Unter normalen Umständen ist der Trikottausch ja eine Geste der Freundschaft und der gegnerischen Anerkennung. Im Jahr 2027 wird alles anders, und die Schockwellen rollen schon jetzt durch Fußball-Deutschland. In Zukunft tritt unsere Nationalmannschaft (Damen wie Herren) ohne die markanten Adidas-Streifen an. Nike wird die Teams der deutschen Fußballbundes (DFB) ausstatten und hat sich das so richtig was kosten lassen. Das passt irgendwie fatal in die Debatte über die deutsche Wirtschaft. Die Krise ist jetzt auch auf dem Platz!
Die Fans schienen gerade wieder etwas Optimismus und Vertrauen in den DFB und die zuletzt lustlos kickende Fußball-Nationalmannschaft (unter Trainer Julian Nagelsmann) zurückzugewinnen. Junge, hungrige Spieler sind wieder am Start, die kämpfen wollen und nicht nur reich und berühmt sein – das gab es schon länger nicht mehr auf dem grünen Rasen. Die Wirtschaft fieberte prompt mit, träumte von Konsumlaune, Straßenfesten und Fanmeilen während der Fußball-Europameisterschaft in diesem Sommer.
Bekommt Deutschland anlässlich der Euro 2024 vielleicht doch ein kleines Fußball-Märchen geboten, fragten sich viele hoffnungsfroh, ganz so wie 2006 bei der legendären Fußball-WM im Lande? Auch Adidas hatte designmäßig gute Laune als Parole ausgegeben und am 14. März das neue Trikot des Teams vorgestellt - in den neuen deutschen Nationalfarben - changierend Pink bis Lila. Cool Germania!
Cool Germania im pinken Adidas-Trikot - das gibt es so wohl nie wieder
Doch nur wenige Tage später ließ der DFB (am Trauertag 21. März 2024) völlig unvermittelt die thermonukleare Bombe zünden und teilte dem wirtschaftlich in seinen Grundfesten ohnehin schon erschütterten Land das Unfassbare mit: Nike wird Adidas als Sponsor und Ausstatter ablösen. Nicht etwa im Konjunktiv, könnte, hätte, Fahrradkette! Nein, wirklich jetzt, Faktum - wie Flasche leer!
Erst 2027 soll der Wechsel vollzogen werden, aber was heißt das schon, wenn eine schiere Selbstverständlichkeit in tausend Splitter und Scherben zerbricht? Die Mannschaft ohne Streifen? Mindestens bis zum Jahr 2034 - und wahrscheinlich sogar bis in alle Ewigkeit. Das Traditionsunternehmen schien gleichfalls richtig schockiert: „Wir sind vom DFB heute darüber informiert worden, dass der Verband ab 2027 einen neuen Ausrüster haben wird", teilte ein Unternehmenssprecher kurz, knapp und lapidar mit. Tage später wurde dann noch vieldeutig hinzugefügt: „Wir werden diese Preise nicht zahlen."
Ausgerechnet Robert Habeck ließ es die Granden vom DFB ohne jegliche diplomatische Rücksichtnahme wissen: Ein krasser Fall von fehlendem „Standort-Patriotismus" sei dies. Und das sagt einer, der früher mal wie viele Linke das Deutschland-Gefühl als zutiefst befremdlich und verstörend empfunden hat. „Ich kann mir das deutsche Trikot ohne die drei Streifen kaum vorstellen. Adidas und Schwarz-Rot-Gold gehörten für mich immer zusammen. Ein Stück deutscher Identität. Da hätte ich mir ein Stück mehr Standort-Patriotismus gewünscht", schrieb Habeck dem DFB-Präsidium ins Stammbuch. Alle anderen nicken seither nur noch - sprachlos und maßlos enttäuscht.
