Unter den vielen Waffensystemen, die der Westen in die Ukraine entsendet, wurde vor allem eines als möglicher „Game-Changer“ gehandelt: der Panzer. Vornehmlich deutsche Kampfpanzer des Typs Leopard-2A6 sollten die ukrainische Gegenoffensive beflügeln und den russischen Truppen herbe Verluste zufügen. Beides wurde nicht erreicht.
Während deutsche Marder, Geparden und Panzerhaubitzen 2000 die Front stabilisierten, mehrten sich Meldungen von zerstörten und nicht einsatzfähigen Leopard-Kampfpanzern. Letztere gehören jedoch zu den weltweit fortschrittlichsten Panzermodellen. Ist die Waffengattung also am Ende? Experten sind sich uneins über die Zukunft des Panzers, der mit dem Aufstieg der Drohnen eine ernste und kostengünstige Konkurrenz erhalten hat.
Der Panzer: Ein Relikt des 20. Jahrhunderts?
Vor über 108 Jahren kamen erstmals Panzer im großen Maßstab zum Einsatz. An der Somme im Jahr 1916 sahen sich Truppen der Deutschen Reichswehr nach tagelangem Artilleriebeschuss mehreren Tausend britischen Soldaten gegenüber, die ihre Schützengräben zu stürmen versuchten. Doch die Soldaten waren nicht allein: In ihren Mitten rollten kolossale Tanks aus britischer Produktion, die mit MG und Kanonen bestückt waren.
Die Erfindung war nicht neu: Schon lange kursierten „Panzerglocken“, „Panzerwagen“ und „Panzerzüge“ durch die Werkshallen europäischer Industrieller, so etwa die gepanzerten Fahrzeuge von Škoda. Doch der britische Mark I war der erste voll einsatzfähige Panzer, der je auf einem Schlachtfeld zum Einsatz kommen sollte. Die Deutschen mussten die Kolosse auf dem Schlachtfeld mit Artillerie, Handgranaten und Minen stoppen, bis sie Panzerabwehrbüchsen und eigene Tanks entwickelten. Die Entwicklung war nicht mehr rückgängig zu machen: Mit dem Panzer endete der starre Grabenkrieg, der die Westfront zwei Jahre lang geprägt hatte.
Panzer und Panzerabwehrwaffen wurden fortan im immer schnelleren Tempo weiterentwickelt. Im Zweiten Weltkrieg fand bei Kursk im Jahr 1943 die größte Panzerschlacht statt, in der 300 Panzer der Wehrmacht und knapp 2000 Panzer der Sowjets vernichtet wurden.
Schon die Entwicklung schlagkräftiger Panzerabwehrkanonen (PAK), der ersten Panzerfaust und die vermehrte Nutzung von Molotowcocktails sollten den Status des Panzers als König des Schlachtfelds infrage stellen. In den zahlreichen hybriden Kriegen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlor der Panzer an Bedeutung — Kämpfe in den Dschungeln Vietnams, in den Bergen Afghanistans oder den Ruinen des Kosovo verlangten in erster Linie eine Luftüberlegenheit sowie den massiven Einsatz von Infanterie und Artillerie. Es stellt sich also die Frage, warum der Panzer ausgerechnet jetzt in der Ukraine seine Renaissance erfahren sollte.
David gegen Goliath: Wenn Billigdrohnen Panzer zerstören
Die Antwort liegt sowohl in der Profitabilität des Ukrainekriegs für westliche Firmen, als auch auf dem Kriegsschauplatz selbst. Wie das oftmals in Kritik geratene Gewehr 36 der Bundeswehr wurden moderne Panzer primär für den Einsatz in Osteuropa entworfen; hier sollten sie im flachen und überschaubaren Gelände schnelle Vorstöße der NATO beziehungsweise der Armee der Russischen Föderation ermöglichen. Panzer sind fahrende Festungen, die der Infanterie Schutz bieten und mit ihren Waffen beinahe jeden Widerstand brechen können, etwa indem sie Gebäude zerstören, Schützengräben aufbrechen oder sogar Flugzeuge beschießen. Doch in der Ukraine enttäuschte der vermeintliche Game-Changer auf beiden Seiten.
Russland konnte weder mit dem massiven Einsatz seiner alten sowjetischen Kampfpanzer noch mit übermäßig gelobten Prototypen wie dem T-14 Armata-Panzer nennenswerte Geländegewinne erzielen. Die russische Armee setzt in erster Linie auf den Einsatz von Infanterie, schwerer Artillerie und der Luftwaffe. Auch die Ukraine konnte die westlichen Kampfpanzer nicht wie geplant für ihre Gegenoffensive nutzen. Auf beiden Seiten fallen immer wieder Panzer aus, die von Drohnen, Panzerfäusten oder Artillerie erfasst werden.
