Was passiert, wenn Führungskräfte sich zu sehr in die Angelegenheiten der Mitarbeiterschaft einmischen? Was bedeuten Beschwerden der Mitarbeiterschaft über dieses Thema für das Unternehmen? Diese Situation könnte auf Micromanagement hinweisen. Was macht diese Art der Führung mit der Arbeitsatmosphäre? Sie kann sie erheblich belasten und sowohl die Motivation als auch das Engagement der Mitarbeitenden negativ beeinflussen.
Im Interview mit Katrin Winkler, Professorin für Personalmanagement und -entwicklung, beleuchten die Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN) die Merkmale und Auswirkungen dieses Führungsstils und gehen auf mögliche Lösungen ein, wie Unternehmen und Führungskräfte Micromanagement vermeiden können.
DWN: Frau Winkler, wie definieren Sie das Micromanagement in den Unternehmen?
Winkler: Micromanagement bezeichnet einen Führungsstil, der durch fehlendes Vertrauen und starke Detailorientierung geprägt ist. Es zeichnet sich durch eine übertriebene Kontrolle der Mitarbeitenden aus. Micromanagenden Führungskräften fällt es dabei schwer, Aufgaben zu delegieren und ihren Mitarbeitenden die Autonomie zur selbstständigen und eigenverantwortlichen Umsetzung von Projekten zu gewähren. Stattdessen werden sehr detaillierte Vorgaben gemacht und Lösungswege vorgegeben, deren Umsetzung engmaschig kontrolliert wird.
DWN: Wie unterscheidet sich Micromanagement von einer detaillierten Führung?
Winkler: Micromanagement lässt sich unter anderem an dem Wunsch erkennen, bei allen Entscheidungen um Rat gefragt zu werden, sowie dem Einfordern regelmäßiger Updates und Statusberichte. Zudem ist eine Haltung kennzeichnend, in der Fehler als Schwäche betrachtet werden und negative Konsequenzen für Mitarbeitende drohen, wenn sie Fehler machen.
DWN: Welche typischen Merkmale und Verhaltensweisen zeichnen diesen Führungsstil aus?
Winkler: Bei einem Micromanager wird eine ständige Notwendigkeit zur Überprüfung und Korrektur der Arbeit der Mitarbeitenden wahrgenommen, was auf ein fehlendes Vertrauen in deren Fähigkeiten und Kompetenzen hindeutet. Ebenso kennzeichnend ist eine Neigung, sich in Details zu verlieren, anstatt sich auf das große Ganze zu fokussieren, sowie das Setzen unrealistisch hoher Maßstäbe. Schließlich kann auch eine mangelnde Anerkennung für bereits erledigte Aufgaben und Erfolge als Kennzeichen des Micromanagements betrachtet werden, während die Aufmerksamkeit stets darauf gerichtet ist, was verbessert oder geändert werden sollte.
DWN: Wie kann eine Führungskraft Detailorientierung zeigen, ohne ins Micromanagement abzudriften?
Winkler: Micromanagement ist eher negativ konnotiert, wohingegen Detailorientierung grundsätzlich nichts Schlechtes ist. Eine Führungskraft mit einem hohen Maß an Detailorientierung und Fokus auf Qualität kann als sehr positiv wahrgenommen werden, wenn sie durch diese Tendenz nicht ins Micromanagement abdriftet. Sie soll auch in der Lage sein, das große Ganze im Blick zu behalten. Wie so oft geht es um Balance.
DWN: Welche Gründe und Motive sehen Sie bei Führungskräften, die zu Micromanagement neigen?
Winkler: Als mögliche Gründe und Motive spielen hier sicherlich geschwächtes Selbstvertrauen und die Angst vor Kontrollverlust eine bedeutende Rolle. Mit ständigem Einmischen ist es der Versuch, jeden Arbeitsschritt selbst zu überwachen, vor dem Hintergrund der Sorge, dass Fehler gemacht werden und sie dafür die Verantwortung tragen. Hinter der Angst vor Kontrollverlust steht dabei meistens die Angst zu versagen. Ein weiterer Grund kann zugleich in einem fehlenden Vertrauen der Führungskräfte in ihre Mitarbeitenden liegen, das dann meist zu Überwachung und übersteigerter Kontrolle führt. Aber auch Selbstüberschätzung durch mangelndes Korrektiv kann ein Problem bei Firmeninhabern und erfolgreichen Managern sein. Diese Personen denken oft, dass sie besser als ihre Kollegen und Mitarbeiter sind und wollen deshalb alle Entscheidungen alleine treffen.
DWN: Welche Unternehmen sind mehr vom Micromanagement betroffen?
Winkler: Eine Studie von Daniel Schumacher und anderen Wissenschaftlern, die 2020 veröffentlicht wurde, zeigt, dass übermäßig selbstbewusste Manager oft schlechte Entscheidungen treffen. Die Studie untersuchte mehrere Unternehmen und fand heraus, dass Firmen, in denen Manager die Meinungen ihrer Mitarbeiter ignorierten, schlechtere Ergebnisse erzielten. Dies liegt daran, dass solche Manager glauben, ihre Fähigkeiten seien überlegen, was zu riskanten und isolierten Entscheidungen führt.
