Ampel-Streit hin, Kanzlerkrise her – die SPD kann doch noch einen Erfolg feiern. So groß war das Aufatmen im Berliner Willy-Brandt-Haus an einem Wahlabend wie dem der Brandenburg-Wahl schon lange nicht mehr. Zwar wagte man sich direkt nach Schließung der Wahllokale nicht, die "Euphoriebremse" zu lösen, doch der Sieger des Abends stand fest: Dietmar Woidke, Brandenburgs amtierender Ministerpräsident. Für Olaf Scholz bringt die Brandenburg-Wahl allerdings wohl nur vorübergehende Erleichterung.
"Die beeindruckende Aufholjagd der SPD in Brandenburg und von Dietmar Woidke, die hat in den letzten Wochen voll eingeschlagen", so Generalsekretär Kevin Kühnert. Dies könne ihm keiner mehr nehmen. Laut Hochrechnungen hat der Ministerpräsident die AfD auf den letzten Metern hinter sich gelassen und kann wohl fünf weitere Jahre regieren. Woidke hat damit sogar ein besseres Ergebnis erzielt als bei der Landtagswahl 2019. Eine SPD bei fast 30 Prozent – wann gab es das zuletzt?
Mit seinem Wahlsieg erspart Woidke der SPD-Spitze und Scholz eine akute Krise. Eine Ironie des Schicksals, denn im Wahlkampf hatte Woidke auf die Unterstützung des Kanzlers verzichtet und sich in der Migrationsfrage klar von der Ampel distanziert. Stattdessen setzte er auf eine risikoreiche Taktik: Woidke knüpfte seinen Erfolg an die Wahl und baute auf seine Beliebtheit, auch bei Nicht-SPD-Wählern. Er hat alles riskiert und viel gewonnen. So holte er den Erfolg nicht mit Scholz, sondern trotz der Unbeliebtheit des Kanzlers.
Scholz zur Stimmung nach der Wahl: "Gut, natürlich"
Zwar half Scholz nicht im Wahlkampf, doch mit seiner eigenen Stimme hat er zum Wahlsieg Woidkes beigetragen. Scholz lebt in Potsdam und wählte per Briefwahl, bevor er zum UN-Gipfel nach New York flog. Um kurz nach 17.00 Uhr rief er aus der deutschen UN-Botschaft in Manhattan im Willy-Brandt-Haus an, um die ersten Prognosen der Brandenburg-Wahl zu besprechen.
Als er wenig später bei einem Termin gefragt wurde, wie die Stimmung sei, antwortete er nur: "Gut, natürlich." Für diesen Abend genügte das. Scholz konnte vorerst aufatmen.
Wäre Woidke hinter der AfD gelandet, hätte er wohl sein Amt niedergelegt. Dies hätte Scholz stark belastet. Sein Schicksal war also indirekt an das von Woidke bei der Brandenburg-Wahl geknüpft. Scholz, der in den Umfragen seit Monaten schwächelt, steht nach den Niederlagen bei der Europawahl sowie in Sachsen und Thüringen unter Druck.
Die SPD blickt neidisch auf den US-Wahlkampf
Ein Jahr vor der Bundestagswahl wird in der SPD immer häufiger diskutiert, ob der 66-jährige Scholz der richtige Kanzlerkandidat ist. Einige blicken neidisch in die USA, wo die Demokraten durch den Austausch eines unbeliebten Spitzenkandidaten eine Wende erzielten. Dies musste auch Parteichef Lars Klingbeil zugeben, als er den Parteitag in Chicago besuchte.
Noch am Abend der Brandenburg-Wahl stellte Klingbeil klar: "Wir wollen mit Olaf Scholz in die Bundestagswahl gehen." Gleichzeitig sei der SPD bewusst, dass schwierige Aufgaben auf sie zukommen. "Die Probleme auf Bundesebene sind noch da, und auch für die Bundestagswahl 2025 gibt es viel zu tun." Auch Kühnert zeigte sich verhalten: Zwar seien die Herausforderungen nicht größer geworden, aber auch nicht kleiner.
Die K-Frage bleibt offen
Die Kanzlerfrage ist dennoch nicht geklärt. Der beliebte Ex-Parteichef Franz Müntefering hatte sie vor Kurzem wieder aufgeworfen. Und das, obwohl Scholz vor der Sommerpause bereits erklärte: "Ich werde erneut als Kanzler antreten." Kurz vor der Brandenburg-Wahl brachte der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter Verteidigungsminister Boris Pistorius ins Spiel. Pistorius ist momentan der beliebteste SPD-Politiker und wird intern als potenzieller Kanzlerkandidat gehandelt.
Der Wahlsieg Woidkes bei der Brandenburg-Wahl wird Scholz zwar etwas Luft verschaffen, doch er bleibt ein Kanzler auf Bewährung. Die SPD erwartet nun, dass er in der Koalition eine aktivere Rolle einnimmt und sozialdemokratische Projekte wie das Rentenpaket oder das Tariftreuegesetz vorantreibt. All diese Themen bergen großes Konfliktpotenzial in der Ampel. "Die Partei ist unzufrieden mit unserer Bundespolitik. Ja, der Druck ist groß", sagte Klingbeil bereits vor der Wahl.
Auch die kleineren Ampel-Partner gehen geschwächt in das letzte Jahr vor der Bundestagswahl. Nach schlechten Ergebnissen in Sachsen und Thüringen scheiterte die FDP in Brandenburg erneut klar an der 5-Prozent-Hürde. Die Grünen, die bislang zweistellig waren, mussten den gesamten Abend um den Einzug in den Landtag zittern.
Der Haushalt als große Herausforderung
Der Ampelkoalition stehen schwierige Wochen bevor. Bis Ende November muss der Haushalt für 2025 stehen. Schafft die Ampel diese Hürde, stehen die Chancen gut, dass die Koalition bis zum regulären Wahltermin im September 2025 durchhält. Es könnte jedoch auch anders kommen. "Mut bedeutet manchmal, eine Koalition trotz Streit zu erhalten", sagte Finanzminister Christian Lindner kürzlich der "Rheinischen Post". "Aber Mut bedeutet manchmal auch, Risiken einzugehen, um neue politische Dynamik zu schaffen."