Politik

Moldau und Georgien: Reif für die EU?

Lesezeit: 4 min
27.07.2024 06:13
Moldau und Georgien wurden lange in der deutschen Öffentlichkeit kaum beachtet. Erst durch den Ukrainekrieg rückten beide Länder stärker in den Fokus. Im Juni erhielt Moldau offiziell den Status als EU-Beitrittskandidat. Ein Beitritt wäre in einigen Jahren möglich. Doch erfüllt das Land wirklich die Voraussetzungen? Und warum wurden die Verhandlungen mit Georgien auf Eis gelegt?

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Kriterien für einen Beitritt

Moldau hat knapp 3 Millionen Einwohner und liegt zwischen Rumänien und der Ukraine. Es gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt bei nur knapp 6000 Dollar pro Kopf. In Europa liegen nur die Ukraine und das Kosovo noch niedriger. Seit der Unabhängigkeit nach dem Ende der Sowjetunion 1990 gab es nur geringe wirtschaftliche Fortschritte. Viele Arbeitskräfte haben das Land in den vergangenen Jahren verlassen, da die wirtschaftlichen Perspektiven bisher eher düster waren.

Sind die Voraussetzungen für einen künftigen EU-Beitritt wirklich gegeben oder ist die Verleihung des Kandidatenstatus vor allem politisch motiviert?

Für einen EU-Beitritt muss Moldau wichtige Voraussetzungen erfüllen: eine funktionierende Marktwirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit, Fortsetzung des wirtschaftlichen und politischen Reformprozesses. Zudem muss das Land in der Lage sein, die Verpflichtungen einer EU-Mitgliedschaft zu übernehmen. Das bedeutet besonders die Anpassung an das geltende EU-Recht. Diese sogenannten „Kopenhagener Kriterien“ gelten für alle Beitrittskandidaten. Bei Moldau kommt die Auflage hinzu, das seit 2016 existierende Assoziierungsabkommen mit der EU weiter umzusetzen.

Schon beim ersten Punkt der „funktionierenden Marktwirtschaft“ sind Zweifel angebracht. Moldau gilt immer noch als ein Land im „Transformationsprozess“. Die weiter wichtige Rolle der Oligarchen und die weit verbreitete Korruption lassen sich mit einer freien Marktwirtschaft nur schwer vereinbaren. Es existiert eine überproportional große Schattenwirtschaft mit nicht registrierten Firmen und damit verbundener Schwarzarbeit.

Weit verbreitete Korruption

Die Regierung hat sich zwar verpflichtet, stärker gegen Korruption vorzugehen, doch es fehlt offensichtlich an geeignetem Personal in den Justizbehörden. Junge Akademiker verlassen in großer Zahl das Land, doch gerade sie wären wichtig für einen Neustart in der Justiz.

Die deutsche GIZ schätzt die Lage im März 2024 kritisch ein: „Korruptionsfälle auf höchster Ebene, verdeckte Interessen und Probleme mit einer unabhängigen Justiz beeinflussen die Fortschritte…“ Der Kampf gegen die Korruption sei schwierig, „weil die Antikorruptionseinrichtungen nicht zentral organisiert sind und ihre Zuständigkeiten nicht eindeutig geregelt sind.“ Deshalb unterstützt die GIZ im Auftrag des deutschen Wirtschaftsministeriums die Korruptionsbekämpfung in Moldau. Doch nach wie vor gelten einige Schlüsselbereiche wie die für das Land wichtige Lebensmittel- und Agrarindustrie, das Gesundheitswesen, aber auch der Bildungssektor als besonders korruptionsanfällig.

Der Bankenskandal

Welche Auswirkungen das Geflecht aus Politik und Oligarchen haben kann, zeigte der Bankenskandal im Jahr 2015. Damals sind den drei größten Banken des Landes bei dubiosen Kreditgeschäften umgerechnet eine Milliarde US-Dollar verloren gegangen. Führend beteiligt an dem Milliardenbetrug war der moldauisch-israelische Unternehmer und Oligarch Ilan Sor. Er wurde zu 7 Jahren Haft verurteilt, konnte jedoch 2019 nach Israel flüchten, von wo er nicht ausgeliefert wurde.

Es gab aber auch Hinweise darauf, dass Politiker der damals regierenden proeuropäischen Koalition beteiligt waren. Vor allem gegen den früheren Premier Vlad Filat gab es Vorwürfe, an dem Verschwinden der Milliarde Euro beteiligt gewesen zu sein.

Im Oktober 2015 wurde Filat, der Vorsitzender der EU-freundlichen Liberaldemokratischen Partei war, seine parlamentarische Immunität entzogen. Ihm wurde vorgeworfen, in das Verschwinden von einer Milliarde Euro aus dem moldauischen Bankensystem verwickelt zu sein. Im Juni 2016 wurde Filat zu neun Jahren Gefängnis verurteilt.