DWN: Hat das Problem auch mit dem Alter der Führungskräfte zu tun?
Winkler: Ich erlebe oft unter anderem im Coaching von jungen Führungskräften, dass sie zunächst lernen müssen, loszulassen und tatsächlich zu delegieren. Sie müssen verstehen, dass es wichtiger ist, Fragen zu stellen, um ihre Mitarbeiter zu unterstützen und ihnen bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu helfen, statt alle Aufgaben selbst erledigen zu wollen.
DWN: Wie verbreitet ist dieser Führungsstil statistisch in Deutschland?
Winkler: Ohne spezifisch auf Micromanagement einzugehen, zeigt eine Studie der Universität Bielefeld, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Universität Trier, dass destruktives Führungsverhalten in deutschen Unternehmen weitverbreitet ist. Aus der Analyse von 37.000 quantitativen Bewertungen und 3.700 Textkommentaren auf der Arbeitgeberbewertungsplattform Kununu von Mitarbeitenden aus 148 Unternehmen geht hervor, dass solches Verhalten in fast allen deutschen Unternehmen vorkommt. Dies belastet sowohl das Arbeitsklima als auch die Unternehmensleistung. Laut der Studie tritt toxisches Führungsverhalten in 85 Prozent der Unternehmen auf. 21 Prozent haben sogar ein ausgesprochen toxisches Führungsklima.
DWN: Wie spielt das Vertrauen in Mitarbeiter und das Delegieren von Aufgaben in das Phänomen des Micromanagements hinein?
Winkler: Vertrauen und das Delegieren von Aufgaben sind zentral beim Micromanagement. Micromanagement entsteht oft aus einem Mangel an Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Führungskräfte, die nicht delegieren, überprüfen und korrigieren ständig die Arbeit der Mitarbeitenden.
Die X-Y-Theorie von Douglas McGregor, dem verstorbenen Professor für Management am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA, verdeutlicht diesen Zusammenhang. Die Y-Theorie basiert auf der Annahme, dass Menschen unter den richtigen Bedingungen gerne Verantwortung übernehmen. Führungskräfte, die an diese Theorie glauben, vertrauen ihren Mitarbeitenden und motivieren sie zu guten Leistungen. Im Gegensatz dazu geht die X-Theorie davon aus, dass Menschen faul sind und Arbeit meiden. Führungskräfte, die dieser Theorie anhängen, setzen auf Kontrolle und strenge Vorschriften. Dies führt zu passivem Verhalten der Mitarbeitenden und verstärkt das Misstrauen der Führungskraft. Misstrauische Führungskräfte neigen eher zu Micromanagement und einem autoritären Stil, der Kreativität und Eigeninitiative unterdrückt.
DWN: Welche Auswirkungen hat diese Verhaltensweise auf die Unternehmenskultur und Mitarbeiterbindung?
Winkler: Die psychologischen Auswirkungen von Micromanagement sind weitreichend und dürfen nicht unterschätzt werden. Mangelndes Vertrauen des Vorgesetzten, signalisiert durch permanente Kontrolle, führt dazu, dass auch die Mitarbeitenden ihm nicht vertrauen. Micromanagement führt zu einem Verlust an Engagement und Motivation, da Mitarbeitenden die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Umsetzung von Aufgaben genommen wird. Das ständige Gefühl der Überwachung und Kontrolle beeinträchtigt den Teamzusammenhalt, da jeder versucht, Fehler zu vermeiden, was zu Einzelkämpfertum führt.
DWN: Und wie wirkt sich das auf die Leistung und Situation der Unternehmen aus?
Winkler: Es entsteht in solchen Fällen eine Atmosphäre der Verunsicherung und Angst vor Kritik in den Unternehmen. Micromanagement erhöht das Stresslevel und schadet der psychischen und physischen Gesundheit der Teammitglieder. Dies führt zu höheren Fehlzeiten und Krankschreibungen, was die wirtschaftliche Leistung der Unternehmen beeinträchtigt. In den aufgezeigten negativen Effekten führt Micromanagement dazu, dass insbesondere hoch qualifizierte Mitarbeitende in dem Bewusstsein ihres Wertes auf dem Arbeitsmarkt zunächst innerlich kündigen und sich früher oder später einen neuen Arbeitgeber suchen. Für ein Unternehmen bedeutet dies nicht nur die besondere Herausforderung, in Zeiten des akuten Fachkräftemangels adäquate Ersatzkräfte finden zu müssen, sondern auch entstehende Kosten durch Rekrutierung und Onboarding neuer Angestellter tragen zu müssen.
DWN: Können Sie konkrete Beispiele nennen, in denen Micromanagement die Leistung eines Unternehmens negativ beeinflusst hat?
