Politik

Wahlbetrug? Proteste in Georgien - Zurückhaltung im Westen

Bei der Parlamentswahl in Georgien gab es massive Verstöße. Aber wiegen sie so schwer, dass die gesamte Wahl als ungültig einzustufen ist? Brüssel hält sich bedeckt. Der Kreml gibt sich arglos und unbeteiligt.
28.10.2024 14:50
Lesezeit: 2 min

In Georgien protestiert die Opposition gegen eine Fälschung der Parlamentswahl - doch erste westliche Reaktionen gehen nicht so weit, die Abstimmung insgesamt infrage zu stellen. So rief US-Außenminister Antony Blinken die Politiker in Georgien lediglich auf, "Mängel am Wahlprozess" zu beseitigen. Sie sollten Rechtsstaatlichkeit akzeptieren und Gesetze zurücknehmen, die grundlegende Freiheiten einschränkten, schrieb Blinken auf der Plattform X. Eine Demonstration wurde für Montagnachmittag (19 Uhr Ortszeit, 16 Uhr MEZ) auf der Hauptstraße Rustaweli-Prospekt in Tiflis (Tbilissi) erwartet. Dazu aufgerufen hatte die prowestliche Präsidentin des kleinen Landes im Südkaukasus, Salome Surabischwili. Sie nannte den offiziell erklärten Wahlsieg der nationalkonservativen Regierungspartei Georgischer Traum eine Verfälschung des Wählerwillens, den sie nicht anerkennen werde.

Die Opposition werde auf eine Wiederholung der Wahl abzielen, sagte Surabischwili in einer Reihe von Interviews mit internationalen Medien. Dafür sei die Unterstützung des westlichen Auslands notwendig, forderte sie.

Surabischwili vermutet hinter den Manipulationen russische Einflussnahme: "Wir sind Zeugen und Opfer einer russischen Spezialoperation geworden", sagte sie. Der Generalsekretär von Georgischer Traum, Kacha Kaladse, nannte Surabischwilis Unterstellungen schändlich. In der Ex-Sowjetrepublik, die EU-Beitrittskandidat ist, steht mit dieser Wahl auch die weitere Annäherung an die EU auf dem Spiel.

Ungeachtet vieler Belege für Unregelmäßigkeiten hat die Wahlleitung die russlandfreundliche Partei Georgischer Traum zur Siegerin mit knapp 54 Prozent der Stimmen erklärt. Starker Mann der Partei ist der Milliardär Bidsina Iwanischwili, der sein Vermögen in Russland gemacht hat. Den vier größten proeuropäischen Oppositionsbündnisse wurden nur jeweils elf Prozent und weniger zugeschrieben.

Russland dementiert Einmischung in Georgien

Der Kreml dementierte eine Einmischung Russlands in die Wahl. Im Gegenteil hätten die europäischen Staaten Druck auf das Land an der russischen Südgrenze ausgeübt, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. "Viele Kräfte aus europäischen Staaten und europäischen Institutionen haben versucht, Einfluss auf das Ergebnis der Abstimmung zu nehmen", sagte er russischen Nachrichtenagenturen zufolge.

EU fordert Aufklärung von Unregelmäßigkeiten

Georgische und internationale Beobachter hatten bei dem Urnengang am Samstag zahlreiche Unregelmäßigkeiten verzeichnet. Genannt wurden Stimmenkauf und Druck auf Wähler und Wählerinnen, gehäuftes Einwerfen von Stimmzetteln in die Wahlurnen und der Missbrauch staatlicher Einflussmöglichkeiten zugunsten der Regierung. Andererseits hieß es, bei 18 Parteien auf dem Stimmzettel habe es eine breite Auswahl gegeben.

Wie Blinken forderte auch EU-Ratspräsident Charles Michel von der georgischen Führung eine Aufklärung der Unregelmäßigkeiten. Georgien brauche nun einen konstruktiven Dialog quer durch das politische Spektrum, schrieb er auf X. Er werde die künftigen Beziehungen zu Georgien auch auf die Tagesordnung des nächsten Europäischen Rates im November in Budapest setzen. "Wir wiederholen den Aufruf der EU an die Führung Georgiens, ihr Festhalten am EU-Kurs des Landes zu demonstrieren."

