Gegenüber vom Bahnhof Zoo kämpfte das Büro Langhof jahrelang für den Abriss des fürchterlichen Torbaus namens Schimmelpfenghaus am Ende der Kantstraße. Auf dem Grundstück ist mit dem Hochhaus Upper West seither eine neue Visitenkarte der West-City von Berlin entstanden, das nicht nur mit dem benachbarten Mahnmal der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche harmoniert, sondern eine (dem Ort würdige) Skyline geschaffen hat.
Derlei Orte für wünschenswerte Stadt-Reparaturen des (von Krieg und baulichen Entgleisungen) entstellten Berlins gibt es noch so einige. Ein bemerkenswertes Ausstellungsprojekt des AIV hat nun kühne Visionen für eine rundum erneuerte Bundes-Hauptstadt zusammengetragen. Das Büro Patzschke reißt in Schmargendorf die Mini-Autobahn A104 von Wilmersdorf nach Steglitz ab und gestaltet sie als städtischen Raum neu. Tschoban Voss nehmen sich die Lichtenberger Möllendorffstraße vor, eine unwirtliche Nord-Süd-Achse im Ost-Teil, mitten durch Erich Mielkes früheres Stasi-Berlin.
Urlaubsgrüsse aus Berlin: Wie eine Ansichtskarte aus den Tropen
Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten gefällt die neue Ansicht des alten Holzmarktes in der historischen Mitte Berlins am besten. Es wirkt auf den Betrachter wie eine Ansichtskarte aus Singapur, wo Architekten und Stadtplaner schon seit Jahrzehnten den asiatischen Stadtstaat in einen botanischen Garten verwandeln, um Urbanität und Umwelt zu vereinen. Das würde Berlin, wo im Sommer neuerdings gleichfalls der Asphalt glüht wie in südlichen Gefilden oder am Äquator, maßgeblich abkühlen helfen und kolossal verändern.
Es ist eine Vision, wohlgemerkt, einen Investor gibt es gar nicht. Vielleicht geben sich aber die Verantwortlichen in Berlins Bauverwaltung einen Ruck, um ihr übliches Klein-Klein hinter sich zu lassen und neuen Utopien zuzulassen. Kalkulatorisch gäbe es bis zu 30 Prozent Rabatt, weil das Grundstück quasi schon landeseigen ist - und umgewidmet werden müsste.
Für das Stadtklima wäre es wie eine frische Brise. Der einst allmächtige Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD) hat ja in den 1990er-Jahren die klimatischen Grundbedingungen der Stadt leider völlig falsch eingestellt. Der Maurer wollte Berlin als steinerne Stadt manifestieren, was ihm im großen Maßstabe gelungen ist. Grundstücke wurden damals gleich blockweise per Investitionsvorrang-Gesetz verscherbelt, beplant und mit sogenannten Lochfassaden aus dem Boden gestampft, als seien die gleichförmigen Bürobauten in einem Katalog für amerikanische Gefängnisbauten bestellt worden. Nur selten vermochte sich ein mutiger Bauherr gegen die Bevormundung Stimmanns durchzusetzen und der Stadt ein Zeichen der Erneuerung einzupflanzen.
Es wird höchste Zeit, das steinerne Berlin zu überwinden und mit der Natur zu versöhnen
Das bedauern viele der noch tätigen Architekten von damals. Doch Stimmann ist Geschichte, so könnte es Zeit werden, für einen Neuanfang. Der Klimawandel bestimmt die neuen Anforderungen und Rahmenbedingungen. Das hat auch der altehrwürdige Architektenverein AIV begriffen, der diesen Sommer sein 200-jähriges Bestehen feiert. Der einst wichtigste Verbund deutscher Baumeister, der sich aktuell - analog wie auch gleichzeitig online - mit einer programmatischen Schau namens "immer modern" in die dringend erforderliche Debatte um das neue Bauen in Deutschland einschaltet. Denn die Pläne könnten Eins zu eins auch Städte wie Köln, Dortmund oder Chemnitz retten und l(i)ebenswerter gestalten.
Bis Ende November noch wird also nun in Berlins Immobilien- und Wirtschaftskreisen mit der Politik und Bürgerschaft diskutiert, gestritten und beraten. Über eine zeitgemäße Stadtlandschaft, die nicht nur aus Betonwürfeln besteht oder gar als "Schlammstadt" daherkommt, um einen der fürchterlichen Modebegriff des ökologischen Bauens als das zu entlarven, was er faktisch bedeutet: mit Bauklötzchen im Dreck zu wühlen.
Zehn Straßen, zehn beachtliche Lösungsvorschläge gegen Berlins Horror vacui
Insgesamt zehn namhafte Büros zeigen ihre Visionen für zehn Berliner Straßen oder besser wohl Straßenräume von morgen auf. Verkehrsachsen wie Kurfürstendamm, Friedrichstraße oder Unter den Linden blieben absichtlich unangetastet. Es ging eher um die gräulichen Achsen des Pendler-Schreckens durch die undefinierten Vorstädte, hinein in die distinguierte Berliner Innenstadt - man könnte streckenweise wahrlich von einem Horror vacui sprechen.