Damals kritisierte der Politologe Oazu Nantoi vom moldauischen Institute for Public Policy, dass auch die prowestlichen Parteien überhaupt nicht an ernsthaften Reformen interessiert seien: „Ernsthaft wird bei uns nur gestohlen. Alles Andere ist nicht ernsthaft. Mit der Korruption und den endlosen Skandalen haben sich unsere Politiker nicht nur selbst diskreditiert, sondern die europäische Idee gleich mit.“

Der Oligarch

Seit dem Bankenskandal gab es bei der Bekämpfung der Korruption nur begrenzte Fortschritte. Dass seit einigen Jahren wieder eine Regierung an der Macht ist, die sich eine baldige EU-Mitgliedschaft zum Ziel gesetzt hat, hatte bisher eher wenig Auswirkungen.

Pikant ist, dass der bereits angesprochene Oligarch Ilan Sor Vorsitzender der Sor-Partei ist, die im Juni 2023 vom moldauischen Verfassungsgericht verboten wurde. Ohne Zweifel ist Ilan Sor durch seine Verstrickung in den Bankenskandal ein fragwürdiger Politiker. Zudem gab es Korruptionsvorwürfe. Als Grund für das Verbot wurde vom Verfassungsgericht allerdings eine „Untergrabung der moldauischen Souveränität“ genannt. Damit ist die prorussische Orientierung der Sor-Partei gemeint. Ob dies jedoch ein Verbot rechtfertigt, ist umstritten. Die Sor-Partei hatte zuvor monatelange Massendemonstrationen gegen die prowestliche Präsidentin Maia Sandu und die ihr nahestehende Regierung organisiert.

Dass es in Moldau eine erhöhte Sensibilität für eine russische Einflussnahme gibt, hat aber auch damit zu tun, dass es nach der Unabhängigkeit im Jahr 1990 zu Auseinandersetzungen um die an die Ukraine grenzende Region Transnistrien kam. Dort lebt eine überwiegend russischsprachige Bevölkerung, deren politische Führer die Eingliederung nach Moldau ablehnten. Transnistrien konnte sich mit Hilfe dort stationierter russischer Armeeeinheiten weitgehend abspalten und Moskau hat weiterhin erheblichen Einfluss in der Region.

Transferempfänger

Aufgrund seines niedrigen Bruttoinlandsprodukts und großer struktureller Probleme würde Moldau bei einem EU-Beitritt wahrscheinlich dauerhaft zu einem Transferland werden. Der für das Land sehr wichtige Agrarsektor wäre in der EU kaum konkurrenzfähig und würde massive Hilfen aus Brüssel erhalten.

Da andere Empfängerländer vermutlich nicht auf Kürzungen der bisherigen Subventionen verzichten würden, kämen auf die wenigen Nettozahler der EU weitere finanzielle Belastungen zu. Deutschland wäre als größter Beitragszahler am stärksten betroffen.

Georgien

Eigentlich sollte Georgien zusammen mit Moldau und der Ukraine ebenfalls den Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Allerdings wurde das Vorhaben aufgrund eines umstrittenen Gesetzes der georgischen Regierung gestoppt. Vor Kurzem erließ die georgische Regierung ein Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20% ihrer Gelder aus dem Ausland erhalten, zu verstärkter Rechenschaftspflicht zwingt. Nach einem ähnlichen Gesetz in Russland spricht man in der EU deshalb von einem „ausländischen Agentengesetz“ in Georgien. Georgien hatte sich in den letzten Jahren Russland wieder etwas politisch angenähert. Doch es gibt weiter sehr grundlegende Differenzen mit Russland über den Status der abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien, die unter russischem Schutz stehen, aber völkerrechtlich zu Georgien gehören.

Georgien daher vorzuwerfen, dass es sich auf einen klar prorussischen Kurs begeben hätte, erscheint zweifelhaft. Das geplante Gesetz ist sicher eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig. Doch greift das Verbot einer der wichtigsten Oppositionsparteien in Moldau nicht ebenso stark in demokratische Prozesse ein? Hier schwieg allerdings die EU, da die moldauische Regierung als enger Verbündeter des Westens gilt.

Fazit

Letztendlich erfüllen weder Moldau noch Georgien die wirtschaftlichen noch die politischen Voraussetzungen für den Status als Beitrittskandidaten. Besonders beunruhigend ist, dass sowohl bei Moldau wie auch der Ukraine EU-Mitgliedsländer wie Polen und die Balten auf einen beschleunigten Beitritt drängen. Moldau wurde schon wenige Monate nach dem Beitrittsgesuch im Frühjahr 2022 der Kandidatenstatus verliehen. Und bereits im März 2024 wurde von der EU der Start der Beitrittsverhandlungen beschlossen. Doch das kleine Land benötigt auch im eigenen Interesse noch einige weitere Jahre der ernsthaften Umsetzung von Reformen, damit auf seriöser Grundlage die Beitrittsverhandlungen mit der EU beginnen könnten.


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