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Bertelsmann-Studie: Wie nachhaltig sind deutsche Unternehmen?

Lesezeit: 4 min
25.05.2024 16:12
Die Transformation deutscher Unternehmen befindet sich an einem entscheidenden Wendepunkt, der von der zunehmenden Digitalisierung, dem Druck zur Nachhaltigkeit und den Herausforderungen der globalen Wirtschaft geprägt ist. Das gelingt mal besser, mal schlechter, wie die Bertelsmann-Studie belegt.
Bertelsmann-Studie: Wie nachhaltig sind deutsche Unternehmen?
Corporate Sustainibility setzt neue Maßstäbe für die Offenlegung von Klima- und Umweltdaten, gleichzeitig setzen sich Unternehmen mit der globalen Wirtschaft auseinander. (Foto: dpa)
Foto: Sebastian Kahnert

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Seit Festlegung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) im November 2022 werden Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit und Offenheit verpflichtet. Dies betrifft in der Europäischen Union fast 50.000 Unternehmen, davon in Deutschland circa 15.000, welche die Normen für die Offenlegung ihrer Klima- und Umweltauswirkungen einhalten müssen. Die Richtlinie ist seit 2024 in Kraft und markiert nun den Beginn der Berichtsphase für die Unternehmen.

Die Berichtserfassung wird erstmals mit den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) auf eine einheitliche verbindliche Grundlage gestellt, was die Sache nicht einfacher macht.

Das Regelwerk ist mächtig und hat enorme Auswirkungen auf die Unternehmen. Zum einen müssen Kapazitäten für die Aufbereitung umfangreicher Berichte zur Verfügung gestellt werden. Zum anderen sind zum Teil ganze Geschäftsmodelle betroffen. So bekommen es gerade die Automobilhersteller besonders zu spüren. Diese stehen bereits durch verschiedene Regulierungen unter erheblichem Druck. Während die CSRD die Transparenz und Rechenschaftspflicht der Automobilbranche in Bezug auf Nachhaltigkeit deutlich erhöhen wird und Anpassungen in den Berichtsstrukturen und Prozessen erforderlich macht, wächst der Wettbewerbsvorteil für die Automobilanbieter aus China, die sich bisher nicht daran halten müssen.

Andere Unternehmen kehren aktuell der Klimapolitik, zumindest auf dem Papier, den Rücken zu. So traten erst jüngst Unternehmen aus der Versicherungsbranche aus der Klima-Allianz heraus. So zum Beispiel die Munich RE, Swiss RE und die Zurich Insurance. Trotz Austritts seien sie bestrebt die gesetzten Nachhaltigkeitsambitionen umzusetzen und den Netto-Null-Übergang voranzutreiben.

Auch die Vermögensverwalter JPMorgan und State Street sind aus dem „Climate Action100+“ Abkommen ausgestiegen. Der Ölkonzern Exxon machte im Februar dieses Jahres auf sich aufmerksam, indem er Druck auf Brüssel ausübte. Die Pläne bis 2027 rund 20 Milliarden US-Dollar für Dekarbonisierungsprojekte zu investieren, könnten sich bei ihnen angesichts des regulatorischen Aufwands und der mühsamen Genehmigungs- und Finanzierungsverfahren in Europa noch ändern und stattdessen überlegen sie, in anderen Teilen der Welt zu investieren. Wie das Unternehmen im Nachrichtensender „ntv“ zitiert wurde, hätten die ehrgeizigen Klima-Vorschriften sehr negative Auswirkungen auf die Unternehmen, so ihr Fazit.

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und ihre Auswirkungen

Die Bertelsmann-Studie „Sustainability Transformation Monitor 2024“ zeigt, wo die Hürden bei den Unternehmen aktuell liegen. Sorge vor Inflation werden als ein großes Hemmnis beim Thema Nachhaltigkeit genannt. Weitere Hemmnisse innerhalb der Unternehmen sind mangelnde personelle oder finanzielle Ressourcen sowie Schwierigkeiten bei der Datenbeschaffung und Datenzusammenführung. Kein Wunder handelt es sich doch im Bereich Nachhaltigkeit auch viel um nicht zahlenmäßig erfassbares Engagement und nichtfinanzielle Berichtspflichten. Nach dem heutigen Verständnis sind dies die Offenlegung von nichtfinanziellen Unternehmensinformationen, um Kapitalanlegern, Kreditinstituten und Stakeholdern eine verlässliche Einschätzung des Unternehmens zu gewähren.

So geben zwei Drittel der Unternehmen an, den eigenen Treibhausgas-Fußabdruck als Klimaziel gesetzt haben. Doch wissenschaftlich vorgehen tun nur die wenigsten dabei. Die Themen, die am weitesten fortgeschritten sind, sind Klimaschutz/Dekarbonisierung, Weiterbildung und faire Bezahlung der eigenen Mitarbeiter. Zwei Themen davon sind in Zahlen besser erfassbar. Der Bericht muss am Ende obligatorisch durch einen externen Wirtschaftsprüfer abgenommen werden.

