Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Februar 2022 die „Zeitenwende“ mit massiven Investitionen in die Bundeswehr. Seitdem erlebt die Rüstungsindustrie nicht nur eine Flut an Aufträgen, sondern auch einen Imagewechsel - analog gilt das für Rheinmetall: Der Aktienkurs des Rüstungskonzerns schoss in ungekannte Höhen, Mitte April 2024 erreichte die Rheinmetall-Aktie ein Rekordhoch bei 570,60 Euro
Im März 2023 stieg der Rüstungskonzern sogar in den deutschen Leitindex DAX auf. Und deutsche Banken- und Fondsverbände wollen inzwischen mit nachhaltigen Anlageprodukten von konventionellen Rüstungsgütern profitieren.
Nachhaltige Fonds: Rüstungsindustrie wird „nachhaltig“
In nachhaltige Fonds können Anleger mit reinem Gewissen investieren, weil Aktien bestimmter Unternehmen nicht im Fonds enthalten sein dürfen. Viele nachhaltige Fonds schließen beispielsweise Unternehmen aus der Glücksspielbranche aus, ebenso Alkoholproduzenten oder Energiekonzerne, die Atomstrom produzieren.
Zur Einschätzung der Nachhaltigkeit von Fonds werden häufig die sogenannten ESG-Kriterien verwendet. Diese legen Wert auf Umweltschutz, Sozialverträglichkeit und gute Unternehmensführung. Rüstungskonzerne sind deshalb in der Regel in nachhaltigen Fonds ausgeschlossen. Doch nun soll dieses Verbot für Geld in Rüstung weiter gelockert werden.
„Auch unter geltenden Regeln können nachhaltige Finanzprodukte in Waffen investieren“, heißt es aktuell von der EU-Kommission und der europäischen Wertpapieraufsicht. Deutsche Verbände wollen nachziehen. Begründung: Der Ausbau der hiesigen Rüstungsindustrie soll Europa wettbewerbsfähiger machen. Die „Aufwertung“ der Rüstungsbranche und der andauernde Krieg in der Ukraine kurbeln langfristig die europäische Volkswirtschaft an.
Und die Kriegskosten steigen weiter: Währenddessen die Ukraine laut Schätzungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (ifw) bis 2026 einen Verlust der Wirtschaftskraft in Höhe von etwa 120 Milliarden Dollar haben wird. Die USA investieren den größten Beitrag zur Militärhilfe, dem ifw zufolge (Stand Februar) bisher 42,2 Milliarden. Dahinter folgt Deutschland mit mindestens 17,7 Milliarden Euro, was in etwa einem Drittel der gesamten militärischen Verpflichtungen aus der EU entspricht.
Ukraine: Deutsche Investitionen
Trotz oder gerade wegen des anhaltenden Krieges in der Ukraine ist das Interesse vieler deutscher Unternehmen an Investitionen ungebrochen. Eine aktuelle Umfrage des Wirtschaftsprüfungsunternehmens KPMG und der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer (AHK Ukraine) offenbart, dass 43 Prozent der befragten 142 deutschen Firmen planen, in den kommenden zwölf Monaten neue Investitionen zu tätigen, während lediglich 8 Prozent über einen Rückzug nachdenken.
Diese Zahlen unterstreichen, dass die wirtschaftlichen Chancen in der Ukraine die unmittelbaren Risiken des Krieges überwiegen. Dieses Verhalten wirft Fragen auf, die über betriebswirtschaftliche Überlegungen hinausgehen. Das unverminderte Engagement deutscher Unternehmen in der Ukraine lässt sich durch mehrere Schlüsselfaktoren erklären.
Geschäftsmodell des Wiederaufbaus
Der Wiederaufbau der Ukraine birgt enormes wirtschaftliches Potenzial. Die Weltbank schätzt, dass in den kommenden zehn Jahren etwa 486 Milliarden US-Dollar benötigt werden, um die Infrastruktur des Landes wiederherzustellen – ein deutlicher Hinweis auf die immensen Möglichkeiten dieses Marktes. Trotz der anhaltenden Unsicherheiten sehen viele Unternehmen und Investoren hierin große Chancen. Firmen, die bereits vor dem Krieg in der Ukraine aktiv waren, haben ihre Aktivitäten oft nicht vollständig eingestellt, sondern planen eine weitergehende Expansion.
