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Die Ampel auf Rot: Warum die deutsche Wirtschaft abwandert

Lesezeit: 5 min
08.05.2024 15:51
Der Frust des deutschen Mittelstands ist gewaltig. Immer mehr Unternehmer denken über Verlagerung ihrer Produktionsbetriebe nach. Nach Polen oder in die USA zumeist - aber selbst die Schweiz scheint mehr zu bieten zu haben als „Made in Germany“. Das zeigt das immer wieder fassungslos ins Gespräch gebrachte Beispiel Stihl. Was fällt Wirtschaftsminister Habeck ein? Subventionen sollen die Dinosaurier der Industrie retten.
Die Ampel auf Rot: Warum die deutsche Wirtschaft abwandert
Mitarbeiter des Motorsägen- und Gartengeräteherstellers Stihl, fertigt Akkus für Geräte für professionellen Einsatz: Jetzt denkt Stihl über Verlagerung in die Schweiz nach. (Foto: dpa)
Foto: Bernd Weißbrod

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Es steht mal wieder in so einem Strategiepapier, in das sein Haus Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) passende Stichworte geschrieben hat, um redegewandt die Talkshows bei Lanz, Miosga oder Maischberger zu überstehen. Lamentieren kann er ja, auch wenn ihm jeglicher Sinn für die besonderen Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft abzugehen scheint. So setzt Habeck konsequent auf eine staatliche Industriepolitik, bei der selbst die energieintensiven Grundstoffindustrien gestützt werden - egal was es die Steuerzahler kostet. Seinem Strategiepapier zufolge soll langfristig sogar Glas, Zement und Papier weiterhin mitten in Deutschland produziert werden.

Statt die wichtigste Säule des Standortes Deutschland zu stärken und den vielen mittelständischen „Hidden Champions“ wie Stihl, Conti oder Miele mal genauer zuzuhören, möchte Habeck die Wirtschaftslandschaft „in seiner ganzen Vielfalt erhalten“, wie er betont. Natürlich nicht immer im Alleingang, manche Länder folgen ihm bereitwillig, wenn es um deren Standortpolitik geht. Aber das mit der Marktwirtschaft bleibt dem smarten Politiker offenbar zutiefst suspekt - so wie die grüne Familienministern Lisa Paus und Umweltministerin Steffi Lemke verteilt auch er gerne beidhändig Geschenke. Stefan Messer, Aufsichtsrat des Industriegase-Herstellers Messer in Bad Soden, kritisiert ganz offen: „Es sind Politiker mit wenig Erfahrung an der Macht.“

Mit Gießkanne große Töpfe unter Wasser setzen

Aber die möchten ihren Einfluss und Entscheidungsgewalt trotzdem nutzen, jetzt wo sie endlich an einem Schalthebel sitzen. Dass Habeck dafür eigentlich kein Geld hat, weiß der Minister natürlich - und die Koalitionspartner von der FDP erinnern ihn immer wieder daran. Trotzdem geht Habeck mit der Gießkanne von Beet zu Beet, um hier und da einen der großen Töpfe gehörig unter Wasser zu setzen. Viel zu viel Substrat für die einen, während andere ohne Nährstoffe zu vertrocknen drohen.

Mehr als vier Milliarden hat Habeck sich dabei inzwischen in Brüssel genehmigen lassen - Deutschland folgt somit gleich hinter Frankreich auf Platz 2 im Subventions-Ranking der EU. Was prompt für Neid und Missgunst in der Gemeinschaft sorgt - wer sonst kann sich derartige Hilfen für handverlesene Unternehmen leisten. „Ich beobachte eine Praxisferne zur Wirtschaft und zu deren Wirkmechanismen. Da werden haarsträubende handwerkliche Fehler begangen“, so das Urteil des Unternehmers Messer.

