Politik

Erdgas: Preis der Energiewende viel zu hoch - warnt Gazprom

Während die Welt auf erneuerbare Energien setzt, geht Gazprom einen anderen Weg: Der russische Energieriese glaubt, dass Erdgas der Schlüssel zur globalen Energiezukunft bleibt. Doch was steckt hinter den Gazprom-Prognosen? Wissenschaftliche Fakten, durchsichtige Eigeninteressen und geopolitische Spannungen - sie prallen hier mal wieder aufeinander. Wird die Energiewende Europa wirklich stärken – oder führt sie in neue Abhängigkeiten?
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15.11.2024 16:54
Lesezeit: 4 min
Erdgas: Preis der Energiewende viel zu hoch - warnt Gazprom
Gazprom sieht Erdgas als Schlüssel zur globalen Energiezukunft – doch ist diese Vision mehr als nur eine politische Strategie? (Foto: dpa) Foto: Maksim Konstantinov

Während erneuerbare Energien an Bedeutung gewinnen und Länder weltweit nach Strategien suchen, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, schlägt der russische Energieriese Gazprom eine andere Richtung ein. Mit großer Zuversicht prognostiziert das Staatsunternehmen, dass Erdgas in den kommenden Jahrzehnten eine noch wichtigere Rolle spielen wird – und das schneller als andere Energiequellen.

Diese Botschaft scheint Gazprom nicht zufällig mit Nachdruck zu präsentieren: Möglicherweise dient sie der Sicherung von Marktanteilen, der Beeinflussung politischer Diskussionen und dem Versuch, Zweifel an der Energiewende zu säen. Doch welche Auswirkungen könnten solche Prognosen für Deutschland und Europa haben? Und wie realistisch sind sie?

Erdgas: Rückgrat der globalen Energiezukunft?

Auf der Klimakonferenz COP29 in Baku präsentierte Kiril Poloous, ein führender Stratege von Gazprom, eine klare Botschaft: Die Welt wird bis 2050 etwa 20 Prozent mehr Energie benötigen. Erdgas werde dabei mit einem Nachfragewachstum von 30 bis 50 Prozent die zentrale Rolle spielen. Besonders im asiatisch-pazifischen Raum, so Poloous, sei Gas der wichtigste Energieträger für eine klimafreundliche Zukunft. Darüber berichtet russische Nachrichtenagentur Interfax.

Dabei stützt sich Gazprom auf historische Entwicklungen: In der Vergangenheit hätten neue Energiequellen wie Kohle, Öl oder Gas bestehende Ressourcen nie vollständig verdrängt, sondern lediglich ergänzt. Mit Blick auf erneuerbare Energien sieht das Unternehmen einen ähnlichen Verlauf. Der Wandel zu Solar- und Windenergie werde die Bedeutung von Erdgas nicht schmälern, sondern nur eine zusätzliche Option darstellen.

Doch die Argumentation ist nicht ohne Eigeninteresse. Gazprom, das weltweit über die größten Erdgasreserven verfügt, hat ein offensichtliches Ziel – seine Marktposition trotz der geopolitischen Umbrüche und der Abkehr vieler Länder von russischen Energieressourcen zu behaupten.

Geopolitik und Energiesicherheit: Europas schwieriger Weg

Die geopolitische Lage hat die weltweiten Energiemärkte grundlegend verändert. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine führte zu Sanktionen gegen Russland und einer massiven Reduktion russischer Gaslieferungen nach Europa. Besonders Deutschland – lange Zeit der größte Importeur russischen Erdgases – versuchte, sich schnellstmöglich von dieser Abhängigkeit zu lösen. Flüssigerdgas (LNG) aus den USA und Katar wurde zur Alternative, begleitet von Milliardeninvestitionen in neue Importterminals.

Gazprom kritisiert diesen Kurs scharf. Europa habe sich durch den Rückgang russischer Gasimporte in eine ökonomische Sackgasse manövriert, so der Tenor. Höhere Kosten für LNG, eine Verlagerung energieintensiver Industrien ins Ausland und ein wachsender Wettbewerbsnachteil seien die Folgen. Gleichzeitig sei Europa zunehmend von anderen Energieimporten, etwa chinesischen Solarpanels, abhängig geworden.

Diese Darstellung hat einen wahren Kern. Tatsächlich hat die europäische Industrie mit steigenden Energiekosten zu kämpfen, und die wirtschaftlichen Folgen des Gasembargos sind spürbar. Zugleich präsentiert Gazprom natürlich die Sicht Putins auf die Welt und ist dabei nicht neutral, sondern verfolgt klare Eigeninteressen. Denn was wäre, wenn keiner mehr russisches Gas wollen würde?

Erneuerbare Energien: Zu jung, zu teuer?

Ein weiterer zentraler Punkt in Gazproms Argumentation ist die vermeintliche Unzuverlässigkeit erneuerbarer Energien. Vertreter des Konzerns, darunter Denis Demin von „Gazprom Neft“, kritisierten auf der COP29 die Herausforderungen, die mit dem Ausbau von Wind- und Solarenergie verbunden sind. Er verwies außerdem auf die Abhängigkeit von seltenen Rohstoffen, die China-dominierten Lieferketten und das ungelöste Problem der Entsorgung alter Windturbinen und Solarmodule.