Zur Risikominderung setzen sie auf Strategien wie die Diversifizierung ihrer Standorte innerhalb des Landes und verstärkte Sicherheitsvorkehrungen für ihre Mitarbeiter und Anlagen. Welche Unternehmen ihre Investitionen konkret ausweiten werden, bleibt abzuwarten, jedoch ist klar, dass der Wiederaufbau der Ukraine zu einem lukrativen Geschäftsfeld heranreift, das weit über bloße Unterstützung hinausgeht.
Die Ukraine bietet durch ihre fruchtbaren Böden und ihre strategisch vorteilhafte Lage ein vielversprechendes Investitionsumfeld. Besonders in den Bereichen Produktion, Energie, Pharma, IT und Outsourcing eröffnen sich vielfältige Chancen. Unternehmen, die in der Region tätig sind, sind überzeugt, dass die langfristigen Vorteile des Wiederaufbaus die aktuellen Risiken des Krieges überwiegen.
Bundesregierung verbessert Garantiekonditionen
Auch die Bundesregierung ist sehr daran interessiert, die Geschäftsbeziehungen deutscher Unternehmen mit der Ukraine trotz der Kriegssituation aufrechtzuerhalten und sogar auszubauen. Deshalb hatte Bundesminister Habeck auf seiner Reise in die Ukraine im April mitgeteilt, dass das Instrument der Investitionsgarantien für die Ukraine weiterhin zur Verfügung steht, und angekündigt, es auszuweiten.
Bundesminister Habeck: „Der Wiederaufbau der Ukraine ist eine Generationenaufgabe für die Ukraine und die internationale Gemeinschaft. Je enger die wirtschaftlichen Beziehungen zur Ukraine sind, desto früher kann begonnen werden, daran zu arbeiten. Noch während des Krieges wollen wir daher die Voraussetzungen schaffen und Kapazitäten aufbauen. Gleichzeitig ist es ein Signal der Zuversicht und der Solidarität!“
2023 bestanden für die Ukraine Investitionsgarantien für 14 Unternehmen mit einem gesamten Deckungsvolumen (Höchsthaftung) in Höhe von 280 Millionen Euro.
Doppelrolle: Investitionen in Rüstung und Wiederaufbau
Neben deutschen Firmen sind auch internationale Großinvestoren wie BlackRock und Vanguard stark am Wiederaufbau der Ukraine beteiligt. Diese Unternehmen entwickeln umfassende Strategien und Finanzierungsmodelle zur Förderung des Wiederaufbaus. Auffällig ist dabei die Doppelrolle dieser Investoren, die nicht nur in den Wiederaufbau investieren, sondern auch bedeutende Anteile an Rüstungsunternehmen halten.
So hat BlackRock kürzlich seinen Anteil am deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall auf 5,30 Prozent aufgestockt. Vermögensverwalter wie BlackRock und Vanguard nutzen den andauernden Krieg und den anschließenden Wiederaufbau als langfristige, gewinnbringende Investitionsmöglichkeit. Gewinn steht hier klar über Moral.
Deutsche gegen Waffen
Die Mehrheit der Menschen im Land ist gegen Waffen und möchte Frieden: Dafür sprechen sich 68 Prozent der Befragten einer aktuellen INSA-Umfrage aus, die Sahra Wagenknecht gemeinsam mit Alice Schwarzer in Auftrag gegeben habe. Nur jeder fünfte ist absolut oder eher dagegen. 65 Prozent würden es befürworten, wenn der Westen Russland einen Stopp der Waffenlieferungen im Gegenzug für einen Waffenstillstand anbieten würde. In Ostdeutschland sind sogar 79 Prozent für einen Waffenstillstand. Lediglich 28 Prozent der Befragten halten die diplomatischen Bemühungen der Ampel für ausreichend, um eine Kriegsgefahr von Deutschland abzuwenden.
Der Boom der Rüstungsindustrie sorgt für Proteste und Unbehagen, wie aktuell in Kiel. Dort protestieren Menschen mit einem Camp „Rheinmetall entwaffnen“. Die Demonstranten wollen mit ihrem Protest verdeutlichen, dass Kriege weltweit durch die Waffenproduktion in Deutschland beginnen. Kiel sei dabei bewusst als Protestort ausgewählt worden, da es einer der größten Rüstungsstandorte Deutschlands ist.
Der Krieg produziert Gewinner und Verlierer. Oder wie lässt sich die gleichzeitige Finanzierung von Aufrüstung und Wiederaufbau einen kriegszerstörten Landes anders rechtfertigen?