternehmen gesteckt wurde, ist im Vergleich zu den USA mit umgerechnet rund 160 Milliarden Euro verschwindend gering. Auch im Vereinigten Königreich ist noch rund zehnmal mehr Wagniskapital verfügbar als in Deutschland. „Private Equity“, also Beteiligungskapital für etablierte Firmen mittels Institutionellen Investoren (Fonds, Pensionskassen etc.) spielt ebenfalls kaum eine Rolle in der Finanzierung von KMUs.

Deutsche Unternehmen setzen stattdessen zu einem großen Teil auf Bankkredite. Einerseits zeigt sich hier die Neigung der Firmen zum Fremdkapital, andererseits hat dies mit der deutschen Anlegerkultur zu tun (siehe unten). Nur drei Prozent der im Rahmen der Studie befragten kleinen und mittleren Unternehmen sehen Kapitalmärkte als eine valide Finanzierungsoption. Der Anteil von Bankkrediten an der Finanzierungsstruktur aller deutscher Firmen beträgt 29 Prozent (Stand 2022). Zum Vergleich: In den USA liegt dieser Anteil bei nur 12 Prozent.

Abhilfe schaffen könnte laut der AFME-Studie ein größeres Finanzierungsvolumen über Schuldscheindarlehen – eine deutsche Spezialstruktur, die die Merkmale von unbesicherten Darlehen und Anleihen vereint und für das emittierende Unternehmen einen überschaubaren Dokumentationsaufwand verursacht. In 80 Prozent der Fälle fungieren Banken als Intermediär. Das Marktvolumen stieg 2022 auf circa 40 Milliarden Euro und stellt somit eine durchaus bedeutende Finanzierungsquelle für deutsche Firmen dar. Die Investorennachfrage könnte dadurch vergrößert werden, dass Schuldscheindarlehen in Wertpapiere verbrieft und somit öffentlich handelbar werden, was aktuell nicht der Fall ist. Das Finanzministerium und die Deutsche Bundesbank haben laut AFME bereits auf die Vorteile dieser Strukturen hingewiesen.

Deutsches Kredit-Modell bremst Innovationen

Aber auch Schuldscheindarlehen sind Fremdkapital und haben damit genau wie klassische Anleihen und Bankkredite einen großen Nachteil: Kredit bekommt vorzugsweise derjenige, der es eigentlich gar nicht braucht – das ist ein altes Sprichwort in Banker-Kreisen. Großunternehmen, die sich viel leichter über die internationalen Kapitalmärkte finanzieren können, verdrängen Jungfirmen und teils auch KMUs als Schuldner. In Zeiten von hohen Zinsen und strengeren Kreditvergabe-Standards gilt dies umso mehr.

Das deutsche Kredit-Modell beruht darauf, dass lokale Sparkassen und Genossenschaftsbanken den erfolgreichen Mittelständler vor Ort finanzieren. Das ist nicht per se schlecht, es ist sogar in gewisser Hinsicht ein Alleinstellungsmerkmal der feingliedrigen deutschen Wirtschaft. Aber dieses Modell funktioniert nur sehr eingeschränkt für neu gegründete Unternehmen. Zudem machen es die Regelwerke der EU-Bankenaufsicht, allen voran Basel III, für die Finanzinstitute zunehmend schwer und aufwendig, selbst etablierten KMUs Kredite zu geben.

Deshalb ersticken in Deutschland zahlreiche vielversprechende Geschäftsideen schon im Keim oder wandern ins Ausland ab. Somit ist die Innovationskraft unserer Wirtschaft im Vergleich zu anderen Industriestaaten inhärent begrenzt. Gerade für Startups sind Bankkredite und Schuldpapiere zudem ohnehin meist das völlig falsche Vehikel. Fremdkapital besteht auf regelmäßige Zins- und Tilgungszahlungen, die sich eine riskante Unternehmung in ihrer Frühphase kaum leisten kann. Eigenkapital ist hier im Regelfall der deutlich bessere Finanzierungsweg.

Anleger sind zu risikoscheu

Viele private Haushalte meiden bei ihrer Vermögensanlage und Altersvorsorge den Kapitalmarkt und vertrauen stattdessen auf Zinsprodukte und Immobilien. 60 Prozent des deutschen Geldvermögens stecken in Bankeinlagen oder Lebensversicherungen. Die typischen Kapitalmarkt-Anlagen wie Investmentfonds, ETFs sowie Einzelaktien sind unter der Masse der privaten Anleger nur geringfügig verbreitet.