Dem ist nicht mehr viel hinzuzufügen. Der DFB ist „so geld-geil, der kennt keine Verwandten", lautet seither das vernichtende Urteil am deutschen Stammtisch. Man ahnte es ja schon, als im Winter Finanz-Heuschrecken wie Blackstone oder CVC als Investoren bei der DFL einsteigen wollten und für Jahre den Liga-Ablauf bestimmen sollten, wenn es nach den Fußball-Bossen der Spitzenvereine gegangen wäre. Noch mehr Kommerz, argwöhnte die aktive Fan-Szene, nichts mehr ist heilig. Bis die Zuschauer in den Stadien aufsprangen, nur nicht zum Tor-Jubel, sondern in wütendem Ultra-Protest gegen den geplanten Ausverkauf. Nun also der nächste Tabubruch!
DFB beteuert: Das mit Abstand beste Angebot hat Nike abgegeben
„Nike hat das mit Abstand beste Angebot abgegeben", hieß es. Dass Nike für die Nachwuchsarbeit „im Amateur- und Breitensport des DFB" in Zukunft so richtig tief in die Tasche greifen werde, wie Fußball-Präsident Bernd Neuendorf danach - halb zur Rechtfertigung, halb als Entschuldigung - öffentlich vortrug, finden im Land wahrscheinlich alle nur noch zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Die Wahrheit ist: Der DFB hat sich offenbar völlig übernommen, u.a. mit dem Neubau seines überdimensionierten Campus in Frankfurt, und braucht jetzt dringend Cash.
Die nostalgischen Gefühle und Erinnerungen an die guten alten Zeiten in feierlich schwarzen Hosen und weißen Ober-Trikotagen - so ist Deutschland nach dem Krieg als Paria und Underdog in Bern 1954 und im Münchner Olympiastadion 1974 angetreten und Fußball-Weltmeister geworden. Plötzlich waren wir wieder wer. Das Fernsehen nannte es in späteren Dokus „Schicksalsmomente einer Nation" - und Adidas gehörte wie ein vertrautes Familienmitglied an der feierlichen Festtafel immer dazu.
Kaum ein Unternehmen ist den Bürgern in solchen Momenten emotional so sehr ans Herz gewachsen wie Adi Dasslers 1949 nach dem Familienzwist neu gegründete Schuhfabrik in Herzogenaurach. Gerd Müller, Berti Vogts und Franz Beckenbauer - ikonische Fotos und Abziehbildchen für das Panini-Heft, mit denen Generationen aufgewachsen sind. Bei allen vier Weltmeister-Titeln und den drei EM-Siegen der Männer sowie den drei WM-Titeln und acht EU-Trophäen der Damen war Adidas gewissermaßen unser Heils- oder auch Glücksbringer. Das soll nun vorbei sein?
Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Erst stand ab 1994 Brasilien auf der Nike-Übernahmeliste, inzwischen Frankreich, Holland, England und Portugal. Und nun die deutsche Mannschaft auch noch. Wirtschaftlich zeichnete sich das schon länger ab, dass Adidas dem großen Konkurrenten aus Amerika nicht mehr das Wasser reichen kann. 47,1 Milliarden Dollar erwirtschaftete Nike 2023 an Umsatz und einen Gewinn von 4,7 Milliarden für die Aktionäre, doppelt so viel Umsatz wie Adidas, deren Ergebnis in die roten Zahlen drehte. Puma, das kleine Herzogenauracher Konkurrenzunternehmen der zerstrittenen Dassler-Brüder liegt mit gut 8,5 Milliarden Euro auf Platz drei.
Schon seit 2006 buhlen die Nike-Manager um die Gunst in Frankfurt
Schon 2006 wollten die Nike-Manager aus Beaverton im US-Bundesstaat Oregon ihr güldenes Scheckbuch zücken, buhlten mit einer „Multi-Millionen-Offerte", wie es hieß, um das deutsche Team als Werbeträger, antichambrierten in Frankfurt um die Gunst der DFB-Geschäftsführung. Der genaue Umfang des jetzt geschlossenen Ausrüstervertrages ist zahlenmäßig nicht offiziell bekannt. Es heißt, Nike lasse sich die Sache „100 Millionen Euro pro Saison kosten". Es wäre gut das doppelte von dem, was Adidas bisher gezahlt hat. Dass Adidas-Chef Björn Gulden da nicht mehr mithalten konnte, verwundert kaum.
Lesen Sie im 2. Teil dieser Analyse, wie Adidas seinen Marktvorteil einbüßen musste.