Technologie

Globalisierung Gesundheitswesen: Das gelbe Impfbuch aus Papier wird digital

Milliarden Covid-Impfzertifikate haben als Nachweise ihre Gültigkeit verloren. Der traditionelle Impfpass soll an die Stelle der ausgelaufenen Corona-Zertifikate treten– bald auch in digitalisierter Form. Eine bessere Vorsorge vor weiteren Pandemien und Lockdowns – oder wird der E-Impfpass zur Vorlage für neue globale Pflichtimpfungen?
18.06.2024 19:03
Aktualisiert: 20.06.2030 18:00
Lesezeit: 6 min
Globalisierung Gesundheitswesen: Das gelbe Impfbuch aus Papier wird digital
Impfnachweis: Gelber Papierausweis wird digital. Fluch oder Segen für künftige Pandemien? (Foto: dpa) Foto: Stefan Puchner

Der elektronische Impfpass, kurz eIP, ist eine digitale Version des herkömmlichen Impfpasses. Er umfasst abgespeicherte Details zu allen bisher erhaltenen Impfungen, wie Informationen über den Impfstoff, das Datum der Impfung und den Impfarzt. Der eIP ist nicht zu verwechseln mit dem digitalen Impfnachweis, der nach einer Impfung gegen COVID-19 ausgestellt wurde.

„Es ist ernst, nehmen sie es auch ernst!“

Es ist ein Mittwoch im März 2020, als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer außerordentlichen Fernsehansprache diese Worte spricht. Und es ist einer der Momente, in denen gefühlt die ganze Nation auf den Bildschirm schaut. Ganze drei Jahre vergehen, bis Jens Spahns Nachfolger, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, die Corona-Pandemie Anfang April 2023 offiziell für beendet erklärt. Fast geräuschlos am Rande einer Pressekonferenz. Am 5. Mai 2023 hebt auch die mächtige Weltgesundheitsorganisation WHO den gesundheitlichen Notstand in Bezug auf Corona auf. Und jetzt, ein Jahr später nach dem offiziellen Ende der überstandenen Pandemie mit möglichen Mehrimpfungen durch mRNA-Impfstoffe, stellen sich viele Bürger die Frage, was sie mit den Impfzertifikaten, Nachweisen und Corona-Apps machen sollen. Am liebsten alles löschen und wegschmeißen? Aber was, wenn eine neue Pandemie ausgerufen wird?

Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie hatten die meisten EU-Länder Reise- und Kontaktbeschränkungen und verschärfte Lockdownbedingungen erlassen: Kultur, Gastronomie, Krankenhäuser, Pflegeheime, Schulen und Kindergärten waren besonders betroffen. Menschen mit ausreichendem Impfschutz oder einer Genesung von der Infektion konnten schrittweise wieder am Leben teilnehmen. Für eine einfache, einheitliche Dokumentation hatte die EU die digitale Corona-App entwickelt. Mit der CovPass-App schuf das Robert-Koch-Institut (RKI) im Jahr 2020 erstmals eine Möglichkeit, COVID-19-Vakzine digital zu verwalten. Das Konzept war für die freiwillige Nutzung und als Ergänzung zum bis dahin allein gültigen gedruckten gelben Impfbuch angelegt.

Wir haben nachgefragt: Die RKI-CovPass-App wurde offiziell zum 31.12.2023 eingestellt, somit auch die Verarbeitung personenbezogener Daten, denn es wurden auch die Server, die für einige Prozesse notwendig sind, seitens des RKI komplett abgeschaltet. Die CovPass-App kann seit Neujahr auch nicht mehr aus den App-Stores von Google und Apple heruntergeladen werden, da sie hier entfernt worden ist.

Nach aktuellen EU-Angaben sind in das System über 2,2 Milliarden Zertifikate eingepflegt worden. Außer den 27 EU-Staaten hatten sich auch 51 weitere Länder außerhalb der Europäischen Union angeschlossen.

E-Impfpass wird Bestandteil der digitalen Patientenakte

Milliarden Covid-Impfzertifikate haben als Nachweise ihre Gültigkeit verloren. Doch hinter den Kulissen wird an einem noch größeren Nachfolgeprojekt gearbeitet: Das gelbe Impfbuch der Weltgesundheitsorganisation soll digitalisiert werden. Denn seit der Corona-Pandemie läuft die Digitalisierung des Gesundheitswesens auf Hochtouren – neben der digitalen Patientenakte (ePA) steht auch der digitale Impfpass in den Startlöchern. Das Bundesgesundheitsministerium empfiehlt daher, die Impfzertifikate in Papierform oder ausgedruckte Impfkarten aufzubewahren. Es wird derzeit geprüft, wie die Nachweise in der neuen Patientenakte integriert und gespeichert werden können.

