Es war eine vergleichsweise spät angesetzte Inspektion, zu der der Verteidigungsminister als Befehlshaber, am Montagabend nach Berlin-Charlottenburg geladen hatte. Unweit des Campus der Technischen Universität Berlin und der Phsyikalische-Technischen Bundesanstalt hat sich hier in einem schmucken Backsteinbau der Gebauer-Höfe eine Spezial-Einheit der Bundeswehr eingenistet.
„Militärischer Innovationsbereich – Unbefugtes Mitzeichnen verboten!“ - steht da auf einem Schild im Treppenaufgang. Eine witzige Anspielung auf die einst weit verbreiteten Emailleschilder an Deutschlands Kasernenstandorten. Oberhalb des Hinweises wacht das Unicorn, Wappentier des Cyber Innovation Hubs der Bundeswehr (CIHB - Cyber Innovation Hub der Bundeswehr), und warnt mit einem Schwert ungebetene Besucher.
Viel gehört vom Hub zwar noch nicht in der Öffentlichkeit. Das dürfte sich schon bald ändern. Denn Boris Pistorius, der umtriebige Minister und wahre Sympathieträger in den Reihen der SPD, zeigte sich geradezu angestachelt vom „Teamgeist und der Freude“, mit das Team strukturelle Probleme zu lösen versucht. Halb Startup, halb Truppeneinheit stellt sich das Cyber Hub mit vergleichsweise bislang sehr überschaubaren Mitteln (von nur gut 25 Millionen Euro) an die Speerspitze der Erneuerung der Streitkräfte - und repräsentiert damit ein Stück weit das neue Denken (der vom Kanzler 2022 ausgerufenen) Zeitenwende. „Das sind ja nicht mal zwei Leos“, scherzte einer der anwesenden Journalisten über den bescheidenen Etat der KI-Nerds in Charlottenburg.
Ein „Do-Tank“, nicht nur ein Thinktank, bei dem es um disruptive Prozesse in der Bundeswehr geht
Der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr wurde im März 2017 als erste digitale Innovationseinheit eines deutschen Ministeriums gegründet. Auftrag ist es, als „Do-Tank“ der Streitkräfte die digitale Transformation der Bundeswehr zu unterstützen und dabei als Schnittstelle zwischen Truppe und Startups zu fungieren. Kerngeschäft ist es, aktuelle militärische Herausforderungen innerhalb der Bundeswehr zu erkennen und zielgerichtete Lösungen zu finden. Als Nahtstelle zwischen Bundeswehr und Startup-Unternehmen hat der Hub Zugang zu neuen Cyber- und Informationstechnologien und deckt damit eine große Bandbreite an digitalen Innovationen ab.
Fast 160 Innovationsvorhaben wurden in den vergangenen fünf Jahren umgesetzt. Im Cyber Innovation arbeiten insgesamt rund 40 Reservisten, aktive Soldaten sowie zivile Mitarbeiter nach dem Muster der zivilen Wirtschaft - sowie ausdrücklich auch nach Vorbild der israelischen Armee und der US-Streitkräfte. Rund die Hälfte der Mitarbeitenden sind Reservisten-Dienstleistende, die eine zeitlich begrenzte Wehrübung ableisten. Dadurch, dass neue Kräfte kontinuierlich nachrücket, erneuere sich das Team durch die wechselnde Expertise quasi ständig selbst.
Kein Computer-Spiel mehr: Mit dem Laserstrahl das Abschießen feindlicher Drohnen üben
Es ist tatsächlich keiner der üblichen Thinktanks, in denen nur heiß diskutiert wird, sondern eine praxis-orientierte Ideenschmiede für womöglich heiße und brandgefährliche Einsätze der deutschen Streitkräfte. Hier werden Lösungen für ganz praktische Sicherheitsprobleme und militärische Anwendungsbereiche entwickelt. Die hauseigene Prämisse lautet: Nach 90 Tagen soll ein anwendungsbereites Projekt entstehen.