Die Deutschen sind bei der Geldanlage konservativ eingestellt und den Börsen haftet hierzulande immer noch der Ruf nach, ein Tummelplatz für gierige Spekulanten zu sein. Nur jeder Fünfte Deutsche besitzt überhaupt Aktien. Auf dem Bankkonto ist das Geld wenigstens sicher, so die Einstellung vieler Bürger.

An dieser Stelle folgender Hinweis: Ideen, wie Sie Ihr Geld sicher und renditestark investieren können, finden Sie regelmäßig in unserer Geldanlage-Rubrik.

Für die Risikoscheue der Privatanleger existieren auch verständlichere Gründe. Das Desaster rund um die Mittelstandsanleihen in den frühen 2010er-Jahren hat Börsen-Investments in deutsche Firmen generell etwas in Verruf gebracht. Zudem war der wichtigste deutschen Aktienindex DAX jahrzehntelang ein schlecht rentierender Nachzügler im Vergleich mit etwa dem US-Leitindex SP500 und der Nebenwerte-Index MDax ist es im Prinzip heute noch.

Die umlagefinanzierte staatliche Rentenversicherung ist ein weiterer Faktor. „Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass staatlich dominierte Rentensysteme mit einer weniger ausgeprägten privaten Aktienkultur einhergehen – im Gegensatz zu Systemen mit kapitalgedeckten Elementen“, erklärt Dr. Dirk Holländer, Senior Partner bei zeb.

Hoffnung macht zumindest die höhere Affinität von jungen Menschen zu Aktienanlagen. Die Anzahl von Aktienbesitzern in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen hat sich seit 2015 verdreifacht. „Aufgrund der demografischen Entwicklung ist in Deutschland bereits eine Entwicklung hin zu mehr privater Vorsorge über den Kapitalmarkt erkennbar“, kommentiert Holländer. Nichtsdestotrotz ist seiner Sicht ist eine fundamentale Änderung des Rentensystems nötig.

EU-Kapitalmarktunion ist nur der erste Schritt, Mentalität und Regulierung muss sich ändern

Der Finanzverband erhofft sich positive Impulse von der geplanten Vereinheitlichung der einzelnen Kapitalmärkte der Mitgliedsländer innerhalb der europäischen Union, welche unter anderem den Zugang für Unternehmen vereinfachen soll. „Die anstehende Integration der Kapitalmärkte Europas kann zukünftig noch mehr dazu beitragen, Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand zu erhalten“, meint AFME-Chef Farkas.

Die Grundidee: Durch eine Standardisierung und Zusammenlegung der einzelnen EU-Märkte soll ein großer europäischer Kapitalmarkt entstehen, der es mit dem dominanten US-Finanzmarkt aufnehmen kann. Man kann dies etwa mit dem Freihandel innerhalb der EU vergleichen. Es ist zu erwarten, dass die EU-Kapitalmarktunion einen positiven Effekt haben wird, der aber bei weitem nicht genügen dürfte.

Die Studie geht nicht so weit, aber es scheint so, als ob nicht nur Energiewende und ESG-Ziele, sondern die ganze Zukunft der einstmals so dynamischen und produktiven deutschen Wirtschaft von mehr Kapitalmarkt-Finanzierung und hierbei vordergründig Beteiligungskapital abhängt. Es sollte sich daher wohl gleichermaßen die Mentalität von Unternehmern, Privatanlegern und Regulatoren ändern.

Unternehmen müssen sich vom Modell der Kreditfinanzierung lösen. Anleger müssen akzeptieren, dass es keine risikolosen Investitionen gibt und ein vernünftig diversifiziertes Portfolio an Beteiligungkapital (in Form von Aktien oder ETFs) auf lange Sicht meist deutlich besser rentiert als Cash auf dem Girokonto. Und die Finanzaufsicht täte gut daran, die rigiden Auflagen für Institutionelle Investoren abzumildern oder ganz abzuschaffen, sodass zum Beispiel Investmentfonds und Versicherungen nicht immer so zyklisch agieren müssten (Stichwort: Risikobudget) und zudem kleinere Nebenwerte besser handeln und höher gewichten könnten.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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