Als die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kamp-Karrenbauer (CDU) 2020 ihre Werbekampagne „Dein Jahr für Deutschland - freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz" startete, wurde die Aktion sogleich als „Werbetrick" bespöttelt und als „Dummenfang" abgetan. Vor allem, dass mit 17 Jahren noch Minderjährige angeheuert werden konnten, rief Kritiker auf den Plan, die „große Gefahren" beschworen. Der typische Reflex aus vergangenen Friedenszeiten, in denen alles auch nur entfernt Militärische bereits als anrüchig galt.
Dann kam Corona als Pandemie über das Land, und viele Bürger erlebten erstmals, wie dringend notwendig gemeinschaftliche Anstrengungen sind, um Krisen zu bewältigen. Junge Bundeswehr-Soldaten waren es mal wieder, die plötzlich in Gesundheitsämter Dienst taten, um zu helfen und Einsatz für ihre Mitbürger zu zeigen. Und jetzt der grausame Krieg in der Ukraine, der Ängste um Frieden und Freiheit in Deutschland ausgelöst hat - und offenkundig die Erkenntnis, dass es dieses gute Leben in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa nicht für Null Ouvert gibt.
Freiwilliger Wehrdienst: Übungen, um Abläufe einzustudieren und vorbereitet zu sein
Der Heimatschutz als „Wehrdienst light" sprach sich schnell nach den ersten Übungen bundesweit herum. Derzeit gerade sind noch bis zum 5. Mai 1400 Soldaten aktiv, um in der Übung „National Guardian 2024" Abläufe einzustudieren und unter Führung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr den Schutz verteidigungswichtiger Infrastruktur zu üben. Überwiegend sind es Reservisten, die daran teilnehmen. Unterstützt von den Heimatschutzregimentern und Landeskommandos der Bundeswehr. Hoffentlich nicht für den Ernstfall, aber als eine eine Versicherungspolice gegen Angriffe aller Art. Bereits der Schutz von Logistikzentren und kleinsten militärischen Bereichen erscheint neuerdings als kritisch, angesichts der hybriden Bedrohungslage, die durch Hackerangriffen, Spionage und Drohnen-Ausspähung weite Teile des alltäglichen Lebens in Frage stellt und bedroht.
Die Heimatschutz-Übungen im Lande sind sinnvollerweise eingebunden in das größere Ganze, die multinationale Abschreckung des Verteidigungsbündnisses der Nato. Es geht um Munitions- und Materiallager, die besser behütet werden müssen, die Überwachung von Häfen, Bahnhöfen und Umschlagpunkten, die gegebenenfalls bei der schnellen strategischen Verlegung von Bundeswehr- und internationalen Nato-Truppen benötigt werden. An neun Orte bundesweit wird aktuell geübt und der Ernstfall simuliert. Bei Hannover etwa das Beladen von Militärflugzeugen, im hessischen Alsfeld die Versorgung und er Schutz amerikanischer Militärkonvois. In Süddeutschland geht es um das Verladen von Panzern, die als Szenario zur neuen Brigade nach Litauen verlegt werden könnten. Die Aktionen sind dabei Teil des übergeordneten Nato-Großmanövers „Steadfast Defender 2024", an denen 12.000 Soldaten bei uns und über 90.000 Soldaten andernorts in Europa beteiligt sind - die größte militärische Übung in den vergangenen 35 Jahren.
Kramp-Karrenbauer wollte seinerzeit mit Einführung des Freiwilligendienstes das „Gemeinwohl und „regionale Heimat-Bewusstsein" stärken. „Der gesellschaftliche und soziale Charakter des insgesamt einjährigen Dienstes steht dabei im Vordergrund", betonte die frühere Ministerpräsidentin des Saarlands. Wobei die Ausbildung der Freiwilligen etwa sieben Monate beansprucht und sich weitere fünf Monate Reservisten-Einsatzzeit über sechs Jahre mit regemäßigen Einsätzen verteilen sollten. Die Zahl der Reservisten aufzustocken, steckte im wesentlichen hinter der politischen Maßnahme Kramp-Karrenbauers. Mehr wäre in der Regierungszeit Angela Merkels (CDU) nicht drin gewesen, schließlich war es in ihrer langen Amtszeit als Friedenskanzlerin, dass der Wehrdienst offiziell ausgesetzt wurde, wie es heiß, bei den Bürgern im Lande freiwillig als Ende der Einberufung verstanden wurde. Die Kreiswehrersatzämter wurden überflüssig, die Strukturen lösten sich schnell auf.
