Bei den Wahlen der gesetzgebenden Organe sieht es dank der verzerrenden Wirkung des „Gerrymanderings“, bei dem parteiische Amtsträger zum Vorteil ihrer eigenen Partei surrealistisch anmutende Wahlbezirke festlegen, kaum besser aus. Die Politiker wählen ihre Wähler aus, wobei das Geschick des Kartographen wichtiger ist als die Wünsche des Volkes.
Folglich genießen Präsidenten oft nicht das Vertrauen des größten Teils des Landes, und die Abgeordneten sind mehr daran interessiert, sich bei ihrer Basis anzubiedern als den Interessen des Landes zu dienen. Eine glaubwürdige, unabhängige Kontrolle dieser beiden Gewalten könnte die USA auf verfassungskonformen Bahnen halten und verhindern, dass die Politiker in Richtung Autokratie oder Pöbelherrschaft abdriften. Doch die gibt es nicht, denn Hüter der US-Verfassung ist ein Oberster Gerichtshof, dessen derzeitige Mitglieder nicht nur bereitwillig, sondern mit Wollust politisch Partei ergreifen.
Einige Richter tun nicht einmal mehr so, als würden sie, wie es der Oberste Richter John Roberts bei seiner Bestätigungsanhörung vor 19 Jahren formulierte, über „Balls and Strikes“ (Fehlwürfe und Treffer) entscheiden. In den großen, wirklich wichtigen Fällen bleiben die Richter letztlich ihrer sektiererischen Identität treu und nutzen die Politik und nicht das Recht als Richtschnur. Auch wenn sie sich auf den Verfassungstext berufen und Lippenbekenntnisse zu grundlegenden Rechtsprinzipien ablegen, dienen diese nicht als Entscheidungsgrundlage, sondern zur Verschleierung politischer Absichten.
Eine Verfassung für eine andere Zeit
In No Democracy Lasts Forever: How the Constitution Threatens the United States (Keine Demokratie hält ewig: Wie die Verfassung die Vereinigten Staaten bedroht) kommt Erwin Chemerinsky, Dekan der Berkeley Law School, zu dem Schluss, dass die einzige Lösung für das verfassungsrechtliche Dilemma der USA ein Neuanfang sei. Wenn die USA eine Demokratie bleiben sollen, so argumentiert er, reiche es womöglich nicht, am System herumzubasteln – sei es durch richterlichen Beschluss oder eine Verfassungsänderung. Womöglich böte nur ein Neuanfang die Chance, die grundlegenden Fehler im Kern der amerikanischen Verfassungsordnung zu beseitigen.
Chemerinsky möchte uns ins Bewusstsein rücken, dass niemand, der heute ein demokratisches politisches System errichten wollte, ein Gründungsdokument wie das der USA entwerfen würde. Selbst wenn man die Verfassung nähme, so wie sie nach dem Bürgerkrieg vorlag – als die Sklaverei endlich ihren rechtlichen Schutz verloren hatte und das Wahlrecht über den Kreis der Besitzenden hinaus erweitert worden war –, hätte man noch immer ein grundlegend dysfunktionales Dokument. Man hätte eine Verfassung, die der freien Rede Vorrang vor der Wahrheit einräumt, den Waffenbesitz über nahezu alles andere stellt und die Ansichten der Bürger von durch Prärie und Berge geprägten Bundesstaaten gegenüber denen der Bürger städtisch geprägter Bundesstaaten unverhältnismäßig stark gewichtet.
Chemerinsky drückt es so aus: „[D]ie im Electoral College überproportional stark vertretenen Staaten des Südens und des Mittleren Westens sind rot [republikanisch], während die Staaten mit den größten unterrepräsentierten städtischen Bevölkerungen blau [demokratisch] sind.“ Die Kombination aus diesen strukturellen Kräften und den demografischen Veränderungen im Lande könne „Aussetzer bei Wahlen viel häufiger machen“. Wyoming mit seinen 581.000 Einwohnern hat genauso viele Senatoren wie Kalifornien mit seinen 39 Millionen Einwohnern. Natürlich ignorieren diejenigen, die auf diese Statistik verweisen, oft ihr Gegenstück: Texas (31 Millionen) hat genauso viele Senatoren wie das kleine Rhode Island (1,1 Millionen).
