Antidemokratische Bedrohungen bedeuten sicherlich nicht das Ende des demokratischen Systems. Doch statt sich an den optimistischen Glauben und an den unvermeidlichen globalen Triumph der Demokratie zu klammern, müssen ihre Verteidiger jetzt eine realistische, auf empirische Beweise gestützte Haltung einnehmen – insbesondere, wenn die Daten lang gehegte Annahmen in Frage stellen und unbequeme Fragen aufwerfen.
Realismus verlangt von uns, dass wir Weltuntergangsprognosen über das drohende Ende repräsentativer Regierungsführung zurückweisen. Er erfordert jedoch auch, dass wir den teleologischen Glauben aufgeben, dass die freiheitliche Demokratie unweigerlich überall triumphieren wird. Wir können die beeindruckenden Fortschritte anerkennen, die nicht-demokratische Länder gemacht haben, ohne dabei die überwältigenden Belege dafür aus dem Blick zu verlieren, dass Demokratien nach wie vor eine viel höhere durchschnittliche Lebensqualität bieten als Autokratien.
Die Welt von heute bietet noch immer reichlich Möglichkeiten für schrittweise Fortschritte in Richtung größerer demokratischer Teilhabe und Rechenschaftspflicht sowie einer höheren Lebensqualität. Da jedoch alle Länder auf allen Ebenen der wirtschaftlichen Entwicklung mit jeweils eigenen großen, langfristigen Herausforderungen konfrontiert sind, müssen die politischen Maßnahmen auf ihre spezifische Regierungsdynamik zugeschnitten sein. Es gibt keine schnelle oder universelle Lösung.
Auf dem Weg in ein Zeitalter des Illiberalismus?
Die Belege für einen weltweiten „demokratischen Niedergang“ haben sich verdichtet, seit dieser vor fast einem Jahrzehnt erstmals festgestellt wurde. Forschungsinstitute wie Freedom House und V-Dem sowie führende Publikationen wie die Zeitschrift The Economist haben konstatiert, dass die freiheitliche Demokratie gegenüber Autokratie und Illiberalismus weiter an Boden verliert. Derartige Regime – zu denen China, Ungarn, Russland, Saudi-Arabien, die Türkei und viele andere gehören – sind zunehmend selbstbewusst und werben damit, dass ihre wirtschaftlichen und politischen Modelle für Stabilität und Wohlstand förderlicher seien als die der demokratischen Länder.
Dies stellt für die Verteidiger freiheitlicher Werte eine wachsende Herausforderung dar. Über weite Strecken des letzten halben Jahrhunderts gab es kaum eine Debatte darüber, welches System bessere Ergebnisse hervorbringt: Man ging allgemein davon aus, dass Autokratien bei fast allen Entwicklungsindikatoren hinter Demokratien zurückbleiben würden. In den letzten Jahren ist es dieser Ländergruppe jedoch gelungen, aufzuholen, auch wenn die meisten dieser Länder bei der Bereitstellung öffentlicher Güter in absoluten Zahlen immer noch zurückliegen. Von den 145 in den Berggruen Governance Index (BGI) 2024 aufgenommenen Ländern verzeichneten fast die Hälfte zwischen 2000 und 2021 sowohl einen Anstieg der Lebensqualität als auch einen Rückgang der demokratischen Rechenschaftspflicht.
Dieses Ergebnis stellt die konventionelle Sichtweise vor eine ideologische und politische Herausforderung. Könnte der Aufstieg einer potenziell erfolgreichen Alternative den Liberalismus als das sich geschichtlich letztlich durchsetzende Modell entthronen? Was bedeutet der anscheinende Erfolg der Autokratie für die wissenschaftliche Debatte über die Rolle der Demokratie bei der Förderung von Stabilität, Wohlstand und Nachhaltigkeit? Anhand des BGI stellen wir fest, dass die Wege zwar je nach den Merkmalen der untersuchten Länder unterschiedlich sind, aber alle einen Weg finden können, um, wie es der Wirtschaftswissenschaftler Albert Hirschman formulierte, „gegen den Wind“ in Richtung Demokratie zu segeln. Fortschritte sind nach wie vor möglich, aber sie erfordern einen schrittweisen Zick-Zack-Kurs und sind keineswegs sicher.