So listet der Militärhistoriker Jakob Janovsky auf dem unabhängigen Portal Oryx über die Materialverluste beider Seiten seit Invasionsbeginn im Februar 2022. Insgesamt seien auf russischer Seite über 18.000 Vehikel zerstört, verlassen oder erbeutet worden, davon 10.000 gepanzerte Fahrzeuge. Auf ukrainischer Seite sind es etwas mehr als 6600, davon 3222 Kampffahrzeuge.
Diese Zahlen mögen auf den ersten Blick nicht verwundern — immerhin handelt es sich bei dem Ukrainekrieg um die größte Materialschlacht seit dem Zweiten Weltkrieg auf europäischem Boden. Doch der finanzielle Aufwand zur Zerstörung eines gepanzerten Fahrzeugs ist in diesem Krieg dramatisch gesunken. So nutzen beide Kriegsparteien einfachste Drohnen, die mit Sprengladungen bestückt und aus sicherer Distanz in die kolossalen Feindfahrzeuge gelenkt werden. Nicht selten reicht eine kleine Detonation aus, um den Panzer zu zerstören oder zumindest gefechtsuntauglich zu machen.
Der Grund ist simpel: Während die Front eines Tanks eine bis zu einem Meter dicke Panzerungen trägt, sind es auf der Oberfläche nur wenige Zentimeter. Der senkrecht geflogene Angriff mit kleinen Sprengsätzen wirkt wie ein Volltreffer einer Artilleriekanone. Darauf sind selbst modernste Panzer nicht vorbereitet. Panzerbesatzungen beider Seiten versuchen daher, ihre Fahrzeuge mit Störsendern und improvisierten Schutzdächern auszurüsten, um Drohnenangriffe abzuwehren. Der Erfolg hält sich derweil in Grenzen, sodass sich die Frage stellt, ob auch deutsche Kampfpanzer in der Ukraine noch relevant genug sind oder nur eine Kostenfalle für die ukrainischen Truppen darstellen.
Der König des Schlachtfelds: Verletzt, aber nicht tot
Die Rheinmetall-Aktie dürfte von diesem Ungleichgewicht auf dem Schlachtfeld nicht beeinträchtigt werden. Zwar ist es in diesem Konflikt, der von Cyber Kriegsführung über Panzerschlachten hin zu Grabenkämpfen alle Kriegsformen der letzten 120 Jahre bedient, ein Novum, dass ausgerechnet hochmoderne Kampfpanzer von Billigdrohnen zerstört werden. Doch die deutsche Rüstungsindustrie ist auf diese Eventualitäten vorbereitet. So setzt das Unternehmen auf die Weiterentwicklung des Gepards und des Skyranger Systems, welches auf Basis des Leopard-Panzers montiert werden soll. Beide Fahrzeuge dienen zur Luftabwehr und können selbst in der Fahrt anfliegende Drohnen vernichten.
Überdies soll der neueste Kampfpanzer aus dem Hause Rheinmetall, der Panther KF51, besonders gut gegen Drohnen vorgehen können. Mit mehreren ferngesteuerten Waffensystemen (RCW) kann die gesamte Hemisphäre mit tödlichem Sperrfeuer einer rücklings angebrachten 7.62 mm Kanone erfasst werden. Rheinmetall verspricht mit dem Panzer erneut einen „Game Changer“, der die Lage auf dem Kriegsschauplatz nachhaltig beeinflussen soll.
Überhaupt ist es unwahrscheinlich, dass die traditionsreiche Rüstungsfirma und andere deutsche Waffenhersteller in den kommenden Jahren ein erhebliches Minus erfahren. Allein Rheinmetall erhielt in dem umsatzstarken Jahr 2024 ein Auftragsvolumen von rund 60 Milliarden Euro, die Auftragsbücher dürften also noch lange gut gefüllt bleiben. Mit der Ankündigung Selenskyjs und Putins zur Aufrüstung dürfte der Rahmen für intensive Weiterentwicklungen jeglicher Waffensysteme gegeben sein. Ob Laserwaffen, Kamikazedrohnen oder ferngesteuerte Panzerfahrzeuge – der König des Schlachtfelds, der klassische Kampfpanzer, ist noch lange nicht am Ende. Dafür verkauft er sich viel zu gut.