Das kann zum Beispiel ein knick- und rollbaren LED-Lichtteppich sein, mit dem Stabsärzte an der Front selbst in der Nacht ausreichend Licht für medizinische notwendige OPs haben. Der ist heute wie selbstverständlich in der Ukraine im Einsatz. Oder ein Programm, mit dem Soldaten sich am Screen mit dem Laser besser auf den möglichen Einsatz mit ihrem G36-Sturmgewehr gegen schnell anfliegende Drohnen vorbereiten können. Pistorius hegt keinen Zweifel, dass Drohnen so besser unschädlich zu machen sind und das Training „in Zukunft Teil der Schießübungen der Bundeswehr sein wird.“ Als Mittler zwischen zivilem und militärischem System verfolgt das Hub die Perspektive, die Bundeswehr durch digitale Exzellenz und technologische Souveränität für ihren Auftrag zur Landes- und Bündnisverteidigung befähigen und ertüchtigen.
„Die beste Ideen kommen zumeist direkt aus der Truppe“, gibt sich Minister Pistorius sicher. Er verweist auf den Prototyp des Hauptmanns - mit einem guten Plan und ganz viel Erfahrung. Der könne häufig „viel besser beurteilen“, wie eine technische Lösung angegangen werden müsste, damit sie sich im Feld bewährt.
Worum es Pistorius bei seinem Besuch diesmal vor allem ging: die Entwicklung von Drohnen-Technologie und Drohnenabwehr. Als anschauliches Beispiel gilt dabei das Projekt „Minesweeper“, mit dem Drohnen eingesetzt werden, ein ein vermintes Gebiet aufzuklären. Vom Start des Projekts bis zur erfolgreichen Implementation sind „nicht mal zwölf Monate vergangen“, heißt es.
Als Leitgedanke orientiert man sich an klassischen Tech-Unternehmen der Nasdaq, die zwar nicht mehr in Garagen (wie einst Bill Gates), aber gerne in geräumigen Lofts wirken und dort ihren Ideen freien Lauf lassen können. In Zukunft sollen Soldaten nicht erst extern ein privates Startup gründen müssen, um dabei zu helfen, die Bundeswehr schlagkräftiger und effektiver zu machen. „Und viel günstiger wird es außerdem“, lobte Pistorius die hausgemachten Entwicklungen seines Cyber Hubs. „Von über 150 Projekten sind 80 erfolgreich beendet worden, und 40 davon werden inzwischen aktiv und teilweise auch täglich genutzt“, weiß Pistorius. Eine Quote, die es so in der freien Wirtschaft nicht gibt, vermutet er.
„Die besten Erfindungen“ sind für Pistorius ohnehin jene, „die alltäglich Anwendung finden und Soldaten helfen“. Er nannte die vom Cyber Hub entwickelte App für Soldaten auf „Bahnfahrten in Uniform“. Die Wirtschaft hätte sich das vergolden lassen und wohl Monate für die Einführung gebraucht. Das Cyber Hub schaffte es für einen sechsstelligen Betrag - und die App ist nun bereits praktisch für jeden der Staatsbürger in Uniform hilfreich.
Die Einhörner spielen auch organisatorisch eine Sonderrolle durch ihre Anbindung ans Ministerium
Organisatorisch spielen die Unicorns, also die Einhörner, wie auf dem Truppenabzeichen ihrer Uniformen abgebildet, eine Sonderrolle. Die strategische Steuerung des Cyber Hubs erfolgt ausschließlich durch das Verteidigungsministerium der Verteidigung, dem es direkt und leitungsnah untersteht. Im Ministerium wiederum ist ist die Abteilung Cyber- und Informationstechnik unter General Vetter für die fachliche Führung zuständig und hält den Spezialisten im Cyber-Loft den Rücken frei. Rein formal handelt es sich um eine herausgehobene Abteilung innerhalb der als Unternehmen aufgestellten BWI GmbH. Was läuft also auf dem alten Industriehof an der Franklinstraße?
„Wir sind der Change-Agent der deutschen Streitkräfte und die erste Innovationseinheit eines deutschen Ministeriums. Als Innovation Hub der Bundeswehr ist es unsere Mission, die Bundeswehr zu modernisieren. Mit unseren zwei Kernprodukten, Innovationsvorhaben und Intrapreneurship, lösen wir aktuelle militärische Herausforderungen der Bundeswehr schnell und leisten so unseren Beitrag zum Gelingen der Zeitenwende und zur Kriegstüchtigkeit der Streitkräfte“, sagt Sven Weizenegger.
