Politik

Brandenburg-Wahl: Woidkes Sieg und Scholz' Zukunft

Brandenburgs SPD-Regierungschef Woidke sichert laut Hochrechnungen mit seinem Wahlsieg Kanzler Scholz und der Parteiführung das Überleben einer akuten Krise – und das, obwohl er den Sieg eher trotz als mit ihnen errang.
22.09.2024 20:49
Aktualisiert: 22.09.2024 20:49
Lesezeit: 3 min

Ampel-Streit hin, Kanzlerkrise her – die SPD kann doch noch einen Erfolg feiern. So groß war das Aufatmen im Berliner Willy-Brandt-Haus an einem Wahlabend wie dem der Brandenburg-Wahl schon lange nicht mehr. Zwar wagte man sich direkt nach Schließung der Wahllokale nicht, die "Euphoriebremse" zu lösen, doch der Sieger des Abends stand fest: Dietmar Woidke, Brandenburgs amtierender Ministerpräsident. Für Olaf Scholz bringt die Brandenburg-Wahl allerdings wohl nur vorübergehende Erleichterung.

"Die beeindruckende Aufholjagd der SPD in Brandenburg und von Dietmar Woidke, die hat in den letzten Wochen voll eingeschlagen", so Generalsekretär Kevin Kühnert. Dies könne ihm keiner mehr nehmen. Laut Hochrechnungen hat der Ministerpräsident die AfD auf den letzten Metern hinter sich gelassen und kann wohl fünf weitere Jahre regieren. Woidke hat damit sogar ein besseres Ergebnis erzielt als bei der Landtagswahl 2019. Eine SPD bei fast 30 Prozent – wann gab es das zuletzt?

Mit seinem Wahlsieg erspart Woidke der SPD-Spitze und Scholz eine akute Krise. Eine Ironie des Schicksals, denn im Wahlkampf hatte Woidke auf die Unterstützung des Kanzlers verzichtet und sich in der Migrationsfrage klar von der Ampel distanziert. Stattdessen setzte er auf eine risikoreiche Taktik: Woidke knüpfte seinen Erfolg an die Wahl und baute auf seine Beliebtheit, auch bei Nicht-SPD-Wählern. Er hat alles riskiert und viel gewonnen. So holte er den Erfolg nicht mit Scholz, sondern trotz der Unbeliebtheit des Kanzlers.

Scholz zur Stimmung nach der Wahl: "Gut, natürlich"

Zwar half Scholz nicht im Wahlkampf, doch mit seiner eigenen Stimme hat er zum Wahlsieg Woidkes beigetragen. Scholz lebt in Potsdam und wählte per Briefwahl, bevor er zum UN-Gipfel nach New York flog. Um kurz nach 17.00 Uhr rief er aus der deutschen UN-Botschaft in Manhattan im Willy-Brandt-Haus an, um die ersten Prognosen der Brandenburg-Wahl zu besprechen.

Als er wenig später bei einem Termin gefragt wurde, wie die Stimmung sei, antwortete er nur: "Gut, natürlich." Für diesen Abend genügte das. Scholz konnte vorerst aufatmen.

Wäre Woidke hinter der AfD gelandet, hätte er wohl sein Amt niedergelegt. Dies hätte Scholz stark belastet. Sein Schicksal war also indirekt an das von Woidke bei der Brandenburg-Wahl geknüpft. Scholz, der in den Umfragen seit Monaten schwächelt, steht nach den Niederlagen bei der Europawahl sowie in Sachsen und Thüringen unter Druck.

Die SPD blickt neidisch auf den US-Wahlkampf

Ein Jahr vor der Bundestagswahl wird in der SPD immer häufiger diskutiert, ob der 66-jährige Scholz der richtige Kanzlerkandidat ist. Einige blicken neidisch in die USA, wo die Demokraten durch den Austausch eines unbeliebten Spitzenkandidaten eine Wende erzielten. Dies musste auch Parteichef Lars Klingbeil zugeben, als er den Parteitag in Chicago besuchte.

Noch am Abend der Brandenburg-Wahl stellte Klingbeil klar: "Wir wollen mit Olaf Scholz in die Bundestagswahl gehen." Gleichzeitig sei der SPD bewusst, dass schwierige Aufgaben auf sie zukommen. "Die Probleme auf Bundesebene sind noch da, und auch für die Bundestagswahl 2025 gibt es viel zu tun." Auch Kühnert zeigte sich verhalten: Zwar seien die Herausforderungen nicht größer geworden, aber auch nicht kleiner.

