Politik

Selenskyjs Plan für den Sieg: Nato-Einladung, Aufrüstung und Rohstoffe

Lesezeit: 4 min
17.10.2024 05:05
Nach langer Ankündigung hat der ukrainische Präsident Selenskyj fünf Punkte für ein Ende des Krieges mit Russland in Kiew vorgestellt. Aber wie realistisch sind seine Ideen? Auch Moskau hat sogleich antwortet - destruktiv wie immer. Heute wird der Plan dem Europäischen Rat erläutert.
Selenskyjs Plan für den Sieg: Nato-Einladung, Aufrüstung und Rohstoffe
Auf diesem vom Pressedienst vorgelegten Foto spricht Wolodymyr Selenskyj zu den Parlamentariern in der Werchowna Rada. (Foto: dpa)
Foto: Press Service Of The President O

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Nach wochenlanger Geheimhaltung hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erstmals öffentlich seinen aus fünf Punkten bestehenden "Siegesplan" für die Beendigung des Krieges mit Russland präsentiert. Zentral ist dabei eine schnelle Einladung zum Beitritt in das westliche Militärbündnis Nato.

"Im Verlauf von Jahrzehnten hat Russland die geopolitische Unbestimmtheit in Europa und eben die Tatsache ausgenutzt, dass die Ukraine kein Mitglied der Nato ist", unterstrich der Staatschef im Parlament in Kiew vor den Abgeordneten und der versammelten Landesführung. Das habe Russland zu dem Angriff auf die Ukraine verleitet. Die Einladung in die Nato werde zu "einem wirklichen Fundament für den Frieden". Die fünf Punkte und ihre Chancen auf Verwirklichung:

1. Bedingungslose Einladung in die Nato

In der Nato gibt es keinen Konsens in dieser Frage. Zwar betont die Nato-Führung regelmäßig, dass Kiew zukünftig dem Bündnis beitreten kann. Doch sprechen sich mehrere Bündnisstaaten öffentlich gegen eine solche Beitrittsperspektive aus. Eines der erklärten Kriegsziele Moskaus ist es auch, einen neutralen Status der Ukraine zu erzwingen.

Der neue Nato-Generalsekretär Mark Rutte reagierte zurückhaltend auf den Wunsch nach einer schnellen Einladung zum Beitritt. Zugleich betonte er, dass die Ukraine gestärkt werden müsse. Die Ukraine müsse "in der bestmöglichen Position" sein, wenn die Regierung in Kiew eines Tages entscheide, Gespräche zur Beendigung dieses Krieges aufzunehmen.

Rutte verwies auf die Beschlüsse des jüngsten Nato-Gipfels in Washington. Dabei wurde noch einmal betont, dass eine formelle Einladung zum Beitritt erst ausgesprochen werden kann, wenn alle Alliierten zustimmen und alle Aufnahmebedingungen erfüllt sind. Dazu zählen Reformen in den Bereichen Demokratie, Wirtschaft und Sicherheitssektor.

2. Verteidigung stärken, Krieg nach Russland tragen

Ein zweiter Punkt des "Siegesplans" sieht eine Stärkung der Verteidigung gegen die russische Invasion vor. Zudem soll der Krieg auf das Gebiet Russlands ausgeweitet werden. "Das ist realistisch: Unsere Positionen auf dem Schlachtfeld in der Ukraine halten - und gleichzeitig den Krieg auf das Gebiet Russlands zurückbringen, damit die Russen wirklich spüren, was Krieg heißt", sagte Selenskyj. Ziel sei es, den Hass der Russen in Richtung des Kremls zu lenken. Zu diesem Zweck soll der seit August laufende Einsatz der ukrainischen Armee im russischen Grenzgebiet Kursk fortgesetzt werden.

Für die Umsetzung dieses Punkts ist auch eine Freigabe westlicher Waffen gegen Ziele weiter im russischen Hinterland erforderlich. Soweit bekannt haben bisher die USA, Großbritannien und Frankreich der Ukraine Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern geliefert. Die USA lehnen diese Freigabe bislang ab. Beweglicher sieht die Position Großbritanniens aus. Kanzler Olaf Scholz (SPD) lehnt die von Kiew geforderte Lieferung der Taurus-Marschflugkörper ab. Der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz sprach sich unter bestimmten, auch in der EU abgestimmten Voraussetzungen für eine Taurus-Lieferung aus.

3. Die Ukraine zur Abschreckung aufrüsten

Außerdem sollen in der Ukraine mit der Hilfe westlicher Partner ausreichend konventionelle Waffen produziert und stationiert werden, um Russland von weiteren Angriffen abzuhalten. "Wenn Russland weiß, dass es eine Antwort geben wird, und begreift, wie diese Antwort aussieht, wählen sie Verhandlungen und eine stabile Koexistenz sogar mit strategischen Gegnern", erläuterte der Präsident das Vorhaben. Frieden solle so durch Stärke erzwungen werden.