Leistungsstarke Länder
Anhand von drei Messgrößen für die Leistung bei der Regierungsführung – demokratischer Rechenschaftspflicht, staatlicher Leistungsfähigkeit und der Bereitstellung öffentlicher Güter – identifiziert der BGI vier Ländercluster mit unterschiedlichen Leistungsmustern und gemeinsamen Merkmalen in Bezug auf Wirtschaft, Demografie und politische Stabilität. Entscheidend ist, dass jedes Cluster, was die Rolle von Demokratie und Lebensqualität angeht, mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert ist.
Erstens gibt es heute 36 erfolgreiche demokratische Staaten in der Welt, zu denen Australien, die meisten Länder der Europäischen Union, Japan, Südkorea und die USA gehören. Die Mitglieder dieser Gruppe schneiden in allen drei Dimensionen der Regierungsführung am besten ab. Doch obwohl sie alle eine stark globalisierte Wirtschaft und ein hohes BIP pro Kopf aufweisen, unterscheiden sie sich in Bezug auf die politische und soziale Stabilität zunehmend. Estland zum Beispiel schneidet in diesen Dimensionen weiterhin gut ab, die USA dagegen seit einigen Jahren nicht mehr. Wir glauben, dass die Zukunft der Demokratie in diesem Cluster davon abhängt, wie die Regierungen die Weltwirtschaft steuern und ob sie im Inland die staatlichen Kapazitäten aufbauen, die erforderlich sind, um in einem wettbewerbsgeprägten internationalen Umfeld sowohl den sozialen Zusammenhalt als auch eine angemessene Bereitstellung öffentlicher Güter zu erreichen.
Obwohl diese Gruppe in allen Bereichen relativ erfolgreich ist, zeigt das Jahrzehnt nach der globalen Finanzkrise von 2008, dass anhaltende Sparmaßnahmen und Selbstgefälligkeit der Eliten für die Demokratie gefährlich sein können – und zwar selbst in Ländern, in denen sie sicher etabliert zu sein scheint. Die USA scheinen ein Paradebeispiel hierfür zu sein. Ihr Wert für die demokratische Rechenschaftspflicht lag zwischen 2010 und 2015 im Durchschnitt bei beeindruckenden 96 (einer der besten der Welt), ging dann aber rapide zurück und erreichte 2020 nur noch 84. Auch die Leistungsfähigkeit der US-Bundesstaaten sank von 79 im Jahr 2011 auf 64 im Jahr 2020.
Es ist kein Zufall, dass diese Veränderungen in die Zeit der Präsidentschaft von Donald Trump fielen, die von Umwälzungen im Wahlsystem und im Verwaltungsstaat geprägt war. Trumps Übernahme der Basis und organisatorischen Ressourcen der Republikanischen Partei zeigt, dass selbst die scheinbar am stärksten konsolidierten Demokratien anfällig für illiberale Kräfte und rasche institutionelle Erosion sind. Obwohl einige Kennzahlen auf eine Erholung der USA in den letzten Jahren hindeuten, könnte die Wahl 2024 diesen Trend ohne Weiteres wieder umkehren.
Das zweite Cluster umfasst 33 erfolgreiche autokratische und illiberale Staaten, darunter Russland, China, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei. Diese Länder haben niedrigere Werte bei der demokratischen Rechenschaftspflicht und im Allgemeinen durchschnittliche oder unterdurchschnittliche Bewertungen der staatlichen Leistungsfähigkeit, aber schaffen es, eine durchschnittliche oder überdurchschnittliche Lebensqualität zu erreichen. Trotz dieses relativen Erfolgs sehen sich diese Länder mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, darunter einer starken Abwanderung von Fachkräften, wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit, erheblichen internen Missständen und häufig auch unterdrückten inneren Konflikten.
Diese Länder versuchen, den Beweis für etwas zu erbringen, das wir als „autokratische Suffizienzthese“ bezeichnen: die These nämlich, dass staatliche Leistungsfähigkeit für sich allein auch ohne robuste eine demokratische Rechenschaftspflicht ausreicht, um eine höhere Lebensqualität zu gewährleisten. Das prominenteste Beispiel für ein Land, das diesen Kurs eingeschlagen hat, ist China. Zwischen 2000 und 2021 verschlechterte sich die Qualität der Demokratie in China von einem ohnehin schon niedrigen Wert von 27 auf 20. Im gleichen Zeitraum jedoch erhöhte sich die staatliche Leistungsfähigkeit um vier Punkte von 38 auf 42. Am wichtigsten freilich ist der drastische Anstieg bei der Bereitstellung öffentlicher Güter von 60 auf 75. Diese Fähigkeit, die Bereitstellung öffentlicher Güter auch ohne Demokratie auszuweiten, stellt die größte ideologische Bedrohung für das freiheitliche Modell dar. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob dieser Trend anhält, wenn sich China einem Lebensqualitätsniveau annähert, das dem der reichen Demokratien vergleichbar ist.
