FDP und Union fordern eine Kehrtwende beim thema Bürgergeld
Die FDP fordert aktuell Anpassungen beim Bürgergeld, obwohl die liberale Regierungspartei maßgeblich an der Umsetzung beteiligt war. Die Union sieht darin jetzt vor allem ein Wahlkampfthema und fordert sogar die Abschaffung, nachdem auch sie vor eineinhalb Jahren der Reform noch zugestimmt hatte.
Die Erkenntnisse nach 13 Monaten finanziertes und von Steuergeldern bezahltes „Bürgergeld“ waren zu mindestens für viele Experten und auch manchem Otto Normalbürger erwartbar. Es fehle durch weniger Sanktionen der Job-Anreiz, warnten Kritiker damals. Jetzt schlägt auch die Politik Alarm. Hat sich der Sozialstaat mit dem Bürgergeld übernommen? Oder ist das ein weiterer Aufschlag im Kampf um die Wählerstimmen der Werktätigen und Unternehmer?
Die großzügige Sozialreform scheint in Zeiten von Haushaltsnotlagen und Arbeitskräftemangel den Wählern nicht mehr vermittelbar. Ein Grund mehr für die Union, mit einer „neuen Grundsicherung“, mit der sie das Bürgergeld ablösen will, in den Wahlkampf ziehen.
Bürgergeld – die große Sozialreform der Ampel-Regierung
Mit dem neuen Bürgergeld, dem erhofften „großen Wurf“ der Ampel-Regierung, sind die Sanktionen bei Regelverstößen abgeschwächt, die Regelsätze erhöht und die Grenzen für Vermögen und Wohnungskosten im ersten Jahr des Bezugs erhöht worden.
Menschen ohne Job bekommen seit Januar 2023 das neue Bürgergeld: 502 Euro monatlich, 53 Euro mehr als bei Hartz IV. Im ersten Jahr des Bezugs übernimmt der Staat auch die Wohn- und Heizungskosten. Das kann bei einer Familie mit zwei Kindern bis zu 2.300 Euro Zuschuss bedeuten - mehr als mancher Geringverdiener netto übrig hat.
Auf der Homepage der Arbeitsagentur heißt es dazu einladend: Sie können Bürgergeld erhalten, wenn Sie erwerbsfähig und leistungsberechtigt sind und mindestens drei Stunden pro Tage arbeiten können. Sie sind mindestens 15 Jahre alt und haben die Altersgrenze für Ihre Rente noch nicht erreicht.
Diese Grundvoraussetzungen, um Bürgergeld zu beziehen, dürfte auf den Großteil der Bevölkerung zutreffen.
In Deutschland bezogen bis März 2024 durchschnittlich rund vier Millionen erwerbsfähige Personen Bürgergeld. Dazu kommen circa 1,5 Millionen nicht Erwerbsfähige. Tendenz steigend. (Quelle: Statista)
Untersuchung: Bürgergeldempfänger nehmen zumeist weniger Arbeit auf
Nach über einem Jahr der Reform legt das Institut für Arbeitsmarkt-Berufsforschung die ersten Daten vor. Für Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber ergeben sich aus der Studie folgende Rückschlüsse: Das Bürgergeld senkt offenbar den Anreiz für Menschen in der Grundsicherung, eine Arbeit aufzunehmen. Rechnet man alle anderen Effekte heraus, ist die Zahl der Arbeitsaufnahmen durch das Bürgergeld im ersten Jahr nach der Einführung um rund sechs Prozent gesunken.
Gegenüber dem Magazin „Der Stern“ sagt der IAB-Ökonom Weber: „Die Arbeitsauflagen sind insgesamt zu schwach.“ Er empfiehlt längere mittelscharfe Sanktionen, die aufgehoben werden können, wenn der Arbeitslose wieder mitwirkt. Für ihn liegt die größte Herausforderung in der Problematik Langzeitarbeitslosigkeit. „Wenn sich der Trend über die Jahre fortsetzt, summiert sich die Zahl derer, die in der Grundsicherung verbleiben. Arbeitslosigkeit setzt sich fest.“
In der Tat ist Langzeitarbeitslosigkeit eines der großen Probleme für den deutschen Arbeitsmarkt, wie auch Statista für April 2024 aufzeigt: Fast eine Million Menschen sind länger als ein Jahr ohne Job und damit langzeitarbeitslos. Trotz Arbeitskräftemangels und vieler offener Stellen liegt der Anteil der Langzeitarbeitslosen bei 35 Prozent.
Unterstützung mit Bürgergeld als eine Gerechtigkeitsfrage im Lande
Die Ergebnisse sorgen für politischen und sozialen Sprengstoff bei der Debatte rund ums Bürgergeld, gerade in Zeiten, wo immer weniger Arbeitnehmer, für immer mehr unbesetzte Stellen mitarbeiten und das oft auch für lau. So wurden 2023 in Deutschland 1,3 Milliarden Überstunden geleistet – mehr als die Hälfte davon unbezahlt.
