Politik

Mindestlohn-Erhöhung auf 15 Euro: der letzte Strohhalm der SPD?

Lesezeit: 4 min
12.09.2024 17:10
Politisierung des Mindestlohnes: Wie hoch soll die gesetzliche Lohnuntergrenze künftig sein? Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat klare Vorstellungen: „Die letzte Erhöhung war zu niedrig. Das wissen alle. Und es ist jetzt notwendig, dass wir das auch klar ziehen.“ Die Gewerkschaften sehen sich gestärkt, während FDP und die Arbeitgeberverbände auf die Barrikaden gehen. Soll die Forderung nur die SPD vorm Absturz retten?
Mindestlohn-Erhöhung auf 15 Euro: der letzte Strohhalm der SPD?
Schon 2021 half eine Erhöhung des Mindestlohnes per Gesetz der SPD und Olaf Scholz im Wahlkampf. (Foto: dpa)
Foto: Sven Hoppe

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Schon jetzt ist der Mindestlohn in Deutschland der zweithöchste in Europa – nur in Luxemburg ist er höher. Jetzt soll er für Arbeitnehmer in den kommenden zwei Jahren auf bis zu 15 Euro steigen. Das erwartet Bundesarbeitsminister Hubertus Heil als zwingende Konsequenz aus einem EU-Gesetz. „Davon werden übrigens 6 Millionen Menschen profitieren“, sagte der SPD-Politiker im ARD-Morgenmagazin. Nach monatelangen Vorbereitungen legte er zudem den erwarteten Gesetzentwurf für verpflichtende Tariftreue für Firmen im Auftrag des Bundes vor.

SPD will 15 Euro Mindestlohn

Die gesetzliche Lohnuntergrenze liegt heute bei 12,41 Euro brutto pro Stunde. Zum 1. Januar 2025 steigt der Mindestlohn auf 12,82 Euro – gemäß bereits gefällter Beschlüsse. Heil: „Und dann wird im Jahre 2026 der Mindestlohn zwischen 14 und 15 Euro liegen.“ Die Anhebung des Mindestlohns hatte nicht mit der Inflation Schritt gehalten. Zuletzt ist die Teuerungsrate in Deutschland aber auf 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gefallen.

Neues EU-Recht

In einem der Nachrichtenagentur DPA vorliegenden Brief an die Mindestlohnkommission kündigt Heil an, er halte die neuen EU-Vorgaben als erreicht an, wenn das Gremium die Vorgabe von einem Mindestlohn von 60 Prozent des mittleren Lohns berücksichtige. Bis 15. November sei die EU-Mindestlohn-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

In seinem Schreiben an die Kommissionsvorsitzende Christiane Schönefeld erläutert Heil: „Bei der Ermittlung der 60-Prozent-Schwelle sind die Lohndaten von Vollzeitbeschäftigten zugrundezulegen.“ Er fordert: „Der Mindestlohnkommission kommt es nun zu, diese europäischen Vorgaben mit Leben zu füllen.“

Kritik an Mindestlohnkommission

In der Kommission verhandeln Spitzenvertreterinnen und -vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgebern über die Erhöhungsschritte. Sie machen der Regierung regelmäßig Vorgaben, die das Arbeitsressort dann per Verordnung umsetzt.

Beim jüngsten Erhöhungsschritt hatten die Arbeitgeber mit der Stimme der unabhängigen Vorsitzenden die Gewerkschaften überstimmt. Das hatte der gesetzlich verankerten Kommission viel Kritik von der Arbeitnehmerseite eingebracht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte gefordert, dass die Mindestlohnkommission künftig wieder einvernehmlich entscheiden solle.

Vorgeschmack auf hartes Ringen

Der in der Kommission vertretene Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die ebenfalls dem Gremium angehörende Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) geben bereits einen Vorgeschmack darauf, wie hart hinter verschlossenen Türen die Debatten ausfallen dürften.

BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter wettert: „Die Arbeit der Mindestlohnkommission ist durch diesen fortgesetzten Wortbruch vom Bundesarbeitsminister infrage gestellt.“ Der Arbeitgebervertreter fragt: „Wie unabhängig kann eine Kommission sein, wenn Mitglieder der Bundesregierung bestimmte Erwartungen zukünftiger Ergebnisse in Abhängigkeit von Wahlterminen formulieren?“ DGB-Chefin Yasmin Fahimi hingegen lobt Heils Äußerungen als „klare Zeichen“.