Ähnlich äußerten sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und die EU-Kommission in einer Mitteilung. Brüssel hat den Gesprächsprozess mit Georgien auf Eis gelegt wegen mehrerer repressiver Gesetze, die der Georgische Traum durchgesetzt hat.

Regierungschef bekräftigt EU-Kurs

Ministerpräsident Irakli Kobachidse versuchte Befürchtungen zu entkräften, es gebe eine Abkehr vom EU-Kurs. Georgien wolle sich bis 2030 voll in die Europäische Union integrieren, sagte er bei einer Regierungssitzung. Er rechne für das kommende Jahr mit einem Neubeginn im derzeit schwierigen Verhältnis zur EU.

Wie Präsidentin Surabischwili erkennt die proeuropäische Opposition das Wahlergebnis nicht an. Mehrere Oppositionsbündnisse wollen ihre Mandate nicht annehmen. Allerdings geht die Regierungspartei davon aus, dass das Parlament trotzdem legitim arbeiten kann. Kobachidse sagte, die Oppositionsabgeordneten würden ohnehin nicht gebraucht. Georgischer Traum hatte vor der Wahl angedroht, gegnerische Parteien zu verbieten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Immer mehr Arbeitsplätze wandern ins Ausland ab: Wirtschaftsstandort Deutschland wackelt
27.11.2025

Hohe Preise für Energie, belastende Lohnnebenkosten, eine ausufernde Bürokratie und politische Vorgaben des Staates: Immer mehr Firmen...

DWN
Finanzen
Finanzen Microsoft-Aktie im Fokus: Rekordinvestitionen in Cloud und KI stärken das Wachstum
27.11.2025

Microsoft setzt mit massiven Investitionen in Cloud-Infrastruktur und künstliche Intelligenz auf Wachstum und Innovation. Können diese...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundespräsident Steinmeier: Europa muss Potenzial als Wirtschaftsmacht ausschöpfen
27.11.2025

Krieg, Machtverschiebungen und zähe Entscheidungen in der EU belasten die Wirtschaftsmacht Europa. Auf dem Wirtschaftsforum in Madrid...

DWN
Finanzen
Finanzen Novo Nordisk-Aktie: Kursrückgang nach enttäuschenden Studien – trotz positivem Analystenkommentar
27.11.2025

Die Novo Nordisk-Aktie steht seit vielen Monaten unter Druck. Auch im Donnerstaghandel an der Frankfurter Börse verbucht die Novo...

DWN
Panorama
Panorama Rabattschlacht: Warum Fake-Shops am Black Friday besonders riskant sind – und wie Sie sie erkennen
27.11.2025

Der Black Friday lockt mit Rekordrabatten – doch zwischen echten Deals verstecken sich zunehmend Fake-Shops. Professionell gestaltet und...

DWN
Immobilien
Immobilien EH-55-Förderung kehrt zurück: Was Bauherren ab Dezember beachten müssen
27.11.2025

Ab Mitte Dezember fließt wieder Geld für Neubauten im EH-55-Standard. Die KfW öffnet ein bekanntes Förderfenster – doch nur unter...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neue EU-Regeln: Mehr Bargeld im Supermarkt und besserer Schutz vor Online-Betrug
27.11.2025

Die Europäische Union stellt Zahlungsdienste auf den Prüfstand: Neue EU-Regeln sollen Kunden besser schützen und den Alltag erleichtern....

DWN
Finanzen
Finanzen Wacker Chemie-Aktie steigt: Anleger honorieren Stellenabbau und Sparanstrengungen
27.11.2025

Wacker Chemie zieht angesichts der anhaltenden Branchenflaute die Reißleine und legt ein Sparpaket auf. Mehr als 1.500 Jobs stehen...