Er leitet seit 2020 den Cyber Innovation Hub der Bundeswehr. Nicht ohne Stolz verweist er auf seine früheren Erfahrungen als Hacker (freilich legal in Diensten der Telekom). Im Vorstand unter dem früheren Telekom-Chef René Obermann war er für den Geschäftsberich Cyber-Security verantwortlich. Ein typischer Uniformträger ist er mitnichten, aber auch kein Hipster, sondern der typische smarte Startup-Geschäftsführer, der auch einmal im Chill-out-Bereich Platz nimmt und seinen Kollegen ein Gym eingerichtet hat. Fehlt eigentlich nur noch ein Basketball-Court auf dem Hof an der Spree.
Weizenegger sagt: „Die geopolitische Lage hat sich durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine massiv geändert. Wir in Deutschland müssen uns auf die aktuellen (Un-)Sicherheitslagen einstellen und uneingeschränkt handlungsfähig werden – also kriegstüchtig, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius es nennt. Handlungsfähigkeit bedeutet dabei auch, dass Innovation und neue Technologien schnell dorthin gebracht werden, wo sie gebraucht werden: zu den Soldaten, die unsere Demokratie verteidigen.“ Einen Kulturwandel in der Bundeswehr, hin zu Innovationsbereitschaft und unternehmerischen Denken, zu befördern, sei das Ziel des Hubs.
In der Ukraine waren es junge Startups, die die Drohnenarmee aus dem Nichts aufgebaut haben
Dafür sind kleine Startups besonders gut geeignet. Wurde das Internet einst noch vom US-Militär erfunden, sind es heute bewegliche Unternehmen (wie etwa OpenAI) die den technologischen Wandel weltweit vorantreiben. Auch in der Ukraine sei derzeit bestens nachvollziehbar, wie moderne und innovative Technologien aus der Privatwirtschaft zur Wehrhaftigkeit und Kriegstüchtigkeit eines Landes beitragen können. Durch unbürokratische Beschaffung und Finanzierung junger Startups und Tüftler sind höchst innovative Lösungen für die Streitkräfte entstanden. So erst konnte in kürzester Zeit eine schlagkräftige Drohnenarmee aufgebaut werden, die den Russen bei ihrem Angriff erheblich zu schaffen macht.
„Als Innovation Hub fordern wir den Status quo heraus und verändern die Bundeswehr. Gemeinsam mit dem Startup-Ökosystem und Innovatoren aus der Truppe lösen wir aktuelle militärische Herausforderungen. Damit beschleunigen wir den Wandel in der Bundeswehr – hin zu einer modernen Innovationskultur“, lautet Weizeneggers Credo.
Der Verteidigungsminister indessen weiß nur zu genau, dass die behäbige Bundeswehr derlei Disruptionen dringend benötigt. „Unsere Prozesse müssen in Frage gestellt werden“, sagte Pistorius bei seinem Besuch. Er nennt es wahlweise„Out-of-the-box-Denken“, „Fesseln abwerfen“ und sich „in freier Wildbahn“ bewähren. Bloß nicht in den herkömmlichen Kommando-Strukturen denken und einbinden lassen. Denn „die Größe der Einheit ist zugleich ihre Stärke“, das habe er hier „heute gespürt“, so Pistorius sichtlich beeindruckt. Und noch einmal mit anderen blumigen Worten: „Ein Rennpferd sollte anders gehalten werden als ein Kutschergaul“, ergänzt der bekanntlich aus Niedersachsen stammende Politiker.
Mit Mixed-Reality-Brille im virtuellen 3D-Sandkasten spielen
Wie zum Beispiel beim aktuellen Projekt Augmented Common Operational Picture (ACOP): Im Mai 2024 ist es unter realen Bedingungen bei der Übung Quadriga 2024 im Baltikum getestet worden. Die Mixed-Reality-Brille macht die interaktive 3D-Visualisierung des Gefechtsfelds möglich. Damit wird die Lage im Feld für die Soldaten haptisch greifbar. In diesem virtuellen 3D-Sandkasten lassen sich besser Truppenteile verschieben, Geofaktoren wie etwa Höhenunterschiede abschätzen sowie ein realistisches Lagebild einsehen. Getestet wird die Vorgehensweise derzeit bei der Ausbildung am Gefechtssimulations-Zentrum des Heeres in Wildflecken.
