Weltwirtschaft

Der Chefredakteur kommentiert: Die stille Eroberung - Chinas Werbeoffensive bei der Fußball-EM 2024

Lesezeit: 4 min
12.07.2024 16:00  Aktualisiert: 01.01.2030 11:11
Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch emotional diskutieren. An dieser Stelle lasse ich Sie jeden Freitag an meinem Standpunkt teilhaben - immer kritisch, selbstverständlich unabhängig, meist unbequem. In dieser Woche lag Chinas Werbeoffensive bei der Fußball-EM 2024 auf meinem Schreibtisch - und verbunden damit die Frage, ob wir unsere Wirtschaft verraten, wenn wir chinesische Produkte kaufen?

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Liebe Leserinnen und Leser,

Fußballdeutschland ist stolz auf die deutsche Nationalmannschaft. Trotz eines Ausscheidens bei der EM 2024 im Viertelfinale gegen Spanien, haben es Bundestrainer Julian Nagelsmann und seine Spieler geschafft, die Fans wieder hinter sich zu bringen - mit Leidenschaft, Teamgeist und deutschen Stärken. Wer hätte diese Leistungsexplosion vor einigen Monaten überhaupt für möglich gehalten?

Doch während die Herzen der Fans noch vom Teamspirit auf dem Spielfeld erfüllt sind, schleicht sich eine stille, aber mächtige Veränderung in unsere Stadien, in unsere Wohnzimmer und in unser Unterbewusstsein: die Dominanz chinesischer Unternehmen in der Bandenwerbung - und in unserer Wirtschaft.

Die UEFA, der mächtige europäische Fußballverband, produziert speziell zugeschnittene Werbung für TV-Zuschauer in Deutschland, China und den USA – mit virtuell angepassten Werbebanden. In unterschiedlichen Ländern kann folglich bei den Live-Spielen teils unterschiedliche Werbung auf den LED-Banden gezeigt werden. Diese subtile, aber effektive Präsenz wirft Fragen auf, die weit über das Spielfeld hinausgehen und die Zukunft unserer Wirtschaft und kulturellen Identität betreffen.

Warum sehen wir also bei der Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland so viele Werbeanzeigen von Unternehmen wie AliPay, AliExpress und BYD, während europäische und insbesondere deutsche Firmen kaum vertreten sind? Nur wenige heimische Namen wie Adidas, Lidl und Betano Sportwetten tauchen sporadisch auf den Banden auf. Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer strategischen Offensive chinesischer Unternehmen, die gezielt in den europäischen und deutschen Markt vordringen wollen.

Der globale Wettstreit: Westen gegen Osten

China hat längst den Konkurrenzkampf gegen westliche Unternehmen aufgenommen. In ihrem Bestreben, den globalen Markt zu dominieren, nutzen chinesische Firmen jede Gelegenheit, um ihre Markenbekanntheit zu steigern und Marktanteile zu gewinnen. Dass deutsche Autobauer wie Mercedes, BMW und VW in China im Jahr 2023 49 Prozent mehr E-Autos als im Vorjahr verkauft haben, ist ein positives Signal. Doch dieser Erfolg verdeckt die harte Realität: Der Wettbewerb wird zunehmend herausfordernder, und China zeigt keine Anzeichen einer Verlangsamung.

Indem chinesische Unternehmen bei einer so prestigeträchtigen Veranstaltung wie der Fußball-EM 2024 werben, versuchen sie, ihre Präsenz und ihren Einfluss in Europa zu verstärken. Diese Strategie dient nicht nur der Absatzsteigerung, sondern auch der langfristigen Etablierung ihrer Marken im Bewusstsein der europäischen Verbraucher. Und das ist alarmierend. Oder etwa nicht?

Sie, liebe Leserinnen und Leser, sollten sich fragen, ob Sie bereit sind, die Märkte in Europa für diese neuen Player preiszugeben - und was das für die Zukunft unserer Wirtschaft bedeutet.

Virtuelle Werbung – Eine neue Dimension des Marketings

Besonders beunruhigend ist die neue Technologie, die es ermöglicht, dass TV-Zuschauer unterschiedliche Bandenwerbung sehen, je nach Zielgruppe und Land. Während die Fans im Stadion reale Werbung sehen, wird für das Fernsehpublikum virtuell angepasste Werbung eingeblendet. Diese technische Innovation ermöglicht es Unternehmen, gezielter und effektiver zu werben. Für chinesische Firmen bietet dies eine goldene Gelegenheit, ihre Produkte direkt vor die Augen der europäischen und vor allem vor die Augen der deutschen Verbraucher zu bringen, ohne physisch präsent sein zu müssen.

Doch dieser technologische Fortschritt bringt auch Risiken mit sich. Er verstärkt die Fragmentierung des Marktes und könnte dazu führen, dass europäische und insbesondere deutsche Unternehmen noch mehr ins Hintertreffen geraten.

Die wirtschaftliche Perspektive: Chancen und Risiken

Es gibt durchaus Argumente, die für die verstärkte Präsenz chinesischer Unternehmen sprechen: Eine erhöhte Konkurrenz kann beispielsweise zu niedrigeren Preisen für die Verbraucher führen, was in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit durchaus willkommen ist.

Asiatische Wettbewerber könnten auch die ewige Dominanz US-amerikanischer Markenprodukte brechen - und gerade auch im technologischen Bereich für hochwertige Alternativen sorgen. Darüber hinaus könnten chinesische Investitionen und Geschäftsaktivitäten neue Arbeitsplätze schaffen und zur wirtschaftlichen Stabilität hierzulande beitragen.

