Politik

Landtagswahlen in Brandenburg: Alles, was man wissen sollte

Lesezeit: 4 min
17.09.2024 07:59
Das politische Deutschland blickt gespannt auf die anstehende Landtagswahl in Brandenburg. Wofür stehen die Spitzenkandidaten von SPD, AfD, CDU und BSW? Wie lange darf die Regierungssuche nach der Wahl dauern? Und warum könnte es diesmal mit der Koalitionsfindung schwierig werden?
Landtagswahlen in Brandenburg: Alles, was man wissen sollte
Dietmar Woidke (M), Ministerpräsident von Brandenburg und SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl am 22.09.2024, nimmt zusammen mit AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt und anderen an einer Podiumsdiskussion teil. (Foto: dpa)
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Vor fünf Jahren schaffte es die SPD von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke auf den letzten Metern doch noch, die AfD zu übertrumpfen. Bislang stellte die SPD seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 durchgängig den Ministerpräsidenten. Würde die AfD nun stärkste Kraft, wäre dies das erste Mal in Brandenburg - und das zweite Mal bei einer Landtagswahl überhaupt, nach der Wahl in Thüringen am 1. September.

Am Sonntag sind rund 2,1 Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger zur Wahl aufgerufen. Rund 100.000 Erstwähler geben zum ersten Mal ihre Stimmen ab. Etwa 500 Bewerberinnen und Bewerber treten nach Angaben der Landeswahlleitung an. Es gibt 348 Direktkandidaten. Jeder Wahlberechtigte hat zwei Stimmen. Mit der Erststimme wird einer der 348 Direktkandidaten im Wahlkreis gewählt, mit der Zweitstimme wird die Landeslisten bestimmt - das sind zwölf Parteien, eine politische Vereinigung und eine Listenvereinigung. Manche Parteien haben nur Direktkandidaten, manche nur Landeslisten.

Wenn eine Partei oder Vereinigung bei den Zweitstimmen die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreicht, heißt das nicht automatisch, dass sie nicht im Landtag vertreten ist. Bei mindestens einem Direktmandat gilt diese Hürde nicht - die Partei oder Vereinigung zieht dann in den Landtag ein, und zwar mit der Anzahl der Sitze nach ihrem Zweitstimmenergebnis.

Die wichtigsten Spitzenkandidaten

Bei der Landtagswahl in Brandenburg stehen die Spitzenkandidaten im Mittelpunkt, sie sind das Gesicht ihrer Partei. Manche treten zum wiederholten Mal an, während andere von ihnen erst kürzlich in diese Position gekommen sind. Es folgt eine kurze Übersicht der Spitzenkandidaten der wichtigsten Parteien.

SPD: Dietmar Woidke - Erfahrener Landesvater im Wahl-Duell

Seit mehr als elf Jahren regiert Ministerpräsident Dietmar Woidke in Brandenburg, zum dritten Mal tritt er als SPD-Spitzenkandidat an. Der 62-jährige Lausitzer ist studierter Agraringenieur und hatte verschiedene Führungspositionen inne: Er war in Brandenburg Landwirtschaftsminister, SPD-Fraktionschef, Innenminister und übernahm 2013 das Ministerpräsidentenamt von Matthias Platzeck.

„Wenn Glatze, dann Woidke“, heißt es auf einer Wahlwerbung online und in Kinos und Baumärkten. Diesmal spitzt der Regierungschef, der in Umfragen als beliebtester Politiker gilt, den Wahlkampf zu. Bei einem AfD-Sieg will der Sozialdemokrat keine Regierungsverantwortung mehr übernehmen. Seine „schwerste politische Entscheidung“ war die Absage der Kreisgebietsreform, sein größter Coup die Ansiedlung von Tesla in Grünheide.

AfD: Hans-Christoph Berndt - Fraktionschef und rechter Netzwerker

Spitzenkandidat der AfD ist der Laborarzt Hans-Christoph Berndt- Er zählt zu sechs Abgeordneten, die der Landesverfassungsschutz nach bisherigem Stand als rechtsextrem einstuft. Berndt spricht im Wahlkampf etwa von „unkontrollierter Massenmigrationspolitik“. Den Verfassungsschutz, den er als „Neo-Stasi“ bezeichnete, und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk will er abschaffen. Seit 2019 sitzt Berndt im Landtag und übernahm im Jahr darauf den Fraktionsvorsitz von Andreas Kalbitz. Berndt ist bestens vernetzt. Im Jahr 2015 gründete er den Verein „Zukunft Heimat“. Die Strategie einer Ausgrenzung der AfD hält er für gescheitert. Kürzlich hieß es von ihm: „Ich bin ja auch ein alter Linker, der sich mit der Zeit wegbewegt hat.“

CDU: Jan Redmann - Karrieremann mit Fehlern

Der Anwalt Jan Redmann führt die CDU-Landtagsfraktion in Brandenburg seit 2019 und steht seit 2023 an der Spitze des Landesverbands. Er hat die Landes-CDU nach dem Rückzug von Michael Stübgen modernisiert. Der 44-Jährige will die Staatskanzlei erobern. Mit wem er nicht gern regieren möchte, hat er deutlich gemacht: mit den Grünen. Zuletzt geriet der CDU-Mann auch in die Negativ-Schlagzeilen, weil er betrunken E-Scooter fuhr. Redmann räumte den Fehler ein. Es erging ein Strafbefehl, und er musste eine Geldstrafe von 8.000 Euro zahlen.

