Die ersten Gratulationen aus Europa an den gewählten US-Präsidenten Donald Trump folgten schnell und überraschend freundlich. Ganz vorne dabei war Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. "Ich bin bereit, erneut eng zusammenzuarbeiten – mit Ihren Überzeugungen und meinen. Mit Respekt und Ambition. Für mehr Frieden und Wohlstand", schrieb Macron an Trump auf X. Auch Kanzler Scholz gratulierte Trump bald darauf, zunächst auf X und dann vor den Kameras im Kanzleramt. Scholz betonte die verlässliche Partnerschaft zwischen Deutschland und den USA: "Gemeinsam können wir mehr erreichen als im Alleingang."
Dennoch ist Europa sehr bewusst, wie drastisch Trump die transatlantischen Beziehungen prägen kann. Viele hofften lange, dass Kamala Harris die Nachfolge von Präsident Joe Biden antreten würde. Nun muss sich Europa auf eine zweite Ära Trump vorbereiten – und auf alle Unwägbarkeiten, die damit verbunden sind. Niemand wagt derzeit eine konkrete Einschätzung, wie tiefgreifend die Veränderungen sein könnten.
Droht unter Trump ein NATO-Rückzug der USA?
Eindeutige Hinweise gibt es nicht. Zwar kritisierte Trump im Wahlkampf, dass einige europäische Länder die NATO-Bündnisziele für Verteidigungsausgaben verfehlen. Zweifel an der uneingeschränkten Unterstützung der Beistandspflicht kamen jedoch auf, auch wenn er frühere Austrittsdrohungen nicht wiederholte. In NATO-Kreisen wird darauf hingewiesen, dass viele europäische Staaten ihre Verteidigungsausgaben erhöht haben. Deutschland erfüllt nun die zwei Prozent Militärausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, die Trump bereits in seiner ersten Amtszeit vehement forderte.
NATO-Generalsekretär Mark Rutte ließ nach Trumps Wahlsieg verlauten: "Die USA haben durch die NATO 31 Verbündete, die deren Interessen fördern, Amerikas Macht stärken und die Sicherheit gewährleisten." Die Allianz repräsentiert die Hälfte der globalen wirtschaftlichen und militärischen Kapazität und trägt zur Abschreckung und kollektiven Sicherheit bei.
Welche Auswirkungen hat das auf die Ukraine?
Aus der Sicht vieler ost- und mitteleuropäischer NATO-Länder ist dies eine zentrale Frage. Trump behauptete im Wahlkampf, den russischen Angriffskrieg binnen 24 Stunden beenden zu können. In Brüssel wächst die Sorge, er könne die Ukraine durch einen Stopp der Militärhilfe zu Verhandlungen mit Russland zwingen. Dabei könnte Kremlchef Putin möglicherweise ein Ende der NATO-Osterweiterung zugesichert werden. Für viele europäische Staaten wäre dies ein brandgefährlicher Tabu-Bruch, der Putin zu weiteren Aggressionen ermutigen könnte.
Sollten die USA ihre Unterstützung für die Ukraine einstellen, käme Deutschland als zweitgrößtem Waffenlieferanten eine entscheidende Rolle zu. Doch selbst mit einer Haushaltssonderregelung und Aussetzung der Schuldenbremse könnte Deutschland diese Lücke nicht schließen.
Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen?
Im Wahlkampf kündigte Trump neue Zölle auf US-Importe an: 10 bis 20 Prozent für viele Waren und bis zu 60 Prozent für chinesische Produkte. Sein Ziel ist es, die Produktion in den USA zu stärken und das Handelsdefizit zu senken. Trump stört vor allem, dass europäische Unternehmen mehr in die USA exportieren, als US-Firmen in die EU. 2023 waren die USA der wichtigste Exportmarkt für europäische Waren.
In Brüssel nimmt man Trumps Ankündigung von Zöllen ernst. Seit Monaten gibt es Vorbereitungen auf einen möglichen Handelskonflikt. Sollte Trump Zölle erheben, dürfte die EU ihrerseits mit Abgaben auf US-Importe reagieren. Dies könnte Trump dazu bewegen, eine Verhandlungslösung zu finden. Ein großes Thema in Brüssel sind potenziell hohe Zölle auf chinesische Waren, die vermehrt auf dem europäischen Markt konkurrieren könnten. Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, warnte Trump nach dessen Wahl vor Regelbrüchen: "Die EU wird ihren Kurs als starker, geeinter und souveräner Partner fortsetzen und das regelbasierte multilaterale System verteidigen."
Welche Branchen könnten betroffen sein?
Besonders für die deutsche Autoindustrie und Zulieferer könnte ein Handelskonflikt erhebliche Folgen haben. Für Unternehmen wie Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz gehören die USA und China zu den wichtigsten Märkten außerhalb der EU. Erneut entfachen könnte auch der Konflikt um Sonderzölle auf Stahl- und Aluminium, die Trump während seiner ersten Amtszeit eingeführt hatte. Diese Abgaben konnten durch einen Deal mit Präsident Biden entschärft werden, der jedoch im März kommenden Jahres ausläuft.
Hier werden vor allem Deutschland und Frankreich als die beiden größten Volkswirtschaften der EU gefragt sein. Kanzler Scholz und Präsident Macron telefonierten gleich am Morgen nach der Wahl und sprachen über die nächsten Schritte. "Es wurde vereinbart, eng zusammenzuarbeiten," hieß es von deutscher Seite. Doch in den vergangenen drei Jahren konnte keine gemeinsame europapolitische Linie gefunden werden.
Macrons Vorschläge zur europäischen Souveränität fanden bei Kanzlerin Merkel (CDU) und bislang auch bei Scholz wenig Anklang. Dies könnte sich jedoch ändern. Scholz sagte: "Die Europäische Union muss zusammenstehen und entschlossen handeln." Bereits in den kommenden Tagen findet ein Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Budapest statt, wo erste Gespräche dazu erwartet werden.
Auswirkungen auf die Krise der Ampel-Regierung
Zunächst muss sich jedoch die deutsche Regierung neu aufstellen. Angesichts der globalen Unsicherheit wäre es schwer zu rechtfertigen, wenn sich Deutschland temporär von der internationalen Bühne zurückzöge. Ein Abbruch der Ampel-Koalition und Neuwahlen im kommenden Jahr - danach sieht es aktuell aus - würden Deutschland in die heiße Phase eines Wahlkampfs oder in Koalitionsverhandlungen bringen. Ungünstig in einer Zeit, in der weltpolitische Handlungsfähigkeit besonders gefragt ist.