Bei Spaziergängen im Unterholz und abseits der Städte sind Sie vermutlich alle einmal auf einen Stacheldrahtzaun gestoßen mit dem Warnhinweis „Militärischer Sicherheitsbereich. Unbefugtes Betreten verboten! Vorsicht Schusswaffengebrauch!“ Das Emailleschild kann zwar jeder im Internet einfach für 20 Euro bestellen. Aber schießen kann nur die Bundeswehr, die damit ihre militärischen Standorte sichert.
Der Versuch macht in diesem Fall nicht klug. Die Dienstanweisungen lassen keinen Raum für Interpretationen - vor allem ist die Rechtslage eindeutig. Die Sicherheit geht vor, Soldaten und Sicherheitskräfte sind ermächtigt zu schießen. Umso verwunderlicher ist es, wie machtlos die Truppe ist, Drohnenflüge über ihre Übungsplätze und Kasernen zu verhindern. „Die rechtliche Situation ist teils noch ungeklärt“, bestätigt Gary S. Schaal vom German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) an der Universität der Bundeswehr in Hamburg.
Was Lesern womöglich wie ein dummer Jungenstreich anmutet, ist inzwischen zur realen Gefahr geworden. Immer wieder melden die Behörden Zwischenfälle dieser Art. Nicht selten geht es tatsächlich um den Versuch, mittels geheimdienstlicher Ausspähung Informationen über Ausbildung und Ausstattung von Soldaten zu ergründen. Regelmäßig versuchen scheinbar russische Spione, sich über die Ausbildung ukrainischer Truppen in Deutschland zu informieren - selbst auf den Truppenübungsplätzen der US-Alliierten im oberpfälzischen Grafenwöhr etwa.
Die Bundeswehr bestätigte jetzt, dass es allein im Jahr 2022 sage und schreibe 172 Vorfälle gegeben habe und auch 2023 weitere 446 Verstöße. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) meldet sich ja eher selten zu Wort. Doch deren Präsidentin Martina Rosenberg warnt die Politik schon länger vor feindlichen Drohnenflügen über Deutschland. Auch die Flughafengesellschaften und Luftaufsichtsbehörden kennen das Problem - über eine brauchbare Technik verfügt die Bundespolizei dort nicht.
Bundestag gefordert: Drohnenflüge einschränken
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius besuchte Mitte April das Zentrum für operative Kommunikation der Bundeswehr in Mayen bei Koblenz. Der SPD-Politiker informierte sich dort über psychologische und hybride Kriegsführung. Nach dem Besuch könnte die Diskussion rund um die Bedrohung durch Drohnen nun an Dynamik gewinnen, Pistorius warnte eindringlich vor hybriden Bedrohungslagen in Deutschland. Die Frage ist, wann sich der Bundestag des Themas endlich annimmt.
Drohnen sind eines der derzeit aktuell größten Probleme und Verursacher jener als „hybride Bedrohungslagen“ angeprangerten Verstöße und Machenschaften in Deutschland. Die Bundeswehr beteuert zwar, sie habe Mittel und Wege, verdächtige Drohnen abzuwehren und deren „Piloten“ ausfindig zu machen. Die Informationen hierzu unterliegen der Geheimhaltung. Die Aufklärungsrate scheint freilich gering zu sein - sonst sollten bei der Justiz entsprechende Verfahren anhängig sein.
Handelsübliche Drohnen - Sprengstoffgefahr?
Der Grund ist ganz einfach: Der Kauf handelsüblicher Drohnen in Elektronikfachgeschäften wird weder eingeschränkt, noch ist er in irgendeiner Weise für Behörden nachvollziehbar. „Es sind ja keine Waffen“, rechtfertigt sich ein Händler in Berlin. Es sei denn, die Drohne wird (wie derzeit in der Ukraine üblich) mit Sprengladungen bestückt. Dass das ohne Probleme möglich wäre, ist alles andere als ein Geheimnis, eher eine wachsende Befürchtung.
So denken Techniker über praktische Lösungen wie Störsender nach, statt von der Politik Sensibilität und neue Verordnungen und Gesetze zu erwarten. Dabei gibt es durchaus deutsche Lösungen für die Drohenabwehr. In der Eifel versteckt arbeitet zum Beispiel die Firma Aaronia an allem, was für Bewachung und Sicherheit nötig ist: Radar, Kameras, Frequenzüberwachung und eine Software, die hilft anfliegende Drohnen schon aus 80 Kilometern Entfernung zu orten. Die Frage ist nur: Was sagt die Bundesnetzagentur, die das eigentlich erst erlauben müsste, in Friedenszeiten. Ein Netz zu spannen, wäre möglich.
Der Abschuss, „Soft kill“ genannt, ist freilich nicht zulässig. Dass wäre erst der Bundeswehr im Kriegsfall erlaubt. Die Frage stellt sich daher: Befindet sich Deutschland bereits mit Russland im Krieg? Wenn man die Rhetorik aus Moskau hört, möchten manche das schon glauben.
Blaupause fehlt: Zivilverteidigung neu denken
„Früher gab es nur Null oder Eins, Frieden oder Krieg. Heute liegt dazwischen eine lange Strecke hybrider Bedrohungen“, sagt Generalleutnant Andre Bodemann, Befehlshaber Territoriales Führungskommando der Bundeswehr in Berlin, und ergänzt: „Wir sind nicht im Krieg, formaljuristisch, aber wir befinden uns auch schon lange nicht mehr im Frieden, weil wir täglich bedroht und auch attackiert werden.“ Als territorialer Befehlshaber ist General Bodemann für die Ausarbeitung des Operationsplans Deutschland verantwortlich.
Worum es geht: Seit gut einem Jahr sind gut 150 Experten bundesweit damit beschäftigt, Logistikketten neu zu durchdenken, Notfall-Pläne auszuarbeiten, die Zusammenarbeit mit Polizei, Rotem Kreuz und Technischen Hilfswerk zu koordinieren. Dabei geht es natürlich nicht nur um die Sicherheit der Standorte im Lande, sondern eben auch um Fragen der Zivilverteidigung, für die eigentlich das Innenministerium Nancy Faesers (SPD) zuständig ist. Die geneigte Öffentlichkeit kennt das Stichwort noch aus den Zeiten des Kalten-Kriegs-Zeiten der 70er- und 80er-Jahre. Damals gehörte die zivile Unterstützung der Bundeswehr zum Alltag und war gewissermaßen eine Bürgerpflicht.
Während nun der russische Krieg gegen die Ukraine die Nachrichten dominiert, muss alles neu gelernt und erst einmal als Problematik gedanklich durchdrungen werden. Und das „ohne Blaupause“ von früher, wie General Bodemann einräumen muss. Deutschland hat nicht nur gefühlsmäßig die Bedrohung am Eisernen Vorhang hinter sich gelassen, sondern auch weitgehend die Unterlagen geschreddert. Nun gilt es, alle wieder nach und nach an Bord zu holen: Telekom, die Häfen, die Bahn.
Mehr Sensibilität der Bürger gefragt
Einer der offenkundigen Schwachstellen ist, dass Geheimhaltung zum Fremdwort geworden ist. Deutschland lebt seine erkämpfte Transparenz, selbst sensible Nato-Pläne können bei uns im Netz frei zugänglich nachvollzogen werden - nicht immer nur aus reiner Neugier, sondern mit feindlichen Absichten. „Da müssen wir sensibler werden“, fordert der General. „Verteidigung ist nicht nur eine gesamtstaatliche Aufgabe, sondern auch gesamtgesellschaftliche. Es kommt am Ende auf jeden einzelnen Bürger an.“