Für viele dieser Merkwürdigkeiten gab es anfangs gute Gründe. Aber das war vor zweieinhalb Jahrhunderten. Die Gründer des Landes schrieben [die Verfassung] zu einer Zeit, als politische Systeme der Gefahr entweder der Tyrannei oder der Herrschaft des Pöbels ausgesetzt waren, und wollten einen neuen Kurs abstecken. Aber sie gingen nicht davon aus, dass das von ihnen verfasste Dokument für alle Zeiten gelten sollte. Sie erwarteten nicht, dass das, was 1787 funktionierte, auch im Jahr 2024 noch funktionieren würde. Im Gegenteil: Die Verfasser stellten sicher, dass die Verfassung geändert werden konnte, um mit der Entwicklung des Landes Schritt zu halten und sich weiterzuentwickeln. Sie formulierten „politische Kompromisse in allen Fragen“ und keine heilige Schrift für die Ewigkeit.
Am Ziel vorbei
Chemerinsky macht verschiedene Vorschläge, um das System zu modernisieren und zu verbessern. Sein letztlicher Schuss ist, dass die USA eine neue Verfassung brauchen. Erste Priorität hat für ihn die Abschaffung oder Reform des Electoral College. Doch selbst wenn es dazu käme, würde das die verfassungsrechtliche und politische Landschaft nicht grundlegend verändern. Trotz all seiner Absurditäten und trotz der Aufmerksamkeit, die es alle vier Jahre erhält, hat das Electoral College seit dem 19. Jahrhundert nur zwei Mal einen Präsidenten gewählt, der nicht die Mehrheit der Wählerstimmen erhalten hatte. (Im 19. Jahrhundert tat es dies dreimal.)
Es stimmt, dass dies bei zweien der letzten sechs Präsidentschaftswahlen passierte, nämlich 2000 und 2016. Beide endeten mit einem Sieg der Republikaner, und das Gleiche könnte auch dieses Jahr wieder passieren. Aber die Fixierung auf das Electoral College ignoriert den Elefanten im Raum: Die Spaltung zwischen Rot und Blau verläuft mitten durchs Land. Zwar begünstigt das Electoral College die republikanischen Präsidentschaftskandidaten, doch würde ein reines Mehrheitswahlrecht die Demokraten begünstigen. Das Electoral College verschiebt den Zeiger bei den Präsidentschaftswahlen in Richtung Rot; ein reines Mehrheitswahlrecht würde ihn in Richtung Blau verschieben. Schon aus diesem Grund wird die republikanische Partei eine Reform niemals zulassen.
Chemerinskys zweite wichtige Reform betrifft den Senat, dessen Zusammensetzung seiner Meinung nach neu geregelt werden sollte, um den demografischen und nicht den geografischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Chemerinsky räumt ein, dass eine gleichmäßige Verteilung der Senatoren auf die Bundesstaaten „für die Ausarbeitung der Verfassung unerlässlich“ war, auch wenn sie „den Senat von Anfang an deutlich undemokratisch“ machte. Doch ist nicht klar, dass sie inzwischen an Wichtigkeit eingebüßt hat, selbst wenn das Ungleichgewicht heute „viel beunruhigender ist, da die Unterschiede in der Bevölkerung ... im Laufe der Zeit enorm zugenommen haben.“ Die Parität im Senat erkennt den Beitrag eines jeden souveränen Staates zum amerikanischen Projekt an. Eine Neuverteilung der Senatoren auf Basis der Bevölkerungszahl würde dies untergraben. Die 50 Staaten mögen gleich sein, aber einige wären gleicher als andere.
Darüber hinaus würde Chemerinskys Lösung die (tendenziell eher blauen) städtischen Zentren der USA auf Kosten der (tendenziell eher roten) ländlichen Bezirke aufwerten, was erneut die Frage aufwirft, warum sich eine Ansammlung von Staaten, die sich nicht einmal auf moderate Reformen einigen können, je auf eine Überarbeitung des Gesamtsystems einigen sollte. Den Republikanern ist sehr wohl bewusst, dass sie von einem Status quo profitieren, der der Geografie Vorrang vor der Demografie einräumt.