Ein weiteres erfolgreich umgesetztes Projekt ist auch die sogenannte Multi Sensor Data Fusion (MSDF). Dabei geht es um Datenfusion vom Weltraum bis zum Seeboden: Ziel ist es, mittels Datenfusion ein vollständiges maritimes Lagebild zu erstellen, um zum Beispiel kritische Infrastruktur in der Ostsee wie Energieversorgungs-Pipelines zu schützen. Dafür werden bisher nicht genutzte Datenquellen verwendet, die in ein großes Ganzes zusammenfließen. „Für mich war es eine ideale Balance zwischen beiden Welten: militärischem Dienst und Agilität in der freien Wirtschaft, wie sie in modernen mittelständischen Unternehmen heute zu finden ist“, so Korvettenkapitän Patrick O., der das Projekt erfolgreich mit Unterstützung des Cyber Hubs entwickelt hat.
Während seines Reservistendienstes hatte er die Erfahrung gemacht, dass freizugängliche Weltraumdaten bei der Marine überhaupt nicht abgerufen wurden – weil unbekannt war, wie dies praktisch funktioniert. Dies brachte den Offizier der Reserve in Eckernförde auf die Idee. Die Frage lautete mithin: „Wie können wir die unterschiedlichen Daten vom Weltraum bis zum Meeresboden für verschiedene Anwendungen innerhalb der Marine nutzbar machen?“ So sei dann das Projekt auf den Weg gebracht worden, das heute wie selbstverständlich Unterwasser- und Weltraumbilder für militärische Lagebilder kombiniert und visualisiert.
Weder Fließband-Entwicklung noch Abschweifen im Elfenbeinturm - das ist die Devise
„Mit unseren Innovationsvorhaben bilden wir die Speerspitze der digitalen Fähigkeiten innerhalb der Bundeswehr, schließen Fähigkeitslücken, finden Dinge, die die Bundeswehr ohne uns nicht gesehen hätte, und helfen den Soldaten bei ihrer Auftragserfüllung", ergänzt Weizenegger. Der Ablauf funktioniere dabei „nicht wie ein lineares Fließband“. Und das bedeutet zugleich, dass nicht jede gute Idee auch erfolgreich ist. Es gelte immer erst, die Testreihen zu überstehen, wie bei jedem Startup in der freien Wirtschaft. „Ziel ist es, nicht im Elfenbeinturm über Themen nachzudenken, sondern ganz pragmatisch, zügig und direkt gemeinsam Chancen zu erkennen und zu ergreifen“, erinnert Weizenegger damit noch mal auf den Unterschied „Do-Tank" und Thinktanks.
Und er verweist gerne auf die Vorbilder aus Israel und in der US-Armee: „In den USA und Israel kann man sehen, wie schon seit Jahrzehnten erfolgreich Beschaffungsprozesse innovationsfreundlich gestaltet werden können. Dort gibt es beispielsweise die Möglichkeit, für bestimmte als innovationsrelevant eingestufte Themen und Aufgaben einen 'Fast Track' mit deutlichen Erleichterungen einzurichten.“ Auch mit der Innovationseinheit „Brave1“ aus der Ukraine sei unterdessen eine Innovationspartnerschaft geschlossen worden, um künftig schnell und unbürokratisch Ideen und Lösungen zu teilen.
Finden Projekte ausnahmsweise mal nicht Eingang in den Truppenalltag, werden sie dennoch oft als Prototypen weitergenutzt - bei 14 Innovationsvorhaben sei das derzeit der Fall. „Wenn wir merken, dass wir keine gute Lösung finden, brechen wir Projekte auch ab“, gesteht Weizenegger. Er hakt es freilich nicht einfach als Misserfolg ab, sondern erfreut sich am Erkenntnisgewinn. Sven Weizenegger, Typus des neuen deutschen Ingenieurs, weiß genau: „Auf dem Weg entdecken wir unzählige Zweige, die zur Lösung anderer Herausforderungen führen können.“