Doch der Preis, den wir dafür zahlen, ist sehr hoch. Viele chinesische Big Player dominieren die Märkte nicht über Qualität, sondern über den Preis. Man denke nur an den chinesischen Versandhändler Temu, der mit extremen Schnäppchen und hohen Rabatten lockt. Die Billigplattform verkauft alles von Smartwatches über Kleidung bis hin zu Küchen- oder Beautyprodukten. Die Verbraucherzentrale warnt: "Bedenken Sie, dass die niedrigen Preise mit einer geringeren Produktqualität und -sicherheit einhergehen können."

Hinzu kommt, dass die Abhängigkeit von ausländischen, insbesondere chinesischen, Produkten unsere heimische Wirtschaft schwächen würde. Unsere Unternehmen, die bereits unter dem Druck der Globalisierung und hohen Energiepreisen leiden, werden weiter an Boden verlieren.

Und was passiert, wenn diese chinesischen Firmen, nachdem sie sich etabliert haben, ihre Preise erhöhen? Werden wir dann keine andere Wahl haben, als zu zahlen?

Werte und Ethik: Ein schwieriger Balanceakt

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass unsere Entscheidungen nicht nur ökonomische, sondern auch ethische Implikationen haben. Die Produktionsbedingungen, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards sind in China oft anders als in Europa.

Ja, auch andere globale Konzerne produzieren nicht immer besonders nachhaltig. Bereits 2019 berichtete netzpolitik.org über die schlechten Arbeitsbedingungen beim chinesischen Apple-Zulieferer Foxconn. Wegen Menschenrechtsverletzungen in der chinesischen Provinz Xinjiang hat sich BASF von Partnerfirmen getrennt, auch Volkswagen steht deshalb in der Kritik. Mehrere Fondsgesellschaften schlossen daraufhin den Wolfsburger Autokonzern als möglichen Anlagewert für nachhaltige Fonds aus, wie zeit.de berichtete.

All die thematisierten Menschenrechtsverletzungen gehen zwar auf das Konto großer internationaler Konzerne, möglich wurden sie aber erst wegen der chinesischen Politik. Wir müssen uns also die Frage stellen: Wollen wir wirklich Länder und Unternehmen unterstützen, die möglicherweise nicht dieselben Werte und Standards teilen wie wir? Ich möchte in diesem Zusammenhang klarstellen, dass ich keine negativen Berichte über die konkreten Arbeitsbedingungen bei AliPay, AliExpress, BYD und bei anderen hier genannten Unternehmen aus China kenne.

Dennoch ist dieser Aspekt besonders wichtig, wenn wir die langfristigen Auswirkungen betrachten. Die Unterstützung von Unternehmen, die unseren Standards nicht gerecht werden, könnte langfristig negative Konsequenzen für unsere Gesellschaft und Umwelt haben, vielleicht auch für unsere persönliche Gesundheit (man denke nur an die gefälschten Sicherheitskennzeichen oder an die für Kinder gefährlichen Spielzeuge des Versandhändlers Temu). Wir müssen uns fragen, ob der kurzfristige Vorteil niedrigerer Preise diese potenziellen Schäden aufwiegen kann.

Die Zukunft unserer Wirtschaft und Identität

Schließlich geht es auch um unsere Identität und die Zukunft unserer Wirtschaft. Deutsche und europäische Unternehmen haben über Jahrzehnte hinweg Marken aufgebaut, die für Qualität, Innovation und Zuverlässigkeit stehen. Diese Marken sind ein wesentlicher Bestandteil unserer wirtschaftlichen und kulturellen Identität. Wenn wir diesen Unternehmen den Rücken kehren und uns verstärkt auf chinesische Produkte verlassen, riskieren wir, einen Teil dieser Identität zu verlieren - zur westlichen Kultur gehören im Übrigen auch US-Markenprodukte, ob wir das wollen oder nicht.

Liebe Leserinnen und Leser, die Entscheidung liegt bei uns. Wollen wir weiterhin den bekannten Marken vertrauen, auch wenn dies bedeutet, möglicherweise etwas mehr zu bezahlen? Oder sind wir bereit, asiatischen Produkten eine Chance zu geben und dabei Geld zu sparen, mit dem Risiko, dass unsere heimische Wirtschaft und unsere ethischen Standards leiden?

Die Antwort auf diese Frage wird nicht nur unsere Kaufentscheidungen beeinflussen, sondern auch die Richtung, in die sich unsere Gesellschaft und Wirtschaft entwickeln. Wir stehen an einem Scheideweg, und unsere Entscheidungen könnten langfristige Auswirkungen haben, die weit über die nächsten Jahre hinausreichen. Lassen Sie uns diese Entscheidungen weise und bedacht treffen, um die Zukunft unserer Wirtschaft und unsere Werte zu schützen.

Ihr Markus Gentner

DWN-Chefredakteur

Zum Autor:

Markus Gentner ist seit 1. Januar 2024 Chefredakteur bei den Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Zuvor war er zwölf Jahre lang für Deutschlands größtes Börsenportal finanzen.net tätig, unter anderem als Redaktionsleiter des Ratgeber-Bereichs sowie als Online-Redakteur in der News-Redaktion. Er arbeitete außerdem für das Deutsche Anlegerfernsehen (DAF), für die Tageszeitung Rheinpfalz und für die Burda-Tochter Stegenwaller, bei der er auch volontierte. Markus Gentner ist studierter Journalist und besitzt einen Master-Abschluss in Germanistik.


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