Technologie

Digitalisierung im Gesundheitswesen lahmt weiterhin

Lesezeit: 5 min
22.06.2024 07:00  Aktualisiert: 18.06.2030 09:20
Obwohl in Deutschland das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz/DigiG) Ende 2023 verabschiedet wurde, kommunizieren Krankenhäuser und Praxen noch immer weitestgehend mit Post und Fax. Wo liegen die Gründe und welche Lösungen gibt es?
 Digitalisierung im Gesundheitswesen lahmt weiterhin
Bereits seit dem ersten Januar 2024 sind elektronische Rezepte Pflicht in Praxen und Apotheken. Doch der Datenschutz steht weiteren Entwicklungen im Weg (Foto: dpa).

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Die elektronische Patientenakte und das E-Rezept kommen nur zögerlich voran. Auf der einen Seite ist der Wunsch nach Vereinfachung und besserem Zugriff auf Daten da, auf der anderen Seite geißelt der Datenschutz gleichzeitig die Umsetzung. Der finanzielle Druck, unter dem das Gesundheitswesen steht, macht die Sache nicht einfacher. Dabei scheint die Lösung so simpel.

Datenschutz: Behindern besorgte Bürger die Digitalisierung?

Die Herausforderungen sind groß, unter dem die Transformation des Gesundheitswesens steht. Denn sowohl die Versorgung als auch die gesundheitsbezogene Forschung wird immer datenintensiver. Doch die Skepsis in der Bevölkerung vor der Weitergabe persönlicher Daten ist auch weiterhin sehr groß laut einer PwC-Umfrage (From healthcare to life care) von 2023 – vor allem die Skepsis gegenüber digitalen Vorsorgeanwendungen wie Apps oder Wearables sowie der Weitergabe individueller Daten.

Ganz unbegründet sind die Sorgen der Bürger nicht. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), hat erst kürzlich eingeräumt, dass die Bedrohung im Cyber-Raum so hoch wäre wie noch nie. Nicht mehr nur große, zahlungskräftige Unternehmen stehen im Mittelpunkt der Kriminellen, sondern zunehmend auch kleine und mittlere Organisationen sowie staatliche Institutionen und Kommunen. Auch durch das Aufkommen der Künstlichen Intelligenz (KI) ist das Risiko nochmals erhöht worden. Mittels der neuen Technologie können auf einfache Weise Schadcodes erzeugt werden.

Doch genauso wie die Künstliche Intelligenz Risiken birgt, kann sie auch von großem Nutzen im Bereich des Gesundheitswesens sein. Dezentrale Datenbanken der Blockchain-Technologie finden bisher kaum Anwendung im deutschen Gesundheitswesen, obwohl Experten sie für sehr gut geeignet halten. Die hohe Regulierungsdichte im Gesundheitswesen steht auch hier dem Fortschritt im Wege und verhindert eine schnelle Implementierung neuer Techniken. Solange dieser Weg verschlossen bleibt, müssen andere gegangen werden, um die Daten sicher zu machen.

Maßnahmen könnten Protokollierungen und Überwachung des Zugriffs auf sensible Daten zur Nachverfolgung von Missbrauch sein:

  • die Verschlüsselung von Datenleitungen und Datenträgern, um im Falle eines Diebstahls oder Hacks die Daten unbrauchbar zu machen
  • Mitarbeiter auf dem Weg in die Digitalisierung besser abholen und sie mittels Trainings auf Risiken und korrektes Verhalten im Umgang mit Patientendaten zu trainieren
  • Evaluation und Zertifizierung der Informationssicherheit nach Standards wie ISO 27001 wäre ein Baustein gegen Missbrauch

Ineffizienz und Koordination im Gesundheitssystem

Der gordische Knoten bleibt noch durch ein weiteres Problem ungelöst. Nach Schätzungen von WHO-Experten sind bis zu 20 Prozent der Gesundheitsversorgung ineffizient. Das bedeutet, dass sie nicht zu besseren Gesundheitsergebnissen beitragen. Ein Großteil dieser Ineffizienz sei auf mangelnde Koordination innerhalb der Gesundheitssysteme zurückzuführen.