Zwar fangen viele westliche Rüstungsfirmen an, in der Ukraine zu produzieren. Die notwendige weitere Finanzierung erhofft sich Selenskyj aber von den westlichen Staaten. Nach mehr als zweieinhalb Jahren beispielloser Hilfe fahren Länder wie die USA und Deutschland aber allmählich ihre Unterstützung zurück.

4. Zugriff auf ukrainische Rohstoffe

Die Ukraine verfüge über wertvolle Rohstoffe "im Wert von Billionen US-Dollar", sagte Selenskyj. Als Beispiele nannte er Uran, Titan, Lithium und Graphit. Die Frage sei, ob diese Ressourcen im globalen Wettbewerb an Russland und dessen Verbündete fielen oder bei der Ukraine und - wie er sagte - der demokratischen Welt verblieben. Mit diesem Vorschlag versucht Selenskyj, die westlichen Partner zu locken. Auch in Moskau wird oft damit argumentiert, dass Russland sich diese Rohstoffe sichern müsse.

5. Ukraine als europäische Sicherheitsmacht

Selenskyj sagte, dass die Ukraine nach einem Ende des russischen Angriffskrieges ihre militärische Erfahrung für die Sicherheit Europas und der Nato nutzen werde. Ihre kriegserprobten Soldaten könnten in Europa sogar US-Truppen ersetzen, sagte er. Dieser Vorschlag zielt offenbar auf die USA. Diese hoffen, ihr Engagement auf dem europäischen Kontinent zurückzufahren - ob unter republikanischer oder demokratischer Regierung. Der ukrainische Vorschlag würde aber eine komplizierte Abstimmung zwischen Washington, den europäischen Hauptstädten und Kiew erfordern.

Selenskyj hatte diesen Plan einschließlich weiterer nicht-öffentlicher Teile bereits in Washington, London, Paris, Rom und Berlin vorgestellt. Am Donnerstag ist eine Präsentation beim Europäischen Rat in Brüssel geplant. Der ukrainische Präsident hofft so, die Brücke zu einem zweiten Friedensgipfel zu schlagen, diesmal mit Beteiligung Russlands - und den Krieg im kommenden Jahr zu seinen Bedingungen zu beenden.

Moskaus Reaktionen

Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, er habe Selenskyjs Rede zwar nicht verfolgt, es handele sich aber um ein Diktat der USA. Dahinter stehe nichts anderes als die amerikanische Absicht, den Krieg weiterzuführen und "bis zum letzten Ukrainer gegen uns zu kämpfen", sagte Peskow. Er sagte, ein Ende des Krieges werde erst möglich, wenn die Ukraine die - wie er es nannte - Perspektivlosigkeit ihrer Politik einsehe. Russland hatte stets betont, den Krieg bis zum Erreichen aller Ziele zu führen, darunter auch die komplette Einverleibung der Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson, die Moskau nur zum Teil kontrolliert.

Der Plan mit "dreisten und provokativen Forderungen" sei ein klassischer Versuch, den Westen in einen direkten Krieg mit Russland hineinzuziehen - mit der Perspektive eines Übergangs zum Dritten Weltkrieg, sagte der Chef des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma in Moskau, Leonid Sluzki. Selenskyj wolle so die Verantwortung für die Vernichtung des ukrainischen Volkes abgeben und die Schuld für das Scheitern dem Westen geben. Es handele sich nicht um einen "Siegesplan", sondern um einen "Plan zur Rettung vor der Niederlage". Selenskyj habe nicht einen Vorschlag zur Lösung des Konflikts gemacht.

Ukrainische Opposition kritisiert Selenskyjs Plan

In der prowestlichen Opposition wurde der fehlende ukrainische Anteil an Selenskyjs "Siegesplan" kritisiert. "In der Botschaft ging es nur um Forderungen an die Partner, und es gab kein Wort zu unseren Hausaufgaben, damit wir den Kriterien der Nato-Staaten entsprechen", schrieb die Abgeordnete Iryna Heraschtschenko von der Fraktion des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko bei Telegram. Der Präsident habe kein Wort zu Korruptionsbekämpfung verloren. Der Plan sei wenig realistisch und wirke wie ein Rahmen ohne Inhalt. "Wie sollen wir siegen? Die Partner werden das für uns nicht machen", sagte sie. Ihr Fraktionskollege Olexij Hontscharenko pflichtete ihr bei und verwies auf fehlende konkrete Schritte. "In diesem 'Plan' gibt es keinen Plan. Es ist eine Reihe von Losungen und nicht mehr", schrieb er. Es wirke so, als ob jemand anderes alles für die Ukrainer tun solle.


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