Auch Ungediente melden sich neuerdings häufiger bei den regionalen Heimatschutz-Kommandos
Dies alles nun zu revidieren, ist die große Herausforderung von Bundeswehr und dem Bundesverteidigungsministerium unter Boris Pistorius. Etwas Hilfe und Rückenwind von den grundgesetztreuen Mitbürgern ist da natürlich willkommen. Und so freuen sich die regionalen Heimatschutzregimentern über ein stetig wachsendes Interesse. Und das nicht etwa nur von Reservisten, die einst ihren Grundwehrdienst geleistet haben, sondern immer häufiger auch von ungedienten Männern wie Frauen, denen ihr Land offenbar weit mehr bedeutet, als es die Politik zuletzt landläufig für möglich hielt. „Die Bewerberzahl übertrifft allen Erwartungen", teilte Anfang des Jahres erst der Kommandeur des Landeskommandos Hessen, Brigadegeneral Bernd Stöckmann, mit. Wobei ein regelrechter Wettbewerb stattfindet mittlerweile. So sei Hessen mit 2150 Bewerbern sogar den bevölkerungsreicheren Bundesländern wie Bayern und NRW mit 800 bis 1000 Bewerbern sogar deutlich voraus. Ein Pilotprojekt, bei dem in Hessen Arbeitgeber und Wirtschaftskammern eingebunden waren. machte offenbar den Unterschied aus, heißt es. General Stöckmann meint, das könne „so auch in jedem anderen Bundesland erfolgreich umgesetzt werden". Das Bewusstsein für Wehrhaftigkeit scheint sich herumzusprechen, die Bürger können offenkundig etwas anfangen mit dem Ruf nach der sogenannten Resilienz, die unsere Politiker seit Februar 2022 wie ein Mantra beschwören und immer wieder vernehmlich wiederholen.
Die Operationen der Heimatschutzregimenter unterstehen dem im September 2022 aufgestellten Territorialen Führungskommando in Berlin. „Es ist damit verantwortlich für die operative Führung nationaler Kräfte im Heimatschutz einschließlich der Amts- und Katastrophenhilfe sowie der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit", erläutert der Reservistenverband. „Damit leistet es einen Beitrag zur gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge in frieden, Krise und Krieg." Der 57-jährige Generalmajor Andre Bodemann ist als Territorialer Befehlshaber in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin-Reinickendorf Chef von 22 Dienststellen bundesweit, darunter 16 Landeskommandos, das multinationale Kommando für Zivil-Militärische Zusammenarbeit in Nienburg an der Weser sowie das Kommando Operative Führung in Baden-Württemberg.
Heimatschutz: Jeder bis zum Alter von 57 Jahren kann sich bewerben
Die Heimatschutzregimentern aller Länder informieren über das Verahren, Jeder bis zum Alter von 57 Jahren kann ich nach Bundeswehr-Angaben um Heimatschutz melden - militärische Erfahrungen sind dafür nicht erforderlich. Selbst frühere Wehrdienstverweigerer seien willkommen und als Unterstützer gefragt, heißt es. Allerdings ist ein Gesundheitscheck erforderlich, außerdem nimmt der Militärische Abschirmdienst (MD) eine Überprüfung der Bewerber vor. Hintergrund ist, dass es 2021 zu Vorfällen im Thüringer Heimatschutz gegeben hat, in den sich offenbar eine nennenswerte Anzahl von Rechtsextremisten eingeschlichen hatten.
In Hessen zum Beispiel geht die nächste Ausbildungsoffensive bereits im Juni 2024 los. Im Oktober soll die Aufstellung des Heimatschutzregiments 5 feierlich mit Fahnenappell vonstatten gehen - freilich im thüringischen Ort Ohrdruf. Bemerkenswert: Unter den über 2000 Bewerbern in Hessen sind 20 Prozent ungedient - und darunter auch gut 15 Prozent Frauen. Für Arbeitgeber interessant dürfte sein, dass das zivile Gehalt, Heilvorsorge und Rentenzahlungen während der Dauer der Übungen von den Streitkräften übernommen werden.
Die hessische Landesregierung von Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) ist als gutes Beispiel für die anderen Bundesländer vorangegangen und hat in ihrem Koalitionsvertrag die „Wichtigkeit des Heimatschutzes" explizit hervorgehoben und damit die Aufgabe im Gemeinschaftsgefüge erstmals fest verankert. Die Zeitenwende scheint Früchte zu tragen im Lande.