Von Zukunftsorientierung kann angesichts der Empfänger auch kaum die Rede sein: 2, 6 Milliarden für die Holding Saar. Zwei Milliarden für ThyssenKrupp. 1,3 Milliarden für Arcelor Mittal, die Salzgitter AG bekommt eine Milliarde Euro. Und die Liste lässt sich munter fortsetzen. Führende internationale Konzerne, börsennotiert und bestens mit Eigenkapital ausgestattet, werden bedacht: Intel darf sich auf Milliarden aus Fördertöpfen freuen. Der taiwanesische Halbleiterhersteller TSMC erhält einen Standortzuschuss für ein Werk in Dresden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beziffert die Subventionen allein für die beiden Chip-Giganten auf bis zu 15 Milliarden Euro. „Die Subventionen sind größtenteils nicht sinnvoll eingesetzt. Warum bekommt Intel für seine Chipfabrik in Magdeburg zehn Milliarden Euro? Der Konzern verdient auch ohne den deutschen Staat genug Geld“, ärgert sich Sägen-Fabrikant Nikolas Stihl und macht aus seinem Herzen keine Mördergrube.

NorthVolt in Habecks Heimat in Schleswig-Holstein soll gleichfalls zum neuen Leuchtfeuer an der Küste werden - mit freundlicher Unterstützung des Staates. Beim Bietergefecht der Staaten, gewann Deutschland allerdings nur, weil die Bundesregierung 50 Millionen Euro mehr auf den Tisch legen wird als der US-Bundesstaat Nebraska. Matching nennt sich dieses Spiel der Wirtschaft beim Schlussspurt um die höchsten Subventionen.

Elf Milliarden aus dem alten Marshallplan verteilt

Der Verweis auf die USA oder China, mit denen Deutschland in Konkurrenz steht, hilft da nur wenig. Die USA sind für ihren Schuldenberg allein verantwortlich, müssen niemanden um Erlaubnis fragen, wenn sie wie Joe Biden derzeit, Subventionen in Höhe von 1,2 Billionen Dollar verteilen, um die heimische Industrie anzukurbeln. Derlei Töpfe verwalten weder Habeck noch Bundesfinanzminister Christian Lindner, der bekanntlich konsequent auf Haushaltsdisziplin pocht.

Die Bundesregierung stellt 2024 insgesamt elf Milliarden an Wirtschaftsförderung aus ERP-Mitteln für mittelständische Firmen bereitstellen - also aus dem vom Bund verwalteten Sondervermögen des European Recovery Program. Zur Erinnerung: Das ist 1948 auf der Grundlage Marshallplans aufgelegt worden, um den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft zu fördern. Der Mittelstand selbst hält von Habecks Hilfspaketen nichts - die Unternehmer warten vergebens auf Entlastungen.

Zukunft fördern oder Geschichte fortschreiben

Man fragt sich deshalb in Reihen der Wirtschaft, ob da wirklich ein durchdachtes Konzept dahinter steckt oder nur schlichter Aktionismus. Habeck führt sich als Industrie-Kapitän Deutschlands auf, denn die großen Namenunserer Wirtschaftsgeschichte trügen „entscheidend zum sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft bei und auch zu ihrer demokratischen Stabilität“, glaubt er. Nikolas Stihl indessen warnt: „Wenn der Staat glaubt, voraussehen zu können, wo Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern künftige Wachstumspotenziale hat, wird das in acht von zehn Fällen nicht funktionieren.“

Selbst bei den einstigen Zukunftsbranchen, Windkraft und Solar-Industrie, hat sich Deutschland ziemlich vergrüßt. Von Politikern und Bürgern anfänglich mit Steuergeldern und hohen Verbraucherpreisen gepäppelt, sind sie nun nicht mehr wettbewerbsfähig gegen die Firmen aus Fernost. Die Branche der Solarzellen- und Modul-Hersteller, einst von den Grünen zur Schlüsselindustrie auserkoren, bekommt deshalb auch nichts mehr ab. Alle Proteste verhallen ungehört. Wie das Beispiel Meyer Burger aus dem sächsischen Freiberg zeigt. Die packen nun ihre Siebensachen und flüchten über den großen Teich in die Arme von US-Präsident Biden - und halten hier ihre Stellung lieber oben in den Schweizer Bergen.

