Immobilien

600.000 ohne feste Bleibe: Wohnungsnot bei jungen Menschen immer größeres Problem

Bundesweit wird die Anzahl der Obdachlosen mit über 50.000 Menschen beziffert. Gut 600.000 Menschen freilich gelten als wohnungslos - ein Problem, das nicht sogleich ins Auge fällt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hat jetzt Bericht erstattet und die Politik auf das Problem hingewiesen. Das Bauministerium wird es nicht lösen, so viel steht fest.
11.09.2024 11:00
Lesezeit: 3 min

Die Wohnung zu verlieren, ist für Menschen eine existenzielle Bedrohung. Dennoch ist es für Tausende Alltag in Deutschland - und dabei geht es nicht um die häufig in den Straßen und Innenstädten sichtbare Anzahl von Obdachlosen. Eine große Gruppe, die von der Politik derzeit übersehen wird, ist die der jungen Menschen. Sie haben am Wohnungs- und Immobilienmarkt kaum eine Chance und das prägt ihre Chancen auf Arbeit und gesellschaftliche Integration.

Jetzt hat Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAW) das Thema in Blick genommen und mit Zahlen unterlegt. Im BAW-Bericht ausgewertet wurden anonymisierte Daten von 38.200 Menschen, die im Jahr 2022 in 227 Einrichtungen und Diensten freier Träger Hilfe suchten. Demnach verbringen 16 Prozent der unter 18-Jährigen, die von den Diensten der Wohnungslosenhilfe registriert werden, ihre Nächte auf der Straße. Vor allem jugendliche und heranwachsende Wohnungs- und Obdachlose sind häufig weiblich - viel öfter als unter älteren Jahrgängen.

Aus dem Bericht geht ferner hervor, dass 71 Prozent der Menschen, die in öffentlichen oder auch privaten Einrichtungen und Diensten Hilfe suchen, akut wohnungslos sind. Elf Prozent sind unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht und knapp vier Prozent leben in unzumutbaren Wohnverhältnissen. Rund ein Drittel der Betroffenen ist weiblich, zwei Drittel sind männlich.

Im Vorjahr erreichte der Anteil der Hilfesuchenden in Haushalten mit Kindern – gleichmäßig verteilt auf Paare mit Kindern und alleinerziehende Haushalte – mit etwa elf Prozent einen neuen Höchststand. Dieser hat sich im aktuellen Berichtsjahr auf hohem Niveau stabilisiert. Mit rund 39 Prozent konnte weit mehr als jede dritte Familie, die eine Hilfseinrichtung aufsuchte, bei Hilfebeginn keine eigene Wohnung vorweisen.

Die aktuellen Zahlen zeigen, wie sehr Wohnungsnot auch junge Erwachsene, Jugendliche und Kinder trifft. 16 Prozent der Befragten, die sich in Wohnungsnotfällen an Einrichtungen und Dienste freier Träger wenden, sind unter 25 Jahre alt. Besorgniserregend sei laut BAW, dass 13 Prozent der akut wohnungslosen jungen Menschen im Alter von 18 bis 25 Jahren die Nacht vor Hilfebeginn auf der Straße verbracht haben. Bei den unter 18-Jährigen sind es - wohl gemerkt - 16 Prozent. Unter den jungen Menschen in Wohnungsnot finden sich besonders viele Frauen. Jede vierte Wohnungslose ist jünger als 25 Jahre. Unter den männlichen wohnungslosen Klienten ist jeder sechste unter 25 Jahre alt.

Junge wohnungslosen Frauen drohen sexuelle Abhängigkeiten

„Jeder zweite wohnungslose junge Mensch kommt bei mehr oder weniger guten Freunden oder Bekannten unter. Was zunächst harmlos klingt, ist in der Realität oft geprägt von provisorischen, manchmal sehr kurzfristigen Behelfslösungen und einem Leben in Unsicherheit. Denn woanders unterzukommen bedeutet auch, tagtäglich auf das Wohlwollen der Gastgeber:innen angewiesen zu sein. Nicht selten ergeben sich daraus gefährliche Abhängigkeitsverhältnisse, beispielsweise wenn die Unterkunft nur im Gegenzug für sexuelle Gefälligkeiten bereitgestellt wird. Die Not dieser wohnungslosen jungen Menschen ist nicht auf den Straßen sichtbar, aber sie ist genauso schwerwiegend.“ Das sagt BAW-Fachreferent Sarah Lotties, die die Zahlen des Berichts diese Woche erläuterte.

Ihr Kollege Martin Kositza ergänzte: „Gerade für junge Menschen ist die Situation dramatisch, da sie sich in einer entscheidenden Phase ihrer persönlichen Entwicklung befinden. Ohne stabile Wohnverhältnisse haben sie deutlich schlechtere Chancen auf Bildung, Teilhabe oder beruflichen Erfolg. Das Resultat ist oft Armut und soziale Ausgrenzung.”

Zum Stichtag 31. Januar 2024 waren in Deutschland nach den Meldungen von Kommunen und Einrichtungen 439.500 Personen wegen Wohnungslosigkeit untergebracht. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, hat sich die Zahl gegenüber den Vorjahren weiter erhöht. Im Jahr 2023 waren es 372 000, anno 2022 nur 178.100 Menschen. Die Wohnungslosenhilfe indessen zählt anders als das Destatis und geht von üner 600.000 Wohnungslosen aus.

Warum werden Menschen wohnungslos? In den meisten Fällen sind Mietschulden gepaart mit einer wirtschaftlichen Notlage Ursachen für die Wohnungslosigkeit. Oft führen kritische Lebensereignisse wie Trennung, Arbeitslosigkeit, Tod des Partners beziehungsweise. der Partnerin, Sucht oder Krankheit zu einem Wohnungsverlust.

Stress mit den Eltern, Zuhause ausziehen und dann ohne Bleibe

Ein Unterschied ist auffällig: Menschen über 25 Jahre verlieren ihre Wohnung meist wegen Miet- und Energieschulden. Bei den unter 25-Jährigen indessen sind 39,2 Prozent ziehen (ohne eine vorausgegangene Kündigung) oft aus der elterlichen Wohnung aus. Häufig angegeben bei der Umfrage wurden Konflikte im Wohnumfeld. Dass die Bildungsbiografien eine Rolle spielen, geht aus den Daten ebenfalls hervor. 28 Prozent der unter 25-Jährigen hat keinen Schulabschluss. In der Gesamtbevölkerung liegt der entsprechende Anteil hingegen bei fünf Prozent.

Beratungsangebote und Streetworker können helfen - das eigentliche Problem lösen sie nicht. Das Kernproblem ist die Misere am Wohnungsmarkt: „Jungen Menschen kann nur dann langfristig geholfen werden, wenn die Angebote flexibel sind und auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten werden. Aber auch in Bezug auf junge Menschen gilt: Wir brauchen unbedingt mehr bezahlbaren Wohnraum. Ohne diesen werden wir die Wohnungslosigkeit nicht eindämmen können.“, sagt Susanne Hahmann, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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