Gut 70 Jahre ist es her, als der US-amerikanische Geologe Marion King Hubbert den Begriff des „Peak Oil“ prägte, gemeint war damit das Erreichen des Zeitpunktes, an dem das weltweite Fördermaximum an Rohöl erreicht sein würde. Hubberts Modelle prognostizierten dafür die 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts - wie sich herausstellte, wurde diese Vorhersage jedoch durch die tatsächliche Entwicklung widerlegt. Das Konzept des Peak Oil beruht auf der Theorie, dass die Ölförderung, wie bei anderen endlichen Ressourcen auch, irgendwann einen Höchststand erreichen wird und danach ein Rückgang der Fördermenge zu erwarten ist. Schließlich wird es zunehmend schwieriger und teurer, Öl zu gewinnen, da die leicht zugänglichen Vorkommen erschöpft und die verbleibenden nur noch unter immer höherem Aufwand zu erreichen und auszubeuten sind. Die damaligen Annahmen unterschätzten jedoch die technische Entwicklung sowohl hinsichtlich der zukünftig nutzbaren Explorationstechnologien als auch bezüglich der zur Anwendung kommenden Fördermethoden selbst, sodass Peak Oil nach dieser Definition noch immer nicht erreicht ist.
Und ebenso, wie mit Peak Oil ein Versiegen des „unerneuerbaren“ Energieträgers Rohöl gemeint sein kann, kann unter diesem Begriff in einer zweiten Bedeutung auch der Zeitpunkt des Versiegens der Nachfrage danach verstanden werden. Genau darauf zielt die jüngste Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA) ab, die das Nachfragemaximum nach Rohöl bereits für das Jahr 2028 annimmt. Das Hauptargument für diese Prognose ist dabei, dass sich die weltweite Energieversorgung auf saubere Energien verlagert. Jedoch unterschätzt die IEA jedoch zwei Schlüsselfaktoren, nämlich das Wachstum der Mittelschicht in Schwellenländern sowie den Energiebedarf für künstliche Intelligenz, eine völlig neue Nachfragequelle, die erst jetzt in den Energiebedarfsprognosen auftaucht.
IEA unterschätzt Energiehunger der Schwellenländer
Laut dem Bericht der IEA wird sich das Wachstum der weltweiten Ölnachfrage in den kommenden Jahren erheblich verlangsamen, da die hohen Preise und die Sorgen um die Versorgungssicherheit, die durch die globale Energiekrise hervorgehoben wurden, die Umstellung auf sauberere Energietechnologien beschleunigen werden.
In den USA werden aktuell pro Tag über 13,2 Mio. Fass Rohöl gefördert und zusätzlich noch ungefähr 6,7 Mio. Fass importiert, um den heimischen Bedarf zu decken. Die wichtige Frage, die die IEA in ihrer Prognose nicht hinreichend berücksichtigt, ist, welche Auswirkungen es auf die weltweite Energienachfrage hätte, wenn alle Menschen so energiereich lebten, wie die 1,2 Mrd. Menschen in der westlichen Welt. Was würde es für die anderen sieben Milliarden Menschen bedeuten, wenn sie den Lebensstil hätten, den Nordamerikaner, Europäer und einige andere Länder genießen. Laut Arjun Murti, einem ehemaligen Energieanalysten der Investmentbank Goldman Sachs und heutigem Partner bei der Energieanalysefirma Veriten, ergibt sich aus der Antwort darauf ein absoluter Bull-Case für Öl & Co.. Demnach verbraucht China derzeit 3,7 Fass pro Kopf und Jahr, Indien nur 1,7. Für den Aufstieg der Schwellenländer legt Murti einen Wert von zehn Fass pro Kopf und Jahr zugrunde. Das ist eine erhebliche Kluft, die sich schließen wird, da Wirtschaftswachstum und Energiewachstum ein und dasselbe sind. Ohne ausreichende Energie gibt es kein Wirtschaftswachstum.
