Deutsche Unternehmen und Anleger stehen am Scheideweg. Trotz beeindruckender Rekorddividenden bei DAX-Konzernen, mangelt es ihnen an ausreichender Innovationskraft. Die fortschreitende Digitalisierung stellt deren häufig traditionelle Geschäftsmodelle in Frage und verändert die Wettbewerbslandschaft grundlegend. In dieser neuen Weltordnung gilt oft das Prinzip: „The Winner takes it all“. Um nicht von den großen US-Technologiekonzernen abgehängt zu werden, muss Deutschland seine Innovationskraft massiv stärken und den Wandel proaktiv gestalten.
Eine aktuelle Studie von EY unterstreicht diesen Handlungsbedarf: Die 500 weltweit führenden Unternehmen bei den F&E-Ausgaben haben im Jahr 2023 ihre Investitionen signifikant gesteigert. Während die Umsätze nur um zwei Prozent stiegen, erhöhten sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung um beeindruckende zwölf Prozent. Besonders bemerkenswert ist die Zunahme der US-amerikanischen Unternehmen in dieser Rangliste, deren Anzahl von 140 im Jahr 2018 auf zuletzt 169 gestiegen ist. Im Gegensatz dazu ist der europäische Anteil leicht von 142 auf 139 Unternehmen gesunken.
Warum die Lücke bei den Innovationsausgaben bedenklich ist
Der Unterschied wird besonders deutlich, wenn man die absoluten Zahlen der F&E-Ausgaben betrachtet: 2023 führten die USA mit beeindruckenden 533 Milliarden Euro, während Japan mit 87 Milliarden Euro und Deutschland mit 75 Milliarden Euro weit abgeschlagen folgen. Besonders besorgniserregend ist, dass sich diese Kluft im letzten Jahr weiter vergrößert hat.
Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung bei EY, betonte bei der Präsentation der Studie: „Damit droht die Schere zwischen den USA und Europa sowie Asien weiter auseinanderzugehen. Denn die F&E-Investitionen von heute sind die Innovationen von morgen und die Gewinne von übermorgen.“
In zahlreichen Branchen zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen hoher F&E-Intensität und höheren Gewinnen. Bei den 500 untersuchten Unternehmen liegt die EBIT-Marge der stark in F&E investierenden Unternehmen bei 14,5 Prozent, im Vergleich zu nur 11,2 Prozent bei unterdurchschnittlich investierenden Firmen. Besonders in den Bereichen Informationstechnologie und Gesundheitswesen führt eine überdurchschnittliche F&E-Intensität zu signifikant höheren Margen.
Innovative Unternehmen punkten auch bei Anlegern
Hohe F&E-Ausgaben führen nicht automatisch zu einer positiven Unternehmensentwicklung. Henrik Ahlers von EY betont jedoch: „Hohe F&E-Investitionen garantieren keinen dauerhaften Markterfolg. Doch die Daten zeigen eindeutig, dass erfolgreiche Unternehmen überdurchschnittlich stark in Forschung und Entwicklung investieren. Firmen, die dies nicht tun können oder wollen, dürfen keine großen Durchbrüche am Markt erwarten und laufen Gefahr, gegenüber der Konkurrenz zurückzufallen.“
Eine Analyse von Boston Consulting Group (BCG) verdeutlicht diesen Zusammenhang: Besonders innovative Unternehmen erzielen langfristig eine bessere Performance als der MSCI World Index. Dies Untersuchung identifiziert die 50 innovativsten Unternehmen der Welt, deren Index den MSCI World langfristig deutlich übertrifft.
Rekorddividenden und hohe Konzentration im DAX
Doch wie steht es um die deutschen Konzerne? Ein Blick auf den DAX zeigt ein gemischtes Bild. Einerseits meldet EY für 2024 beeindruckende Rekorddividenden der DAX-Unternehmen. Die Ausschüttungen steigen um 13 Prozent auf über 50 Milliarden Euro, was ein deutliches Zeichen für die aktuelle Profitabilität ist. Dieser Anstieg wirft aber auch Fragen auf, denn die hohe Ausschüttungsquote von 44,5 Prozent könnte zulasten von Zukunftsinvestitionen gehen.
Zudem konzentrieren sich die F&E-Ausgaben im DAX auf wenige Konzerne. Die zehn Unternehmen mit den größten F&E-Budgets tragen gemeinsam 93 Prozent aller Forschungsausgaben im DAX. Besonders auffällig ist, dass die Autobauer für über die Hälfte aller F&E-Ausgaben verantwortlich sind. Doch gerade in dieser Branche führt eine überdurchschnittliche F&E-Intensität gemäß der EY-Studie nicht zu deutlich höheren Margen. Diese Konzentration zeigt, dass viele DAX-Unternehmen noch erhebliches Potenzial haben, ihre Innovationskraft auszubauen und langfristig zu sichern.