Mit Start der ePA werden in verschiedenen Ausbaustufen die Voraussetzungen für die digitale Unterstützung des Medikationsprozesses und die Integrierung des elektronischen Impfpasses geschaffen. Unabhängig davon können schon heute in den elektronischen Patientenakten einzelner Krankenkassen die Impfdaten durch die Versicherten selbst eingepflegt werden, sodass sich die Versicherten beispielsweise an Impfungen erinnern lassen kann. Für Impfungen gibt es schon seit Jahren die technischen Voraussetzungen einer elektronischen Dokumentation. Der elektronische Impfpass war das erste Medizinische Informationsobjekt (MIO), das die dafür zuständige Kassenärztliche Bundesvereinigung im Jahr 2021 fertiggestellt hat.

Gelber Impfpass wird zur App: Vorteile und Vorsorge vor der nächsten Welle

Die meisten dürften es schon erlebt haben: Nach Impfungen bekommt man einen winzigen Schnipsel mit den Daten zum Wirkstoff ausgehändigt, mit der Aufforderung, bei Gelegenheit den Impfpass in der Hausarztpraxis auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Oft beginnt dann die hektische Suche nach dem gelben Heft.

Mehr Sicherheit, die Informationen stets auf dem neuesten Stand zu haben, bietet der elektronische Impfausweis: Mit der elektronischen Patientenakte (ePA) wird es perspektivisch möglich sein, Daten zu Impfungen, die Versicherte erhalten haben, digital verfügbar zu haben. Auf diese Weise können Versicherte Impfungen digital vorweisen und künftig auch von möglichen Mehrwerten, wie einer digitalen Impf-Erinnerung, profitieren. Zugleich können bestehende Impflücken schneller erkannt und notwendige Impfungen nachgeholt werden. Auch wird die Übersicht bestehender Impfungen, sowohl für den Versicherten als auch für den Arzt, die medizinische Versorgung erleichtern, gerade, wenn ein verlorener Impfausweis in Papierform im Bedarfsfall nicht mehr zur Verfügung steht. Besonders impfende Ärzte sollen von einer aufwandsarmen und weitgehend automatisierten Übertragung von Impfdaten in die ePA profitieren.

Die digitale Dokumentation von Impfungen soll in der ePA nach einer festen Struktur, basierend auf internationalen Standards, erfolgen, die sicherstellt, dass Daten zwischen der ePA und den verschiedenen digitalen Systemen der Gesundheitsversorgung ausgetauscht und weitergenutzt werden können.

CDU-Gesundheitsexperte: „Ohne die konsequente Digitalisierung ist unser Gesundheitssystem nicht zukunftsfähig.“

Der CDU-Politiker Erwin Rüddel, Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Digitalisierung im Gesundheitswesen, ist ein Unterstützer des elektronischen Impfausweises. Wie er den DWN gegenüber aktuell bestätigte, „könnte die elektronische Impfdokumentation alsbald umgesetzt werden“. Er kritisiert die langsame Umsetzung: „Leider gibt es im Bundesministerium der Gesundheit aber aktuell keinen konkreten Fahrplan für die verpflichtende Einführung des digitalen Impfnachweises. Wir könnten gerade jetzt auch den digitalen Impfpass zügig brauchen.“

EU-Kommission unterstützt Pläne der WHO

Die Pläne zur Digitalisierung des gelben Impfpasses sind Teil eines globalen digitalen Netzwerks für Gesundheitszertifizierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Unterstützung der EU-Kommission, das auf den digitalen EU-Impfnachweisen aus der Corona-Pandemie basiert. Dafür übernimmt die WHO das System hinter den EU-Zertifikaten für Impfungen oder Genesung, einschließlich seiner Grundsätze und Technologie. Die WHO begründet diesen Schritt damit, die globale Vorsorge gegenüber zunehmenden Bedrohungen für die Gesundheit zu stärken.