Chemerinsky erkennt dies an und weist darauf hin, dass größere Reformen der politischen Ordnung Amerikas zwangsläufig immer in Zeiten großer Spaltung und oft unter hohen Kosten erfolgen. Am offensichtlichsten ist das bei der Abschaffung der Sklaverei, die eines Bürgerkriegs bedurfte. Doch wenn ein versuchter Staatsstreich und ein gewaltsamer Aufstand im Kapitol nicht ausgereicht haben, um die Republikaner von der Notwenigkeit von Veränderungen zu überzeugen, ist unklar, was dies bewirken würde.
Kurzsichtige Justitia
Zum Glück gibt es eine einfachere potenzielle Lösung. Alle von Chemerinsky aufgezeigten grundlegenden Mängel mit Ausnahme des Electoral College und der Zusammensetzung des Senats ließen sich durch die Gerichte beheben. Gerrymandering, Wahlkampffinanzierung, Meinungsfreiheit und andere Themen können alle vor Gericht gebracht werden – und wurden es auch bereits. Seit dem Urteil im Fall Marbury v. Madison (1803) ist die Autorität des Obersten Gerichtshofs bei der Klärung ansonsten strittiger Verfassungsfragen erheblich, wenn auch nicht unumstritten.
Seit er sich in den frühen Tagen der Republik kopfüber in das Dickicht verfassungsrechtlicher Probleme stürzte, hat sich der Gerichtshof nie Mäßigung auferlegt. Er hat zu unterschiedlichen Zeiten die Verfassungsmäßigkeit der Sklaverei bestätigt, Gerrymandering für rechtmäßig erklärt, Unternehmen das gleiche Recht auf freie Meinungsäußerung zugestanden wie Bürgern und den Bundesstaaten die Regulierung der Banken, des Waffenbesitzes und des Gesundheitswesens untersagt. Er hat bewiesen, dass er bereit ist, verfassungsmäßige Rechte anzuerkennen und abzuschaffen. Wie Alexis de Tocqueville voraussah, wird in den USA jede politische irgendwann zur juristischen Frage.
Doch ist die Autorität des Obersten Gerichtshofs per se nicht das Problem. Auch wenn einige Kommentatoren die Tatsache beklagen, dass ein ungewähltes Gremium derartige Macht ausübt, ist die Rolle der Justiz ein zentrales Merkmal der freiheitlichen Demokratie. Sie ist ein wichtiger Schutzmechanismus, um zu verhindern, dass der Staat den Weg der Autokratie oder der Pöbelherrschaft beschreitet. Wirklich besorgniserregend ist allerdings, dass der Oberste Gerichtshof sich zu einem eher politischen als juristischen Organ entwickelt hat.
Zwar war der Gerichtshof nie frei von Politik und Parteigeist. Die Entscheidung in der Sache Marbury v. Madison wurde vom Obersten Richter John Marshall verfasst, der vor seiner Ernennung zum Richter als Außenminister von Präsident John Adams gedient hatte. Doch auch wenn Marshalls Urteil von außergerichtlichen Faktoren beeinflusst war, stand es letztlich auf eigenen Füßen. Im Gegensatz dazu waren spätere Richter des Obersten Gerichtshofs weniger geschickt dabei, ihre politischen Entscheidungen als juristische Entscheidungen zu präsentieren.
Bis zu diesem Jahrhundert war die offensichtlichste Periode offenkundiger Politisierung die Lochner-Ära der Jahre 1897 bis 1937, die in den Auseinandersetzungen zwischen dem Gericht und Präsident Franklin D. Roosevelt gipfelte. Fünf der neun Richter des Gerichtshofs lehnten den New Deal vehement ab und versuchten, die dahin gehenden Bemühungen im Keim zu ersticken. Der Präsident des Gerichtshofes Charles Evans Hughes, ein ehemaliger republikanischer Präsidentschaftskandidat, stimmte konsequent mit den konservativen „Four Horsemen“ des Gerichts, um zentrale politische Maßnahmen wie den National Industrial Recovery Act von 1933 und die Versuche der Roosevelt-Regierung zur Regulierung des Kohlebergbaus und der Landwirtschaft zu Fall zu bringen. Jede Maßnahme wurde für außerhalb der verfassungsmäßigen Zuständigkeit des Kongresses oder des Weißen Hauses liegend befunden.