Kuddelmuddel in der Mitte
Das dritte Cluster umfasst ineffektive Staaten. Trotz eines etwa durchschnittlichen Niveaus an demokratischer Rechenschaftspflicht und staatlicher Leistungsfähigkeit haben diese 37 Länder – darunter Peru, Tunesien, Südafrika, Indonesien, die Philippinen und Bolivien – Mühe, eine Lebensqualität zu gewährleisten, die ihrer demokratischen Rechenschaftspflicht und staatlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Als Gruppe sind sie bei fast allen wirtschaftlichen, demografischen und sozialpolitischen Indikatoren Durchschnitt. Die Demokratie wird nicht von Verbesserungen in den beiden anderen Bereichen begleitet. Falls diese Abkoppelung anhält, könnte dies zu einem Legitimitätsverlust und einem Abgleiten in den Autoritarismus führen.
Diese Staaten könnten repräsentativ für die Inkorrektheit der „demokratischen Suffizienzthese“ sein, die davon ausgeht, dass Demokratie allein mittel- bis langfristig für eine höhere Lebensqualität ausreicht. So verzeichnete die tunesische Demokratie zwischen 2010 und 2021 eine bemerkenswerte Stärkung: Der Wert für die demokratische Rechenschaftspflicht stieg von 31 auf 79 und der für die staatliche Leistungsfähigkeit von 34 auf 55. Dennoch gelang es dem Land nicht, seine demokratische Renaissance in ein besseres Leben für seine Bürgerinnen und Bürger umzumünzen: Der Wert für die Bereitstellung öffentlicher Güter stieg nur um vier Punkte von 73 auf 77.
Das letzte Cluster umfasst 39 mit Problemen kämpfende Staaten, wie Kambodscha, Ägypten, Guatemala, Nigeria und Venezuela. Diese Länder haben normalerweise in allen drei Dimensionen der Regierungsführung schlechte Werte. In der Regel weisen sie ein niedrigeres BIP pro Kopf auf, bewaffnete Konflikte sind dort wahrscheinlicher, und sie sind politisch weniger stabil. Viele sind seit Jahrzehnten in einem Teufelskreis aus internen Konflikten und schlechter Regierungsführung gefangen.
Wie die ineffektiven Staaten sind auch sie anfällig für das autokratische Narrativ, dass staatliche Leistungsfähigkeit der Schlüssel zur Entwicklung sei. Sie stellen daher eine wichtige Front in der ideologischen Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie dar. Nehmen wir Kambodscha, das einen erheblichen demokratischen Niedergang von 48 im Jahr 2000 auf 32 im Jahr 2021 hinnehmen musste, während die staatliche Leistungsfähigkeit in etwa gleichblieb (24 gegenüber 22). Im gleichen Zeitraum verbesserte sich die Bereitstellung öffentlicher Güter von 29 auf 51. Diese Ergebnisse könnten anderen zeigen, dass sich die Lebensqualität auch in Zeiten des demokratischen Niedergangs verbessern lässt.
Viele Fragen
Diese Ergebnisse werfen eine Reihe dringender Fragen auf. Wenn nicht-demokratische Länder die Lebensqualität steigern können, bedeutet das dann, dass die Demokratie weniger relevant ist als bisher angenommen? Dies könnte tatsächlich der Fall sein, zumindest mittelfristig. Immerhin scheint das „Geschäftsmodell“ erfolgreicher Autokratien wie der Golfstaaten und Russlands relativ stabil zu sein, ebenso wie Chinas extreme Übergewichtung des Exports. Doch die Möglichkeiten anderer Länder, das russische oder chinesische Geschäftsmodell zu übernehmen, scheinen eher begrenzt.
Dennoch: Spricht der wachsende Einfluss „erfolgreicher Autokratien“ für ein alternatives Modell, das die alten Lehren der Modernisierungstheorie gegen den so genannten Peking-Konsens ausspielt? Mit ziemlicher Sicherheit. Der unübersehbare Aufstieg der Nicht-Demokratien stellt eine echte Herausforderung für den anhaltenden Erfolg des demokratischen Clusters und seine Attraktivität für andere Länder dar. Allerdings geht es hier zum einen darum, wer das beste Narrativ hat, und zum anderen um die einzigartigen Möglichkeiten, die sich jedem Land in der heutigen globalisierten Wirtschaft bieten.