Winkler: Ich habe das selbst in einem Unternehmen in der Personalabteilung erlebt. Eine hervorragend aufgestellte Abteilung wurde von einer extremen Micromanagerin übernommen. Schon innerhalb der ersten 100 Tage (in denen man eigentlich erstmal zuhören und beobachten sollte) fing sie an, alles im Detail infrage zu stellen, immer mit dem Argument: „Ich kenne das aber anders…“. Und „Ich will ja alles nur im Detail verstehen…“. Die Mitarbeiter, die vorher sehr eigenständig und eigenverantwortlich arbeiten durften, fühlten sich gegängelt und ihre Arbeit nicht wertgeschätzt. Nach einem Jahr hatten mehr als 50 Prozent der Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, und die Abteilung hat sich nie wieder richtig erholt und zu alter Leistung zurückgefunden. Auch wenn die Führungskraft nach 1,5 Jahren selbst gehen musste, war es schon zu spät. Die Auswirkungen der toxischen Erfahrung machen einigen der Mitarbeiter, bis heute zu schaffen.
DWN: Welche Strategien und Maßnahmen gibt es, um Micromanagement in den Unternehmen zu vermeiden?
Winkler: Um Micromanagement zu vermeiden, ist es wichtig, dass Führungskräfte Selbsterkenntnis entwickeln. Sie sollten ihr eigenes Verhalten kritisch hinterfragen und in einer bewussten Reflexion für sich eine ehrliche Antwort auf beispielsweise die Frage finden, ob sie schwer zufriedenzustellen sind oder häufig auch ein Gefühl empfinden, viel getan, aber wenig erledigt zu haben. Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern, in welchem man sich diese als Möglichkeit und Chance zum Fortschritt des Unternehmens bewusst macht und begreift, ist ebenfalls entscheidend. Dies ist auch deshalb so wichtig, denn nur, wenn man als Vorgesetzter zulässt, dass auch einmal etwas nicht auf Anhieb perfekt ist, wird man seine Mitarbeitenden zu mutigem und eigenverantwortlichem Handeln motivieren können.
DWN: Was können Mitarbeiter der Unternehmen tun, wenn sie vom Micromanagement betroffen sind?
Winkler: Im Umgang mit einem Micromanager-Chef ist es wichtig, sein Verhalten nicht als persönlichen Angriff zu verstehen. Oft resultiert sein Kontrollbedürfnis aus dem Druck, dem er ausgesetzt ist, und nicht aus der Qualität der geleisteten Arbeit. Ein offenes Gespräch, bei dem man die eigene Sichtweise schildert, kann helfen, Missverständnisse zu klären. Dabei sollte Feedback ohne Vorwürfe gegeben werden, um dem Vorgesetzten zu zeigen, wie sein Verhalten ankommt. Als betroffener Mitarbeiter ist es zudem wichtig, Verantwortung für die eigenen Aufgaben klar zu signalisieren. Wenn der Vorgesetzte merkt, dass man sich intensiv Gedanken über Arbeitsprozesse macht, wird dies sein Vertrauen stärken und ihm helfen, Kontrolle abzugeben. Eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens ist essenziell. Regelmäßiger und offener Austausch ermöglicht es beiden Seiten, die Stärken und Fähigkeiten des anderen besser zu schätzen. Klare Vereinbarungen über Arbeitsprozesse und Erwartungen sowie definierte Zuständigkeiten fördern ein gesundes Arbeitsklima und entlasten beide Seiten.
DWN: Gibt es neue Trends, die den Unternehmen helfen könnten, Micromanagement zu überwinden?
Winkler: Der gezielte Aufbau von Vertrauen durch regelmäßige Feedbackgespräche und transparente Kommunikation ist zentral. Eine konstruktive Fehlerkultur, in der Fehler als Lernchancen gesehen werden, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Moderne Ansätze wie agiles Arbeiten und die Stärkung der Mitarbeitenden fördern Eigenverantwortung und ermöglichen es Führungskräften, Kontrolle abzugeben und Aufgaben gezielt zu delegieren. Die Herausforderung liegt oft in der eigenen Einstellung und Haltung. Veränderungen in dieser Hinsicht erfordern Arbeit und Willen, unterstützt durch regelmäßige Selbstreflexion und gezieltes externes Feedback. Eine offene und vertrauensvolle Unternehmenskultur kann letztlich dazu beitragen, Micromanagement zu reduzieren und ein gesünderes Arbeitsumfeld zu schaffen.
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Das Interview führte Farhad Salmanian.
Zur Interviewperson
Katrin Winkler (geb. 1975) ist Professorin für Unternehmensführung, Personalentwicklung und Wissensmanagement an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Kempten in Bayern. Sie ist seit September 2009 dort tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte und Interessen liegen in den Bereichen Führung, Personalentwicklung, Digitalisierung und New Work. Sie hat zusammen mit Sandra Niedermeier und Svenja König das Buch „Mentale Teamgesundheit: Teams stärken für gemeinsamen unternehmerischen Erfolg“ (2024) veröffentlicht.