Die K-Frage bleibt offen

Die Kanzlerfrage ist dennoch nicht geklärt. Der beliebte Ex-Parteichef Franz Müntefering hatte sie vor Kurzem wieder aufgeworfen. Und das, obwohl Scholz vor der Sommerpause bereits erklärte: "Ich werde erneut als Kanzler antreten." Kurz vor der Brandenburg-Wahl brachte der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter Verteidigungsminister Boris Pistorius ins Spiel. Pistorius ist momentan der beliebteste SPD-Politiker und wird intern als potenzieller Kanzlerkandidat gehandelt.

Der Wahlsieg Woidkes bei der Brandenburg-Wahl wird Scholz zwar etwas Luft verschaffen, doch er bleibt ein Kanzler auf Bewährung. Die SPD erwartet nun, dass er in der Koalition eine aktivere Rolle einnimmt und sozialdemokratische Projekte wie das Rentenpaket oder das Tariftreuegesetz vorantreibt. All diese Themen bergen großes Konfliktpotenzial in der Ampel. "Die Partei ist unzufrieden mit unserer Bundespolitik. Ja, der Druck ist groß", sagte Klingbeil bereits vor der Wahl.

Auch die kleineren Ampel-Partner gehen geschwächt in das letzte Jahr vor der Bundestagswahl. Nach schlechten Ergebnissen in Sachsen und Thüringen scheiterte die FDP in Brandenburg erneut klar an der 5-Prozent-Hürde. Die Grünen, die bislang zweistellig waren, mussten den gesamten Abend um den Einzug in den Landtag zittern.

Der Haushalt als große Herausforderung

Der Ampelkoalition stehen schwierige Wochen bevor. Bis Ende November muss der Haushalt für 2025 stehen. Schafft die Ampel diese Hürde, stehen die Chancen gut, dass die Koalition bis zum regulären Wahltermin im September 2025 durchhält. Es könnte jedoch auch anders kommen. "Mut bedeutet manchmal, eine Koalition trotz Streit zu erhalten", sagte Finanzminister Christian Lindner kürzlich der "Rheinischen Post". "Aber Mut bedeutet manchmal auch, Risiken einzugehen, um neue politische Dynamik zu schaffen."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen uneinheitlich: Die Angst vor dem Absturz wächst – und Trump schaut zu
11.11.2025

Die Rally an den US-Börsen wankt: Während der Leitindex Dow Jones am Dienstag stabil bleibt, dominieren beim Nasdaq Composite Index die...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs: Erholungsversuch geht beim DAX aktuell weiter – Ende des US-Shutdowns in Sicht
11.11.2025

Der DAX-Kurs zeigt im Börsenhandel am Dienstag wieder seine aktuelle Stärke – doch wie nachhaltig ist der Aufwärtstrend beim DAX...

DWN
Finanzen
Finanzen Schuldenbremse: Reformplan von Bundesbank vorgelegt
11.11.2025

Die Bundesbank bringt mit einem Reformplan zur Schuldenbremse Bewegung in die Finanzpolitik. Ihr Vorschlag verspricht Investitionen,...

DWN
Politik
Politik Lawrows Verschwinden: Wo steckt eigentlich der russische Außenminister?
11.11.2025

Seit einigen Tagen bleibt der russische Außenminister Sergej Lawrow öffentlichen Terminen fern. Ist Lawrow bei Präsident Wladimir Putin...

DWN
Finanzen
Finanzen Nvidia-Aktie im Minus: Nvidia-Investor Softbank verkauft Aktien
11.11.2025

Nach einem starken Wochenstart der Tech-Werte an den US-Börsen richtet sich der Blick auf die Nvidia-Aktie. Während Anleger Hoffnungen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Elektroindustrie: ZVEI meldet Aufschwung
11.11.2025

Die deutsche Elektroindustrie sendet nach schwierigen Monaten ein deutliches Lebenszeichen. Aufträge, Produktion und Umsätze steigen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Home-Office und Feierabend: Warum das Recht auf Abschalten jetzt gesetzlich gestärkt wird
11.11.2025

Die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen, besonders im Home-Office. Viele fühlen sich nach Feierabend verpflichtet, E-Mails...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland verschlechtern sich unerwartet
11.11.2025

Die ZEW-Konjunkturerwartungen liefern ein wichtiges Signal für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands. Doch die Stimmung der...