Vorgebliche intellektuelle Grundlage für diese Aushöhlung der Regierungspolitik war das Bekenntnis der Four Horsemen zum „Originalismus“. Sie bestanden darauf, dass die Bedeutung der Verfassung mit dem Zeitpunkt ihrer Ratifizierung festgeschrieben worden sei, und behaupteten, sie seien verpflichtet, den Text entsprechend auszulegen. Es war ihnen egal, dass die Gründer diesen Ansatz ausdrücklich abgelehnt hatten. Das Problem mit dem Originalismus ist nicht nur, dass er mit der ursprünglichen Absicht unvereinbar ist, sondern auch, dass er mit der Realität unvereinbar ist.
Jeder kompetente Historiker würde darauf hinweisen, dass man unmöglich genau wissen kann, was historische Persönlichkeiten dachten, als sie zu wichtigen Entscheidungen kamen. Das Beste, was Historiker tun können, ist, auf Grundlage der Belege Interpretationen oder Schlussfolgerungen anzubieten. Im Gegensatz zu Richtern des Obersten Gerichtshofs gehen sie nicht davon aus, dass ihre Hypothesen als Grundlage für zeitgenössisches Recht und politische Maßnahmen dienen sollten, die Hunderte von Millionen von Menschen betreffen.
Dennoch hält sich der Originalismus – oder zumindest sein Ableger, der „Textualismus“ – hartnäckig. Unter der lenkenden Hand des verstorbenen Antonin Scalia und seines Adlatus Clarence Thomas wurde er in den letzten Jahrzehnten zur wichtigsten Rechtsphilosophie des Gerichtshofs. Elena Kagan, die von Präsident Barack Obama ernannt wurde, sagte bei ihrer Bestätigungsanhörung vor dem Senat: „Wir sind jetzt alle Originalisten“.
Feuer mit Wasser bekämpfen
Roosevelt setzte sich in den 1930er Jahren durch, indem er Four Horsemen in ihrem eigenen politischen Spiel schlug. Bei einer Diskussion über eine Reform des Obersten Gerichtshofs im Rahmen seiner landesweit ausgestrahlten „Kamingespräche“ stellte er die Frage, wie man das Gericht dazu bringen könnte, „seine hohe Aufgabe wieder aufzunehmen, auf der Grundlage der Verfassung neuerlich ‚ein System des lebendigen Rechts‘ aufzubauen.“ Als Lösung schlug er vor, für jeden amtierenden Richter, der älter als 70 Jahre sei, einen neuen Richter hinzuzufügen. In der Praxis hätte dies bedeutet, dass das Gericht unmittelbar um sechs neue Richter ergänzt worden wäre.
Roosevelts „Court-Packing“-Programm kam nicht voran, aber das war auch gar nicht nötig. Angesichts der in Washington zirkulierenden Reformgedanken wurde das nächste New-Deal-Gesetz, das dem Gericht vorgelegt wurde, prompt bestätigt. Der New Deal war also doch verfassungsgemäß.
US-Präsident Joe Biden versuchte mit seinen Reformvorschlägen in diesem Sommer ein ähnliches Manöver. Doch wie Roosevelts hätten auch Bidens Reformvorschläge den Status des Gerichts als in erster Linie politisches und erst in zweiter Linie juristisches Organ beibehalten. Die Einführung von Amtszeitbeschränkungen und eines verbindlichen Ethikkodex könnte dem Gerichtshof zwar womöglich Grenzen aufzeigen, hätte jedoch weder das politisch aufgeladene Ernennungsverfahren noch den politischen Charakter des Gerichts geändert.
Chemerinsky macht den gleichen Fehler. Er merkt zu Recht an, dass das heutige Gericht die amerikanische Demokratie mit Entscheidungen wie der in der Sache Citizens United v. Federal Election Commission (2010) – die es Unternehmen erlaubte, für Wahlen „unbegrenzte Summen“ auszugeben – beschädigt hat. Doch geht er, indem er den Vorschlag einer Amtszeitbegrenzung für Richter übernimmt, davon aus, dass Richter „weitgehend von der Mehrheitspolitik isoliert sind“, während sie in Wahrheit von Anfang an politische Parteigänger sind. Amtszeitbeschränkungen könnten Absurditäten wie der Tatsache entgegenwirken, dass Thomas dem Gerichtshof schon seit der Geburt einiger der vor ihm erscheinenden Anwälte angehört. Aber sie würden nichts daran ändern, dass Thomas ein dreister Parteigänger ist, auf den ein anderer folgen wird.