Gerade in niedrig qualifizierten Berufen werden dringend Arbeitskräfte gesucht und die fehlen auf dem Bau, im Handel, im Handwerk oder im Sozialen. Die Arbeitgeber stehen bereit, die Mitarbeiter sofort einzuarbeiten, da braucht es oft keine langwierige, teure Weiterbildungsmaßnahme vom Amt, sondern schnellen Einsatz und „Learning by doing“. Das Bürgergeld wird schließlich von den Bürgerinnern und Bürgern finanziert, die arbeiten gehen und Steuern, Sozialbeiträge und Abgaben zahlen. Deshalb sollte es das Mindeste sein als Gegenleistung, alles zu tun, um künftig ohne Hilfe auszukommen.
Zerwürfnis: SPD und Grüne gegen Reform, die FDP kämpft dafür
Für die grüne Partei ist das eine leidige, nicht enden wollende Debatte, die man, nachdem schon die Sanktionen für sogenannte Totalverweigerer verschärft wurden, für abgeschlossen hielt. Ricarda Lang, Bundesvorsitzende und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, weist die Kritik zurück, dass das Bürgergeld zum Nicht-Arbeiten verleiten könnte. In einem Interview gab sie zu verstehen, dass sie die Idee, der Wirtschaft gehe es besser, wenn wir unsozialer werden, für grundfalsch findet und das Land destabilisiert. Ihre Partei arbeitet hingegen an den niedrigen Löhnen und ungleichen Chancen in der Bildung, etwa beim Erben staatlicher Vermögen. Das würde das Gefühl, Arbeit lohne sich nicht mehr in ihren Augen verstärken.
Für FDP-Chef Christian Lindner ist das „ein Unding“. Es gebe derzeit Anreize, vom Bürgergeld zu leben, weil sich Arbeit „finanziell schlicht nicht lohnt“. Da Deutschland aber alle Bürger am Arbeitsmarkt brauche, fordert die FDP jetzt entgegen den Ampelpartnern mehr Spielraum für verschärfte Sanktionen bei Arbeitsverweigerern, die bis zu einer vollständigen Streichung von Leistungen reichen.
Es scheint, nicht nur der Finanzminister hat erkannt, dass Deutschland wieder leistungsfähiger werden muss, wenn es in Zukunft noch zahlungsfähig bleiben will. Auch die CDU will mit dem Thema punkten.
Union legt Reform für neue Grundsicherung und die nächsten Wahlen vor
Friedrich Merz, neuer und alter CDU-Bundesvorsitzender, sprach auf dem Parteitag von einer Agenda 2030 und legte ein neues Grundsatzprogramm vor. Damit möchten die Christdemokraten spätestens im Herbst des nächsten Jahres wieder Regierungsverantwortung für Deutschland übernehmen und den Industriestandort sowie den Wohlstand des Landes erhalten. Nötig sei dafür eine „Agenda für die Fleißigen“, die diese „nicht bestraft, sondern belohnt“, betonte Merz.
Damit meint der Parteichef, dass Bezieher von Sozialleistungen, die arbeiten können, auch arbeiten müssten. Hierfür verlang die CDU eine Wende im Rahmen der Sozialpolitik und im Zuge dessen die Abschaffung des Bürgergeldes in dieser Form. Eine neue Grundsicherung soll Anreize und Ermutigung für Bürger schaffen und wirklich denen helfen, die Hilfe benötigen.
Fragt sich, wer genau damit gemeint ist und welche neuen Anreize eine Arbeitsaufnahme möglich machen sollen - konkreter wurde Merz betreffend seine sozialpolitischen Pläne nicht.
Für Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes „Die Familienunternehmer“, ist es richtig und notwendig, dass die CDU hier klare Kante zeigt. Alles andere ist in Zeiten des Arbeitskräftemangels nicht zu erklären und würde den Sozialstaat nur unnötig verteuern. „Schon allein der Solidargemeinschaft ist man es schuldig, dass wer Leistungen bekommt, auch eine Gegenleistung erbringen muss. Die Rutschpartie in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen muss enden“, sagt Ostermann.
Kritik: Alles nur Stimmungsmache auf Kosten der Schwächsten?
Sozialverbände und Gewerkschaften kritisieren die Diskussion als Stimmungsmache und Wahlkampfgetöse auf Kosten der Schwächsten. Ob es in dieser Legislatur noch zu Anpassungen am Bürgergeld kommt, scheint derzeit offen. Ein Update des Bürgergeldes wäre mehr als angemessen aufgrund geänderter Rahmenbedingungen und Erkenntnisse. Und der Wahlkampf der Ampelparteien wäre dadurch einiges einfacher.