Fossile Energieträger sind Wachstumsmotor
Auch im vergangenen Jahr erreichte die Nachfrage nach Erdöl mit mehr als 102 Millionen Fässern pro Tag abermals einen neuen Rekord. Eine ideologiefreie Betrachtung zeigt, dass fossile Energien notwendig sind, um ökonomischen Fortschritt zu erzielen, denn diese Energieträger sind in einzigartiger Weise in der Lage, kostengünstige und zuverlässige Energie für Milliarden von Menschen bereitzustellen. Und je mehr Menschen in den Genuss günstiger und allzeit verfügbarer Energie kommen, desto schneller können sie durch den mittel- und unmittelbaren Ressourceneinsatz Wohlstand generieren. Tatsächlich war die Welt noch nie ein besserer Ort für das menschliche Leben als heute, vor allem dank der beispiellosen Verfügbarkeit kostengünstiger Energie. So sind Lebenserwartung und Einkommen weltweit in die Höhe geschnellt. Lebten im Jahr 1990 noch fast zwei Milliarden Menschen in extremer Armut (38 Prozent der damaligen Weltbevölkerung) sind es heute nur noch rund 630 Millionen (acht Prozent). Damit Wohlstand generiert werden kann braucht die Welt mehr Energie. Noch immer haben Milliarden Menschen nicht die kosteneffiziente Energie, die sie zum Gedeihen brauchen, noch immer nutzt ein Drittel der Welt Holz oder Dung zum Heizen und Kochen. Es ist zudem ein Mythos, dass arme Länder fossile Brennstoffe einfach „überspringen“ und direkt Solar- und Windenergie nutzen werden. In der Geschichte gelang es bislang keinem heute wohlhabenden Land, auf fossile Brennstoffe zu verzichten. Jedoch ging jeder dramatische Anstieg des Wohlstands mit fossilen Brennstoffen einher.
Für wirtschaftliche Prosperität ist stets verfügbare und günstige Energie absolut notwendig. Seit Anfang 2022 zeigt sich in Europa sehr deutlich, wie groß die Abhängigkeit davon selbst in der sogenannten „Ersten Welt“ ist, und für Wachstumsstaaten gilt dies umso mehr. Wenn sich auch die Interpretation des Begriffes angesichts einer, zumindest in unserer Wahrnehmung, immer weiter ergrünenden Welt mit politisch wie moralisch möglichst korrekter Lebensweise in Richtung des Nachfrage-Peaks verschiebt, so dürfte sich die Realität doch anders entwickeln. Nicht jeder kann sich diesen Luxus erlauben, und insbesondere wirtschaftlich aufstrebende Schwellenländer sorgen durch ihren Energiehunger für einen weiteren globalen Nachfrageanstieg.
In China, als Beispiel, liegt der derzeitige Pro-Kopf-Bedarf pro Jahr bei 3,7 Fass Öl. Das entspricht etwa 15 Millionen Fässer pro Tag (BOPD, „Barrels of Oil per Day“). Wenn man 10 Fass pro Jahr und Kopf für das Wachstum der Mittelschicht hinzurechnet, kommt man auf 35 Mio. BOPD, um den chinesischen Energiebedarf zu decken. Selbst wenn China eine 100-prozentige Durchdringung mit Elektrofahrzeugen erreicht, was kaum möglich erscheint, bleiben immer noch 27 Millionen BOPD an Ölbedarf übrig. Davon produziert China etwa 4,1 Mio. BOPD selbst, so dass eine Lücke von etwa zwölf Millionen BOPD verbleibt, die importiert werden muss, um die derzeitige Nachfrage zu decken.