Und schließlich: Gibt es einen klaren Weg, um die unmittelbaren Aussichten der Länder des dritten und vierten Clusters zu verbessern? Wahrscheinlich nicht. Die ineffiziente und mit Problemen kämpfenden Staaten werden in asynchronen Mustern verharren, in denen die Demokratie womöglich gefestigt zu sein scheint, nur um dann in Frage gestellt und gekippt zu werden. Staatliche Leistungsfähigkeit und die Bereitstellung öffentlicher Güter können sich parallel zu diesen Veränderungen weiterentwickeln, aber die Fortschritte dabei sind möglicherweise langsam und Rückschläge häufig.
Alles in allem lassen die jüngsten Trends Zweifel an dem hoffnungsvollen liberalen Narrativ aufkommen, das im ersten Jahrzehnt nach dem Kalten Krieg vorherrschte. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass sich Länder unweigerlich sowohl der Demokratie als auch dem Wohlstand annähern werden, so, wie es das vom Westen lange Zeit vertretene Modernisierungsparadigma vorsah.
Hin zu einem neuen Realismus
Da die erfolgreichen freiheitlichen Demokratien in den kommenden Jahren wahrscheinlich mit erheblichem Gegenwind konfrontiert sein werden, ist ein stärker proaktiver politischer Ansatz erforderlich, um gefährdete Bevölkerungsgruppen vor den negativen Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung und des technologischen Wandels zu schützen. Dies sind Fragen, die viele freiheitliche Demokratien – nicht zuletzt die USA – zu lange ignoriert haben. Eine derartige Vernachlässigung kann zu einem Teufelskreis führen, da Regionen, die negativen wirtschaftlichen Schocks ausgesetzt sind, verstärkt populistische Parteien unterstützen.
Wir müssen angesichts der von einigen autokratischen Länder entwickelten relativ stabilen und wirtschaftlich erfolgreichen Modelle zudem die Grenzen der demokratischen Entwicklung in diesen Ländern anerkennen. Die Abwertung der realen Fortschritte, die nicht-demokratische Länder gemacht haben, wird die Argumente für die Demokratie nicht stärken. Stattdessen sollten wir betonen, dass Autokratien im Allgemeinen im Laufe der Zeit schlechter abschneiden und dass sich diese Tendenz womöglich noch bestätigen wird.
Zugleich sollten wir die Rückschritte bei der demokratischen Entwicklung nicht als unaufhaltsamen Prozess betrachten. Wie wir im vergangenen Jahr in Polen gesehen haben, können illiberale Regime stürzen und einer demokratischen Erneuerung Platz machen. Autokratien entwickeln oft eine Scheinstabilität, so dass Beobachter schockiert sind, wenn sie plötzlich stürzen. Man erinnere sich an das abrupte Ende des europäischen Kommunismus. Die autoritären Regime von heute dürften kaum vor einem ähnlichen Schicksal gefeit sein.
Zu guter Letzt erfordert der neue Realismus, dass wir anerkennen, dass viele Länder in den Clustern der ineffektiven und mit Problemen kämpfenden Staaten noch einen langen und steinigen Weg vor sich haben. Doch auch wenn es keine schnellen Lösungen gibt, bleibt der Weg in Richtung Demokratie und höherer Lebensqualität offen. Man sollte nicht vergessen, dass selbst die USA erst in den 1960er Jahren mit der Verabschiedung des Civil Rights Act und des Voting Rights Act zur vollwertigen Demokratie wurden, dass die Schweiz, die zu den wohlhabendsten und demokratischsten Ländern der Welt gehört, erst 1971 das Frauenwahlrecht einführte und dass Deutschland, Japan und Österreich – heute reiche und stabile Demokratien – noch vor gut einem Jahrhundert autokratische Monarchien waren (mit starker staatlicher Leistungsfähigkeit und einer angemessenen Bereitstellung öffentlicher Güter).
Die freiheitliche Demokratie westlicher Prägung ist keine Zwangsläufigkeit, denn die Geschichte hat weder Ziel noch Zweck – und auch kein „Ende“. Was sie hat, sind menschliches Handeln, ideologischer Kampf und politischer Konflikt. Da die Zukunft immer ungeschrieben ist, muss sich die Demokratie stets aufs Neue bewähren.
Copyright: Project Syndicate, 2024.
www.project-syndicate.org