Wie eben die Holzmarktstraße in Berlin entlang der Spree, die hier wie Barriere durch die Bahntrasse zwischen Jannowitzbrücke und Ostbahnhof vom Stadtquartier abgetrennt wird. Eine Straße, deren Name deshalb kaum ein Berliner überhaupt kennt, weil sie ein Unort ist, eine Verbindung durch die man möglichst schnell durchhuscht und das sicherlich nicht per pedes. Der Genius loci des alten Berliner Holzmark ist von der wechselvollen Stadtgeschichte verschluckt worden. Jetzt lädt dort bestenfalls noch eine Aral-Tankstelle zum Zwischenstopp ein und eine als Art Resterampe zusammengeschustertes Aussteiger-Barrio namens Holzmarkt 25. Das hier einst vor über drei Jahrhunderten an der Spree die Boote mit Bauholz anlandeten, kann man sich nirgends mehr bildhaft vorstellen. Selbst die Schwarz-Weiß-Aufnahmen (unten im U-Bahnhof Jannowitzbrücke) beschreiben und typisieren die erst spätere Epoche als preußische Residenz und dann Reichshauptstadt.
Statt der üblichen Berlin-Nostalgie ein radikaler Versuch Bauen neu zu denken
Der aus Österreich stammende Architekt Langhof, der freilich seit Jahrzehnten schon in Berlin wirkt und gegen die Monotonie und für die "Schönheit im Bauen" kämpft, wie er in Gesprächen nie zu betonen vergisst, hat die Initiative des AIV mutig angenommen. Ohne jegliche Nostalgie im Kopf hat er radikal eine Neuentdeckung vorgenommen, als würde er durch das südchinesische Meer segeln und auf die Straße von Singapur zusteuern, um die dortigen Tropen zu entdecken. Stadt als Naturraum, ein botanischer Garten, in dem man auch wohnen kann. Und das in einer wirtschaftlichen erfolgreichen und international weltgewandten Boomtown, wie sich das in unseren Breiten nur Weltenbummler vorzustellen vermögen, die einmal da waren.
Christoph Langhof lebt nicht in der Vergangenheit Berlins, sondern wagt den Blick nach vorne. Das war lange verpönt. Es könnte allmählich aber en vogue werden, wenn man das Bauen nicht verteufeln will, sondern mit der Klimawandel versöhnen möchte. Die zwanghafte Ablehnung von Hochhäusern hat Berlin ja zwischenzeitlich inter sich gelassen und stattdessen erkannt, das dem Flächenfraß nur mit Freiflächen in der Höhe entgegnet werden kann. Dass Hochhäuser als möglichst schlanke Skulpturen der Stadt auch noch Gepräge und Eleganz verleihen können, ist ein zusätzlicher Benefit. Jener 1991 berufene und mit Unterbrechung erst 2006 geschasste Senatsbaudirektor argwöhnte stets, dass eitle selbstsüchtige Künstler in Berlin immer nur ihre handgeschnitzten Schaukelpferde im Karussell vorführen wollten. Wenn es denn mal so gewesen wäre! Stattdessen wurden Zaha Hadid, Frank Gehry, Daniel Libeskind, Philip Johnson und andere große Baumeister ihrer Zeit am Gängelband durch die Stadt geführt, bis sie endlich gebändigt waren oder einfach frustriert aufgaben.
Langhof hat durchgehalten und ist heute mehr denn je überzeugt, dass auch Berlin dem verstärkten Bau von Hochhäusern nicht mehr ausweichen kann, um die Versieglung der letzten städtischen Grünflächen (wie am alten Flughafen Tempelhof )zu verhindern. Der Bedarf nach Wohnungen und neuen Arbeitsorten erzwinge ein grundsätzliches Umdenken, mahnt Langhof. So wird der Mann mit dem architektonischen Schmäh auch nicht müde, ungefragt Lösungen zu präsentieren für die es weder Baurecht noch Bauherren gibt. Man sollte dankbar sein, für solche Hartnäckigkeit.
Wie der Klimawandel die Stadt zur Flucht in die Vertikalität geradezu zwingt
Was der Stadt der Zukunft bleibt, ist also die Flucht in die Vertikale, damit sie zwischen den Baukörpern lebenswert und umweltverträglich bleiben kann, manchmal gar erstmals gestaltet und als Stadtlandschaft angelegt wird. Seine Konzept-Studie mit Namen "Holzmarkt Garden" gibt einen wunderbaren Eindruck und visualisiert eindrucksvoll, wie die Zukunft nicht nur Schrecken parat hält, sondern auch neue Hoffnung auf mehr Lebensqualität für die Stadtbevölkerung, Das Auto wird auf der funktional weiterhin notwendigen Verkehrsschneise von ihm übrigens nicht verboten, sondern verkehrsberuhigt eingebunden.
Man könnte glauben, dass Langhof zunächst den Park wie einst der klassizistische Gartenkünstler Peter Joseph Lenné gezeichnet hat und erst dann von ihm die Architektur ins Bild eingefügt wurde . Die zur Verwirklichung nötigen Flächen sind real, liegen im weitesten Wortsinne sogar brach und müssten von den Bürgern der Stadt und ihren Repräsentanten einfach nur Investoren zur Verfügung gestellt werden. Ein ganz anderer Ansatz von Stadtentwicklung. Utopia oder doch "Brave New World"?