Die wahre Herausforderung für die USA besteht darin, zu einem System überzugehen, in dem Gerichtsentscheidungen nicht von „demokratischen Richtern“ oder „republikanischen Richtern“, sondern schlicht von Richtern getroffen werden. Damit die Richter des Obersten Gerichtshofs mehr sind als „Politiker in Roben“, müsste das Ernennungsverfahren völlig neu gestaltet werden.
Ausnahmeerscheinung US
Kein anderes Land überlässt die Auswahl seiner höchsten Justizvertreter vollständig der Exekutive und Legislative. Im Vereinigten Königreich beispielsweise schlägt der Lordkanzler dem Premierminister einen Kandidaten vor. Jedoch tut er das erst, nachdem eine Auswahlkommission ihre Prüfung abgeschlossen hat. Wenn ein Platz auf der Richterbank frei wird, werden Richter (und hochrangige Anwälte), die die Kriterien erfüllen, aufgefordert, sich zu bewerben, und einige werden dann für Vorstellungsgespräche vor einem Gremium aus hochrangigen Richtern und Anwälten ausgewählt. Der Lordkanzler ist die einzige parteipolitische Stimme. Nach den Gesprächen mit mehreren Kandidaten gibt das Gremium seine Empfehlung an die Regierung ab. Der Premierminister hat zwar das Recht, den Kandidaten ablehnen, aber in der Praxis passiert das nie.
Das britische Ernennungsverfahren gewährleistet nicht, dass die Richter gegen Kritik und den Vorwurf politischer Voreingenommenheit immun sind. Aber es sorgt dafür, dass derartige Vorwürfe selten verfangen. Als der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs Teile der Regierungsstrategie für den Austritt des Landes aus der Europäischen Union in Frage stellte, versuchten rechte Medien, die vorsitzenden Richter als „Volksfeinde“ zu diffamieren. Doch anders als in den USA, wo ein derartiger Rechtsstreit zu politischen Tumulten geführt hätte, waren diese Angriffe bald vergessen. Der Oberste Gerichtshof erließ sein Urteil, die Regierung fügte sich, und das Vereinigte Königreich verließ die EU auf verfassungskonforme Weise.
Ähnliches gilt auch für andere führende freiheitliche Demokratien wie Kanada, Deutschland und Frankreich. Auch wenn es in jedem System ein unterschiedliches Maß an politischer Beteiligung geben mag, so hält sich diese doch stets in Grenzen, und die Richter stehen über den parteipolitischen Streitigkeiten.
Ein überparteilicher Oberster US-Gerichtshof würde einen politisch unparteiischen Blick auf Themen wie den Zuschnitt der Wahlbezirke, die Abtreibung, Waffenrechte oder künftige Anfechtungen von Wahlergebnissen ermöglichen. Zudem könnte er etwas von der Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, die das Gericht in den letzten Jahrzehnten verloren hat. Früher war es mit Zustimmungsraten von über 60 % eine der angesehensten Institutionen in der amerikanischen Politik, und seine Entscheidungen wurden allgemein respektiert. Unter dem Vorsitz von Roberts ist es jedoch zu einer Institution geworden, die des Respekts unwürdig ist und nicht mehr respektiert wird. Nach Angaben des Pew Research Center sind nur 47 % der Amerikaner mit ihm zufrieden – ein nahezu historischer Tiefstwert. Derartige Ergebnisse legen nahe, dass selbst einige Trump-Anhänger dem Gericht skeptisch gegenüberstehen.
Chemerinsky argumentiert, dass die gesamte Verfassung auf den Kopf gestellt werden müsse. Und vielleicht stimmt das. Doch womöglich tut es eine Reform des Obersten Gerichtshofs auch. Und da an das Electoral College und den Senat nicht heranzukommen ist, muss es möglicherweise ausreichen, den Gerichtshof ins 21. Jahrhundert zu bringen.
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