Heil muss EU-Kommission berichten

Heil sagt: „Die letzte Erhöhung war zu niedrig. Das wissen alle. Und es ist jetzt notwendig, dass wir das auch klar ziehen.“ In Deutschland gebe es 45 Millionen Erwerbstätige, davon 35 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.

Zum Zeitrahmen sagte der Minister: „Ich muss bis November der EU-Kommission melden, ob das deutsche Recht der EU-Richtlinie entspricht.“ Deshalb habe er der unabhängigen Mindestlohnkommission geschrieben. „Die muss in der ersten Jahreshälfte einen Vorschlag machen, wie es ab 1.1.2026 weitergeht.“

FDP warnt Heil

Unter Verweis auf die Tarifautonomie von Arbeitgebern und Arbeitnehmern übte die FDP deutliche Kritik an Heil. „Besonders der Bundesarbeitsminister sollte sich davor hüten, durch offensichtliche Wahlkampfmanöver diese bewährte Tarifautonomie zu untergraben und so an einem Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft zu rütteln“, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler.

Der Grünen-Sozialpolitiker und frühere Verdi-Chef Frank Bsirske forderte, per deutscher Neuregelung den Mindestlohn gesetzlich an 60 Prozent des mittleren Einkommens zu koppeln. Entsprechend äußerte sich auch Susanne Ferschl, arbeitsmarktpolitische Linke-Expertin. SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt sagte, ihre Fraktion unterstütze es, die EU-Mindestlohnrichtlinie schnellstmöglich umzusetzen. „Deutschland ist kein Billiglohnland und darf auch keines werden.“

Mehr Tarifbindung per Gesetz

Der SPD-Minister legte auch einen Entwurf für ein Tariftreuegesetz vor: Beschäftigte, die im Auftrag des Bundes tätig sind, sollen künftig generell unter dem Schutz eines Tarifvertrags arbeiten. „Unternehmen sollen ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern künftig, wenn sie öffentliche Aufträge und Konzessionen des Bundes ausführen, tarifvertragliche Arbeitsbedingungen gewähren müssen“, heißt es außerdem in einem Gesetzentwurf.

Heil erläuterte in der ARD, Tarifverträge brächten den Beschäftigten höhere Löhne als der Mindestlohn. „Durchschnittlich ist der Stundenlohn bei Tariflöhnen 4,50 Euro besser.“ Mit dem Gesetz sollen zudem Zugangsrechte von Gewerkschaften zum Betrieb gestärkt werden.

Fahimi sagte, die Gewerkschaften hätten lange auf Heils „wichtige Signale für gute Arbeit“ gewartet. Laut Statistischem Bundesamt ist die Tarifbindung in Westdeutschland seit 1998 von 76 auf 51 Prozent, im Osten von 63 auf 44 Prozent gesunken.

Mindestlohn – Spielball der Politik?

In Deutschland war der gesetzliche Mindestlohn 2015 eingeführt worden. Damals betrug er 8,50 Euro je Stunde. Dies waren seinerzeit rund 40 Prozent des durchschnittlichen Stundenverdienstes. Die gesetzliche Untergrenze soll Beschäftigte zusätzlich zu tariflichen Mindestlöhnen gegen Lohndrückerei schützen. Damit der Mindestlohn nicht zum Spielball der Politik wird, wurde im Gesetz festgelegt, dass der Mindestlohn nicht von der Regierung, sondern von einer Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften gesetzt wird.

Vor der Bundestagswahl 2021 versprach SPD-Kandidat Olaf Scholz auf knallroten Plakaten: „Jetzt 12 Euro Mindestlohn wählen“. Das war damals ein Aufschlag von 25 Prozent. Scholz gewann die Wahl. Die neue Ampel-Regierung setzte sich über das Gesetz hinweg und Scholz Wahlversprechen durch. Sie versprach aber, dass dieser politische Eingriff in den Mindestlohn eine Ausnahme bleibe. Nun macht der rote Arbeitsminister wieder Druck auf die – eigentlich unabhängige – Kommission, die den Mindestlohn festlegt.

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Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.



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