Investitionen in der Schweiz als Running Gag

Die Schweiz ganz genau! Das ist allmählich so etwas wie der Running Gag jeder Wirtschafts-Diskussion. Der Motorsägen-Hersteller Stihl, der auf allen Kontinenten und selbst im australischen Outback für deutsche Wertarbeit dasteht (und keinen Abgas-Skandal hinter sich hat wie VW oder Mercedes zu Verantworten hat), droht also, künftig - angesichts von völlig vermessenen Vorstellungen von Arbeitszeit, Steuerabgaben und Bürokratielasten - lieber in der Schweiz produzieren zu wollen. Dort sei es zwar auch

recht teuer, aber die Produktivität ist trotzdem höher als bei uns im Lande. Was für ein Armutszeugnis, wenn das so eintrifft. Noch hat sich das Stihl-Management in Baden-Württemberg nicht endgültig entschieden, heißt es, es werde noch mit spitzen Bleistift gerechnet. Die Hoffnung stirbt zuletzt, möchte man unseren Regierungsvertretern zurufen.

Familienunternehmer stellen Standort in Frage

Wenigstens die Familienunternehmer des Landes können sich ja nicht ohne weiteres als vaterlandslose Gesellen gerieren und gleichfalls die Flucht nach vorne antreten. Wenn sich Kanzler Olaf Scholz und sein Wirtschaftsminister da mal nicht vertun. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen,

nannte die Ampelregierung Anfang April „Weltmeister im Ankündigen und unglaublich schwach in der Umsetzung“. Ja, selbst die Traditionsunternehmen, auf die sich die Politik in der Vergangenheit stets verlassen konnte, stellen den Standort Deutschland in Frage. 3,6 Millionen Familienunternehmen bilden das Rückgrat unserer Wirtschaft - 98 Prozent zählen zum Mittelstand. Das Münchner Ifo-Institut hat in einer breitangelegten Umfrage herausgefunden, dass 34 Prozent davon ihre Investitionen in den kommenden fünf Jahren in Deutschland reduzieren wollen. Statt Unterstützung schnürt die Regierung „Unterlassungspakete“, ärgert sich Gitta Connemann von der Mittelstands- und Wirtschaftsunion.

Für Logistik-Unternehmer Rolf Schnellecke aus Wolfsburg wiederum hat es sich die Gesellschaft bequem gemacht, während in Berlin „leider nur Kopflosigkeit regiert“. Katharina Kreitz, die Chefin der Firma Vectoflow, verzweifelt an der „irren Anspruchsmentalität“. In den USA nennt man das „Entitlement“ - wenn die Bürger glauben, sie hätten auf alles einen Anspruch, es sei Staatsaufgabe zu helfen, wenn es anderen nur ein Fünkchen besser geht.

Wie das Land zum Umverteilungsstaat geworden ist

Natalie Mekelburger, ebenfalls Repräsentantin eines der erfolgreichen Familienunternehmen, fehlt jeglicher Sinn für Logik und Konsistenz. Erst werden zig Milliarden in die Förderung der Elektromobilität geschüttet, und dann, als die Bürger endlich zum Umdenken bereit scheinen, werden von der Bundesregierung die Kaufprämien gekappt. Sie hält Deutschland für einen gescheiterten „Umverteilungsstaat“. Atomkraft, Solarbranche, Windkraft, Elektromobilität - alles wird zugleich angeschoben und Bürgern als alternativlos verkauft. Die Folge seien „jede Menge Verbote, Kontrollen, neue Regeln und Gesetze, für deren Einhaltung man dann weitere Beamte braucht“, sagt Mekelburger mit einem Anflug von Galgenhumor.

Und so wird die Liste der Unternehmen, die Deutschland verlassen wollen, immer länger: Conti und Miele bauen Jobs im Lande ab und richten ihren Fokus auf das Ausland neu aus. Martin Herrenknecht, dessen Unternehmen mit Tunnelbaumaschinen erfolgreich auf dem Weltmarkt agiert, hat die Stimmung in einen Interview so zusammengefasst: „Wenn man auf die Ampelregierung schaut, die das Geld mit der Gießkanne verteilt, sind solche Schritte nachvollziehbar. Die Sozialpolitiker haben mit Entscheidungen wie dem Bürgergeld eine welle angestoßen, die nun die Forderungen nach Lohnerhöhungen von 12,5 Prozent und nach der Vier-Tage-Woche zur Folge hat.“ Die Welt bekommt das natürlich auch mit, warnt Herrenknecht. „Die Ampel zerstört den Mythos von Made in Germany.“

Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) warnt: „Im Standortwettbewerb verliert Deutschland en Anschluss.“ Es wird Zeit, dass Robert Habeck und sein Ministerium entscheiden, wo die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb mithalten kann, und sollte besser diese Branchen stärken.

 

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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