Noch immer dominieren in den meisten Arztpraxen die Patientenakten auf Papier. Katrin Alberding, Mitgründerin von dem Start-up Kenbi, welches die Pflegedienste digitalisieren möchte, kennt die Probleme nur zu gut. Im Gespräch mit den DWN sagt sie: „Datenschutz und Datensicherheit ist eine Hürde in Bezug auf die Sammlung und Verwendung von Gesundheitsdaten. Hinzu kommt, dass die technische Infrastruktur, in welcher Daten verarbeitet und geteilt werden dürfen (Telematik-Infrastruktur), zentralisiert in den Händen der Regierung verweilt, welche den Rollout dieser Infrastruktur bis dato immer wieder verschoben hat und zum Teil mit bereits überholten, einschränkenden Technologien arbeitet. Innovative Start-ups müssen um diese Einschränkungen herum entwickeln und können so nicht immer die volle Geschwindigkeit und Innovationskraft einbringen, um Interoperabilität mit vorgegebenen Core-Systemen gewährleisten zu können“, fasst sie zusammen.

Cloud-Anwendungen und Datenschutz im Gesundheitswesen

Es bedarf einer gewissen Anstrengung zu verstehen, warum sehr viele Menschen kein Problem damit haben, der Cloud-Technologie bei E-Mails, in den soziale Medien oder beim Online-Banking offen gegenüberzustehen, es anwenden und wenig Risikobewusstsein an den Tag legen. Wenn es aber um die Weitergabe der eigenen Gesundheitsdaten geht, es ihnen schwerfällt, diese in elektronischer Form zu akzeptieren. Doch wie sieht der deutsche Klinikalltag aus?

Wenn Patienten von Krankenhaus zu Krankenhaus verlegt werden, können Übertragungsfehler im (Papier-)Medikamentenplan passieren. Auch nicht aufgelistete Diagnosen im getippten Arztbrief oder Missverständnisse zwischen den medizinischen Einheiten gehören zum Alltag. Stress, Zeitdruck, in Folge Unaufmerksamkeit und menschliches Versagen sind die Folge. So wird die Technik von gestern mit Begriffen von heute begründet: Datenschutz.

Dabei kann eine Daten-Cloud gerade im Gesundheitswesen große Dienste leisten. Vor allem eine gesamte Datenbasis zur Verfügung stellen, welches die Schnittstellenfehler verringert bzw. aufhebt. Mehr noch: Eine effiziente und personenzentrierte Gesundheitsversorgung, einschließlich elektronischer Gesundheitsakten, genomischer Sequenzierung, maßgeschneiderter Behandlungen und präventiver Ansätze kann ohne die fortschrittliche Datenverarbeitung einer Cloud fast nicht mehr gedacht werden. Diese Technologie könnte einen tiefgreifenden Wandel in allen Gesundheitssystemen ermöglichen, wird aber bisher langsamer angenommen als in anderen Sektoren.

Es gibt mehrere Hindernisse für die Einführung, darunter ein allgemeiner Mangel an Wissen und Verständnis für die Funktionsweise einer Cloud. Der Vorteil dieser Technologie liegt darin, dass die elektronische Patientenakte durch eine Vielzahl von Daten gefüttert werden kann – aus verschiedenen Quellen. Das kann die elektronische Waage zuhause sein oder das Smartband am Arm mit Gesundheitsfunktionen. Außerdem die Krankendaten vom Arzt zum Beispiel. Durch die vollständigen Daten über den Gesundheitszustand der Person kann bei Bedarf Präzisionsmedizin angewendet und bestenfalls ein individueller Behandlungsplan erstellt werden. Denn die Cloudtechnologie überzeugt gerade in der Verarbeitungsgeschwindigkeit von Daten. Die in einem Genom einer einzelnen Person enthaltenen Daten entsprechen mehr als 100.000 Fotos. Vor dem Einsatz von Cloud-Technologie benötigte ein Labor für die Verarbeitung von molekularen Paneldaten einer Person bis zu 10 Stunden. Jetzt kann dieser Vorgang innerhalb von 15 Minuten erledigt werden.