Diese hohe Konzentration zeigt auch ein ZEW-Bericht. Demnach steigt zwar die Zahl der forschenden Unternehmen in Deutschland, aber die Anzahl der Innovatoren sinkt. 2008 galten noch 70 Prozent der befragten Unternehmen als Innovatoren, 2022 waren es nur noch 51 Prozent. Das ist problematisch, weil auch hier eine Konzentration der Innovationsaufwendungen bei größeren Unternehmen zu beobachten ist und die Zahlen auf einen Mangel an Markt- und Sortimentsneuheiten hinweisen.
Von der Theorie in die Praxis
Dabei bietet Deutschland gute Voraussetzungen für Innovation, insbesondere dank seiner renommierten Hochschulen. Laut dem Nature Index gehören deutsche Universitäten weltweit zu den führenden Institutionen in Bezug auf Forschungsleistung und wissenschaftliche Publikationen. Diese akademische Stärke bildet die Grundlage für technologische Fortschritte.
Allerdings verliert Deutschland z. B. im KI-Anwendungsbereich diese Talente an andere Länder. Laut dem Diskussionspapier „K hoch 3 – Innovationen in Deutschland“ zum Gipfel für Forschung und Innovation verlassen ein Drittel aller Hochschulabsolventen und -absolventinnen mit Doktortitel in einem KI-Anwendungsbereich Deutschland. Im Ausland locken höhere Gehälter und die Aussicht bei führenden Unternehmen an bahnbrechenden Technologien zu arbeiten.
Bundeskanzler Olaf Scholz betonte daher in seiner Eröffnungsrede bei diesem Gipfel, dass Deutschland nicht nur in der Grundlagenforschung führend bleiben müsse, sondern dass die Erkenntnisse auch von deutschen Unternehmen weiterentwickelt, vermarktet und verkauft werden müssten. Olaf Scholz möchte daher mehr Tempo beim Transfer von Forschung in die Praxis und kündigte besseren Zugang zu Kapital und einen Abbau von Bürokratie an.
Welche Weichen die Politik stellen kann
Deutschland liegt bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung im internationalen Vergleich aber grundsätzlich gut im Rennen. Laut dem Statistischen Bundesamt investierte Deutschland 2022 3,13 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in F&E. Zum Vergleich: Die USA erreichten 2021 laut Statista 3,47 Prozent.
Olaf Scholz betonte in seiner Rede daher auch die Bedeutung dieser Investitionen: „Was heute hier erfunden wird, das ist morgen unser Wettbewerbsvorteil. Forschung ist der entscheidende Erfolgsfaktor Deutschlands als erfolgreiches Industrie- und Exportland. Auch deshalb investieren wir gemeinsam ‑ Unternehmen und Staat ‑ so viel Geld in Forschung und Entwicklung wie noch nie.“
Henrik Ahlers betont jedoch, dass ein Abbau von Regulierungen und bürokratischen Hürden die Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmen weiter steigern könnte. Er schlägt vor: „Wir sollten Wege finden, Investitionen in Innovationen attraktiver zu machen – etwa durch Super-Abschreibungen, also beschleunigte Abschreibungen für F&E-Investitionen. Das wäre angesichts der hohen Steuersätze in Deutschland ein sehr wirksames und attraktives Instrument zur Wachstumsförderung.“
Wie schafft Deutschland den Anschluss
Deutschland droht trotz Rekordausgaben für Forschung & Entwicklung den Anschluss in einer zunehmend digitalisierten Welt zu verlieren, in der Daten und Algorithmen dominieren und der Markt von wenigen großen Plattformen beherrscht wird. Deutsche Unternehmen müssen daher innovative Wege finden, um in diesem Umfeld erfolgreich zu bleiben.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Disruption. Statt sich auf schrittweise Verbesserungen zu beschränken, müssen deutsche Firmen den Mut haben, bestehende Geschäftsmodelle radikal zu hinterfragen und neue, bahnbrechende Lösungen zu entwickeln. Die Digitalisierung bietet dafür enorme Chancen.
Deutschland hat das Potenzial, eine führende Rolle in der digitalen Welt einzunehmen. Politik und Wirtschaft müssen jetzt die richtigen Weichen stellen und gemeinsam in die Innovationskraft des Landes investieren, um im globalen Wettbewerb der Zukunft bestehen zu können.