Künstliche Intelligenz beflügelt die Nachfrage
KI bietet auch der Energiebranche einen enormen Nutzen. Sie kann helfen, Exploration, Bohrung und Förderung effizienter zu machen, damit die Profitabilität der Unternehmen dieser Branche verbessern und dadurch den Angebots-Peak weiter in die Zukunft verschieben. Darüber hinaus benötigt diese Technologie schlicht enorme Mengen Strom, Strom, den alternative Energiequellen, mit Ausnahme der Atomkraft, nicht liefern können. Allein für die USA sehen Prognosen bereits in den nächsten fünf Jahren eine Erhöhung der auf KI fußenden Stromnachfrage um 81 Prozent, schon 2030 dürften die US-Rechenzentren mehr Strom verbrauchen als die Haushalte. In den USA werden laut Goldman Sachs bis 2030 acht Prozent des gesamten Strombedarfs auf Rechenzentren entfallen, gegenüber drei Prozent im Jahr 2022. Für Großbritannien sehen aktuelle Prognosen den KI-Strombedarf in den nächsten zehn Jahren um 500 % steigen.
Diese Entwicklung folgt auf Jahrzehnte relativer Stabilität, in denen sich die Stromnachfrage in den Industrieländern nur geringfügig änderte, selbst wenn ihre Wirtschaft wuchs. Diese Ära scheint nun zu Ende zu gehen, mit ernsthaften Auswirkungen auf die reale Welt. Eine der Auswirkungen dürfte sein, dass die Stromerzeugung weiterhin auf fossile Brennstoffe angewiesen sein wird. Zwar dürfte sich die KI-Nachfrage nicht direkt auf die Nachfrage nach Rohöl als Hauptquelle auswirken, die meisten Analysten rechnen mit Erdgas, um die KI-Nachfrage zu decken. Was sich auf die Nachfrage nach WTI und anderen Rohölsorten auswirken wird, ist das Verhältnis zur Ölproduktion und dem damit verbundenen Gas, das mitgefördert wird.
Fazit
Die Debatte über Peak Oil ist komplex und dauert an, und unter den Experten besteht keine Einigkeit darüber, wann er eintreten und welche Auswirkungen er haben wird. Seit der erstmaligen Veröffentlichung von Hubberts Theorie Ende der 50er Jahre haben sich die weltweiten Erdölreserven mehr als versechsfacht, zum einen durch Neuentdeckungen, zum anderen durch verbesserte technische Möglichkeiten. Auch Anzeichen für einen Nachfrage-Zenit sind schwer auszumachen, dazu müsste die Welt zunächst eine deutliche Verlangsamung des Verbrauchswachstums zeigen, und das ist bisher nicht der Fall. Tatsächlich ist nur ein sehr kleiner Rückgang des Anteils fossiler Brennstoffe am weltweiten Primärenergieverbrauch zu beobachten - von fast 86 % im Jahr 1997 auf etwa 82 % ein Vierteljahrhundert später. Dieser geringfügige relative Rückgang geht jedoch mit einem massiven absoluten Anstieg der Verbrennung fossiler Energieträger einher: derzeit verbraucht die Welt fast 55 % mehr Energie, die in fossilem Kohlenstoff gebunden ist, als noch vor 25 Jahren.
Das Beispiel China zeigt, welche enorme Nachfragesteigerung der Aufstieg der dortigen Mittelschicht mit sich bringen dürfte, trotz aller Dekarbonisierungsbemühungen. Technische Begrenzungen dürften sich jedoch als hinderlich erweisen. Der im Falle Chinas angenommenen Importbedarf von elf Millioneno BOPD ist handelbar, das bewiesen die USA, die noch bis 2005 in ähnlicher Größenordnung importierten. Indien hingegen wird etwa 40 Millionen BOPD importieren müssen, um den Standard von zehn Barrel pro Kopf und Jahr zu erreichen. Derzeit ist unbekannt, ob dies sowohl logistisch als auch aus Gründen der reinen Lieferkapazität überhaupt möglich ist.
Seit 2019 hat die weltweite Ölproduktion nur um etwa drei Millionen Fässer pro Tag zugenommen, aber damit die Armen der Welt reicher werden, muss noch sehr viel mehr Öl auf den Markt kommen. Und während man darüber streiten kann, ob die Nachfrageprognose der IEA pessimistisch (für die Ölindustrie) oder optimistisch (für die alternativen Energieträger) ist, dürfte ist in jedem Fall eines sein: unrealistisch.