Für CDU-Gesundheitsexperte Erwin Rüddel müssen Chancen und Risiken in Fragen des Datenschutzes abgewogen werden. Die derzeitige Gesetzgebung gehe „in die richtige Richtung. „Wichtig ist aber auch, dass neben der staatlichen Verantwortung die Eigenverantwortung des Bürgers für die Sicherheit seiner persönlichen Daten nicht außer Acht gelassen werden darf.“ Auch bestätigte er der DWN-Redaktion, dass die World Health Organisation das digitale COVID-19-Zertifizierungssystem der EU übernommen hat und dabei auch „die Übernahme europäischer Standards angekündigt wurde“. Rüddel räumt ein: „Sicherlich wird die WHO diesen Prozess im Rahmen ihrer eigenen Struktur fortentwickeln.“

Das digitale EU-Corona-Zertifikat ist zwar Geschichte, aber mit dem wesentlich umfangreicheren digitalisierten gelben Impfbuch wird ein neues Kapitel der Pandemiebekämpfung weltweit geschrieben. Ohne die Erfahrungen der EU mit den digitalen Covid-Zertifikaten wären die WHO-Digitalisierungspläne nicht so schnell vorangekommen, und sie hätten auch andere geringere Hürden für den Umgang mit den gespeicherten Daten enthalten.

Die bisherigen digitalen Impfbücher von Privatanbietern dienen vor allem der Übersicht der eigenen Gesundheitsdaten für den jeweiligen Nutzer. Eine amtliche Gelbe-Impfbuch-App kann dagegen weltweit anerkannt sein und mit zu scannenden Codes Reisenden die jeweils erforderlichen Nachweise erleichtern – etwa für Impfungen gegen Polio oder Gelbfieber. Das geht nur mit einer technischen Verbindung zwischen EU- und WHO-Systemen.

Auf Anfrage der DWN, ob der E-Impfpass verpflichtend eingeführt werden soll, teilte das Bundesministerium für Gesundheit Ende Mai schriftlich mit: „Die Frist, bis zu der die elektronische Impfdokumentation als weiterer nutzbringender Anwendungsfall der ePA umzusetzen ist, ist gemäß § 342 Absatz 2c SGB V durch das Bundesministerium für Gesundheit im Wege einer Rechtsverordnung festzulegen. Ab diesem Zeitpunkt ist die elektronische Impfdokumentation verpflichtend von den in die Impfung einbezogenen Leistungserbringern zu nutzen.“ Es gibt sie also noch nicht.

Weiter heißt aus auf unsere Frage, wann mit einer Einführung zu rechnen ist: „Für eine grenzüberschreitende Anerkennung und interoperable Nutzbarkeit der Impfnachweise in elektronischer Form bedarf es zusätzlich einheitlicher Vorgaben der WHO zu Struktur und Format der elektronischen Impfdokumentation, die diese noch festlegen muss.“

Globaler E-Impfpass: Fluch oder Segen für künftige Pandemien?

Die Globalisierung und Digitalisierung der Gesundheitspolitik sind nicht mehr aufzuhalten. Die Corona-Pandemie war sicherlich der Auslöser und die Covid-Apps letztendlich der Vorläufer vom zukünftigen elektronischen Impfausweis. Dennoch bleibt bei so viel Fortschritt bei vielen Bürgern ein ungutes Gefühl und eine Grundskepsis, auch aus Gründen des Datenschutzes. Der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geplante Pandemievertrag und die geänderten internationalen Gesundheitsvorschriften können eine Chance zur internationalen Pandemiebekämpfung, aber eben auch ein Eingriff in die Souveränität der Nationalstaaten und der Rechte ihrer Bürger sein. Im Moment steht eine Einigung der 194 Mitgliedsländer auf ein gemeinsames Pandemieabkommen noch aus, doch WHO-Chef Tedros hält an weiteren Verhandlungen fest. Der neue Pandemievertrag soll das gemeinsame Vorgehen der Mitgliedsländer im Falle neuer möglicher Pandemien regeln. Das beinhaltet unter anderem die Ausrufung einer pandemischen Situation, mögliche Maßnahmen und Vorgehensweisen sowie den Umgang mit Patenten für Medikamente. Seit zwei Jahren laufen die weltweiten Beratungen, denn die Länder und die Bürger haben Bedenken, dass die WHO zu einer Art „Gesundheitspolizei“ wird.

Drei harte Corona-Jahre haben eine ganze Gesellschaft verunsichert und auch gespalten – in Impfbefürworter und Impfskeptiker. Es bleibt abzuwarten, ob der digitale Impfpass, die Zweifel ausräumen kann und seine Vorteile überzeugen.

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Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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