Die Medizin und Digitalisierung von morgen, denn von heute kann noch nicht gesprochen werden, wird anderen Regeln folgen. Heutzutage wird erst auf den Patienten geschaut, wenn er krank ist, dann erst die Diagnose erstellt und Daten über ihn gesammelt. In Zukunft und mit einer funktionieren digitalen Patientenakte werden Daten wie Risikofaktoren, Krankheiten oder der Impfstatus kontinuierlich gesammelt, sodass viel besser präventive Vorsorge erfolgen kann – und der Mensch im besten Falle erst gar nicht erkrankt.

Fehlenden Schnittstellen zwischen den Akteuren

Woran scheitert es bisher? Noch immer werden Gesundheitsdaten nicht standardisiert erfasst, da hierfür die Definitionen und Methoden fehlen. Es gibt bisher keine flächendeckende Interoperabilität zwischen den verschieden erfassten Datensätzen. Auch sind die Preise für die Software und Schaffung von Schnittstellen im Medizinbereich sehr hoch. In Amerika wurde das Schnittstellenproblem bereit 2016 per Gesetz und dem sogenannten „Information Blocking Act“ behoben. Patienten sollen dadurch leichter auf ihre eigenen Gesundheitsdaten zugreifen und diese Informationen zwischen verschiedenen Gesundheitseinrichtungen effizienter ausgetauscht werden können. Es verbietet Praktiken, die den Zugriff, den Austausch oder die Nutzung von Elektronischen Gesundheitsinformationen (EHI) unzulässig einschränken. Die Sanktionen für Verstöße können hoch sein und umfassen für Gesundheits-IT-Entwickler Geldstrafen von bis zu 1 Million US-Dollar pro Verstoß.

Bereits vor 20 Jahren hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Idee, die Befunde zu digitalisieren. Doch so richtig in die Umsetzung kam die Idee nicht. Nun soll die elektronische Patientenakte für alle Wirklichkeit werden. Auch elektronische Rezepte sind seit dem ersten Januar 2024 Pflicht in Praxen und Apotheken. Die Voraussetzungen dafür sind per Gesetz geschaffen worden. Das Gesetz zur elektronischen Patientenakte und das Gesetz zur Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung stecken den Rahmen ab. Letzteres ermöglicht es, persönliche wie sensiblen Daten anonym auch für die Forschung an Krankheiten und Therapien zur Verfügung zu stellen.

Spätestens 2025 soll die elektronische Patientenakte (ePA) flächendeckend eingeführt sein. Wer sie nicht haben will, muss aktiv dagegen widersprechen. Auf der elektronischen Akte sollen medizinischen Dokumente wie Röntgenbilder, Blutwerte, Diagnosen oder Vorbelastungen gespeichert werden. Was hoffnungsvoll klingt ist aber noch ein weiter Weg. „Wir kaufen z.B. immer noch Dienste auf, die keine Mobiltelefone nutzen und kaum Daten digitalisieren. Wir sehen daher eher eine wachsende Frustration und Unverständnis seitens der Pfleger, dass längst etablierte digitalisierte Wege in der Pflege noch keine Anwendung finden“, so Alberding.

                                                                            ***

Sofia Delgado ist freie Journalistin und arbeitet seit 2021 in Stuttgart, nachdem sie viereinhalb Jahre lang in Peking gelebt hat. Sie widmet sich gesellschaftskritischen Themen und schreibt für verschiedene Auftraggeber. Persönlich priorisiert sie die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als dringendste Herausforderung für die Menschheit.

 



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