Der 44-jährige Wittstocker fährt einen harten Wahlkampfkurs gegen die Ampel in Berlin. Bei landespolitischen Inhalten setzt er auf Bildung und Sicherheit. Dass Redmann politisch viel vorhat, zeigt auch seine Mitgliedschaft im CDU-Bundesvorstand. In der Partei ist er gut vernetzt: Mit NRW-Regierungschef Hendrik Wüst hat er mal in einer WG gewohnt.

BSW: Robert Crumbach - Landeschef mit langer SPD-Vergangenheit

Vor zehn Jahren wollte Robert Crumbach für die SPD Landrat im niedersächsischen Stade werden. Heute greift er die Sozialdemokraten im Wahlkampf an. Der 61 Jahre alte Arbeitsrichter aus Potsdam führt das noch junge Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als Spitzenkandidat in die Landtagswahl, er ist auch Vorsitzender der Landespartei. Auf Wahlplakaten lässt er aber oft Parteigründerin Wagenknecht den Vortritt. Den Ukraine-Krieg und Bemühungen für einen Frieden mit Russland hält er für eine Bedingung, um in einer Koalition mitzuregieren. 40 Jahre lang war Crumbach in der SPD. „Die letzten zehn Jahre habe ich schon gezweifelt“, erzählt er.

So läuft die Regierungsbildung in Brandenburg

Der neu gewählte Landtag tritt spätestens am 30. Tag nach der Wahl zusammen, das ist im aktuellen Fall der 22. Oktober. Dann endet die alte Wahlperiode. In der ersten Sitzung wählt der Landtag eine Präsidentin oder einen Präsidenten und mindestens eine Vizepräsidentin oder einen Vizepräsidenten. Damit steht nicht automatisch fest, dass die stärkste Fraktion den Präsidenten oder die Präsidentin stellt. Eine Vizepräsidentin oder ein Vizepräsident soll einer Oppositionsfraktion angehören, heißt es seit 2022 in der Verfassung. Bis dahin hatten die Fraktionen ein Vorschlagsrecht in der Reihenfolge ihrer Stärke. Die AfD hat in der zu Ende gehenden Wahlperiode den Vizepräsidenten gestellt, das sorgte zeitweise für heftige Kritik.

Für die Regierungsbildung gibt es eine Deadline. In der Brandenburger Verfassung heißt es: Kommt die Wahl des Ministerpräsidenten innerhalb von drei Monaten nach der Konstituierung des Landtages nicht zustande, so gilt der Landtag als aufgelöst.

Nach der vorherigen Wahl am 1. September 2019 wurde Woidke am 20. November 2019 im Parlament als Regierungschef vereidigt - die Zeit reichte damals also. Er regiert bislang mit CDU und Grünen. Diesmal könnte die Bildung einer Regierung allerdings schwierig werden. Offen ist, wie stark die AfD wird. Mit ihr will keine andere Partei zusammenarbeiten. Dazu kommt mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eine neue Partei, die eine wichtige Rolle bei der Bildung einer Regierung spielen könnte, aber als Gesprächspartner bisher unbekannt ist. Auch kommt es darauf an, wie viele Fraktionen im Landtag vertreten sein werden.

Studie: Mandatsverteilung könnte zum Problem werden

Die Verteilung der Mandate könnte diesmal einer Studie zufolge eine Hürde werden. Der Politikforscher Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung skizziert den Fall, dass die AfD mit einem angenommenen Ergebnis von etwas mehr als einem Viertel der Zweitstimmen mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag bekommen könnte. Das könnte der Fall sein, wenn die AfD deutlich mehr Direktmandate holt als ihr an Mandaten nach dem Zweitstimmenanteil zustehen würde und die anderen Parteien nicht genug Ausgleichsmandate erhalten - denn die Zahl der Sitze ist auf 110 gedeckelt, derzeit sind es 88.

Das würde in dem Szenario dazu führen, dass ohne die AfD die Landesverfassung unter diesen Umständen nicht mehr geändert werden könnte. Wenn die Partei die sogenannte Sperrminorität von mehr als einem Drittel der Mandate hätte, könnte sie also Verfassungsänderungen blockieren. Der Forscher warnt davor, dass der Fall Verfassungsklagen nach sich ziehen könnte, weil gegen die Gleichheit der Wahl und die Grundsätze der Verhältniswahl verstoßen würde.


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