Unterstützung wäre hilfreich, doch die vermissen die Entscheider an bestimmten Stellen. Die Hälfte der Befragten (von insgesamt 2.500) sagen, dass sie sich durch Kammern und klassische Wirtschaftsverbände bei ihrer Nachhaltigkeitstransformation nicht hinreichend unterstützt fühlen. Und trotz der Notwendigkeit, die das Thema Nachhaltigkeit im Großen besitzt, sehen 22,3 Prozent der Unternehmen hierbei keine strategische Relevanz für ihr eigenes Unternehmen.

Der Großteil (80,5 Prozent) geht das Thema daher strategisch an. Doch es ist eine Änderung in den Unternehmen zu beobachten, wo das Thema angesiedelt wird. Denn nachdem nun die Vorstände und Geschäftsführenden selbst Verantwortung für die Ergebnisse tragen, wird es seltener auf Kommunikations- oder Human Resources-Abteilungen übertragen. Eher findet es sich jetzt im Bereich Strategie oder Business Development wieder. Einige Unternehmen gehen langsam über, das Thema einer eigenen Organisationseinheit zu überlassen. Durch die neue Gesetzgebung findet zunehmend eine Professionalisierung des Nachhaltigkeitsmanagements statt, das zeigen auch die Ergebnisse.

In der sich schnell entwickelnden Unternehmenslandschaft von heute stehen die Unternehmen vor einer doppelten Herausforderung: Sie müssen im digitalen Zeitalter wettbewerbsfähig bleiben und gleichzeitig ihrer Verantwortung für Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung gerecht werden. Doch die wirtschaftliche und geopolitische Situation hemmt sie dabei.

Dass sich nachhaltiges Engagement lohnt, zeigt das Kölner Modelabel „Armedangels“. Seit 2007 produziert das Unternehmen Mode nach verantwortungsvollen Standards und sammelt zudem über den Verkauf Spendengelder für Projekte und Organisationen. Mittlerweile zählt das Unternehmen mit 160 Mitarbeitern und vier Kollektionen pro Jahr zu den größten nachhaltigen Lifestyle Labels in Europa. Sie profitieren davon, dass das Bewusstsein und die Anerkennung ethischer Standards gewachsen ist. Rohstoffquellen und Qualität werden nach eigenen Angaben sorgfältig ausgewählt, darüber hinaus setzt sich das Unternehmen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung ein. Sie veröffentlichen die Liste ihrer direkten Lieferanten und versuchen stets eine transparente Lieferkette zu haben. Kontrolliert wird alles durch einen neutralen und unabhängigen Auditor. 2022 wurden sie dafür von der Fair Wear Foundation mit dem Performace Check bewertet und mit dem Status „Leader“ versehen. Ein Jahr darauf erhielt das bekannte Modelabel „S. Oliver Group“ die Einstufung „gut“ von den Prüfern, die ebenfalls um transparente Nachhaltigkeit im Unternehmen bemüht sind.

Gewässer- und Meeresschutz bleibt großes Thema

Alles in allem geht es voran mit der Umsetzung der Nachhaltigkeitsthemen in Deutschland, wenn auch langsam. Die Ergebnisse der Bertelsmann-Stiftung decken sich teilweise mit den Ergebnissen des Umweltmonitors 2024. In beiden Berichten wird der Fortschritt und die Erfolge bei den Emissionen von Treibhausgasen und Umweltverschmutzung erwähnt. So wurden 2023 genau 10,1 Prozent oder 76 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase freigesetzt als noch ein Jahr zuvor. Das ist der stärkste Rückgang seit 1990. Allerdings ist der Verkehrssektor nicht auf Kurs und muss noch nachbessern. Gleichzeitig kritisieren beide Publikationen den Stand Gewässer- und Meeresschutz. Es befindet sich immer noch zu viel Nitrat im Grundwasser. Ein Grund dafür liegt in den Nährstoffeinträgen aus der Landwirtschaft. Weiterhin gelangen große Mengen an Müll in die Nordsee.

Es ist noch reichlich Luft nach oben. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen gaben an, nur teilweise „on track“ zu sein, wie es heißt, die angestrebten Klimaziele zu erreichen. Mangeln tut dies unter anderem auch am fehlenden Personal. Auch im Bereich Förderprogramme besteht Bedarf. 68,6 Prozent der Befragten kennen bisher keine passenden Fördermöglichkeiten. Hier ist Aufklärung und die Politik gefragt.

 

                                                                            ***

Sofia Delgado ist freie Journalistin und arbeitet seit 2021 in Stuttgart, nachdem sie viereinhalb Jahre lang in Peking gelebt hat. Sie widmet sich gesellschaftskritischen Themen und schreibt für verschiedene Auftraggeber. Persönlich priorisiert sie die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als dringendste Herausforderung für die Menschheit.

 


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