„Erneuerbare Energien haben keinen geschlossenen Wertschöpfungskreislauf“, betonte Demin. Die Branche sei jung und technologisch nicht ausgereift. Dies führe dazu, dass erneuerbare Energiequellen zwar globale Emissionen nicht erhöhen, sie aber auch nicht signifikant senken könnten. Zumindest nicht ohne zusätzliche Technologien wie CO₂-Abscheidung und -Speicherung, deren Entwicklung Gazprom als Stärke der eigenen Branche anführt.

Zwar enthalten diese Argumente valide Aspekte – etwa die Herausforderung, eine nachhaltige und unabhängige Lieferkette für erneuerbare Technologien aufzubauen. Doch sie lassen entscheidende Fortschritte unberücksichtigt. In den letzten Jahren sind die Kosten für Wind- und Solarenergie drastisch gesunken, und innovative Speichertechnologien könnten die intermittierende Stromproduktion ausgleichen.

Europa im Fokus: Eine kritische Perspektive

Europa steht in Gazproms Prognosen als Paradebeispiel für die vermeintlichen Risiken einer zu schnellen Energiewende. Der Verzicht auf russisches Gas, gepaart mit ambitionierten Klimazielen, habe die Energiesicherheit gefährdet und den Kontinent anfälliger für geopolitische und wirtschaftliche Herausforderungen gemacht.

Einerseits zeigt die europäische Strategie zur Diversifizierung der Energieversorgung bereits erste Erfolge. Der Ausbau von LNG-Terminals, die ursprünglich als teure Übergangslösung galten, hat Europa in die Lage versetzt, Gas aus verschiedenen Quellen zu beziehen, was die Abhängigkeit von Russland spürbar verringert hat. Dennoch bleibt diese Lösung nicht ohne Probleme, da LNG teurer und ökologisch belastender ist. Andererseits könnten langfristige Investitionen in erneuerbare Energien und Speichertechnologien Europa stärken und die Importabhängigkeit weiter reduzieren.

Zudem zeigt sich, dass Europa durch den Fokus auf Forschung und Entwicklung im Bereich klimafreundlicher Technologien nicht nur seine Energieversorgung sichert, sondern auch neue Exportmärkte erschließen kann. Technologische Innovationen wie grüner Wasserstoff oder fortschrittliche Speicherlösungen könnten eine zentrale Rolle spielen.

Gazproms Prognosen: Berechtigte Zuversicht oder Wunschdenken?

Sollten sich Gazproms Prognosen bewahrheiten, würde dies massive Folgen für den globalen Energiemarkt haben. Erdgas würde weiterhin als Brückentechnologie dienen und insbesondere in energiehungrigen Märkten wie China und Indien eine führende Rolle spielen. Europa könnte gezwungen sein, russisches Gas zumindest teilweise wieder in den Energiemix aufzunehmen, insbesondere wenn erneuerbare Energien nicht schnell genug skalieren. Dies würde mit strukturell höheren Energiepreisen einhergehen, die die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie weiter schwächen könnten.

Sollte Gazprom jedoch die Bedeutung von Erdgas überschätzen, könnte sich die Zukunft Europas weitaus optimistischer gestalten. Fortschritte bei erneuerbaren Energien und Speichertechnologien könnten fossile Brennstoffe zunehmend obsolet machen. Europa könnte seine Abhängigkeit von fossilen Energieimporten drastisch reduzieren und seine Position als Vorreiter in der Klimapolitik stärken. Gleichzeitig könnten selbst Länder wie China und Indien schneller auf erneuerbare Energien umstellen, was Gazproms Zielmärkte einschränken würde.

Die Strategie hinter Gazproms Aussagen ist klar. Das Unternehmen versucht, seine Rolle im globalen Energiemarkt zu sichern, indem es Erdgas als unverzichtbar darstellt. Die Darstellung erneuerbarer Energien als unreif und problematisch soll Zweifel an der Energiewende wecken, während die vermeintliche Stabilität von Gas betont wird. Diese Botschaften richten sich nicht nur an Entscheidungsträger in Asien, sondern auch an Europa, das durch die Reduktion russischer Energieimporte eine strategische Lücke hinterlässt. Gazproms Ziel ist es, diese Lücke langfristig wieder zu füllen – notfalls mit einer Neuverhandlung politischer Beziehungen.

Ein Wettlauf mit ungewissem Ausgang

Die Zukunft der globalen Energieversorgung bleibt ungewiss. Gazproms Prognosen sind plausibel, aber strategisch geprägt. Für Europa bedeutet dies, dass die Investitionen in erneuerbare Energien und Technologien zur Energiespeicherung entscheidend bleiben. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, sei es aus Russland oder anderen Ländern, birgt geopolitische Risiken, die Europa vermeiden sollte.

Gelingt es, eine nachhaltige und unabhängige Energieinfrastruktur aufzubauen, könnte Gazproms Vision einer dominanten Rolle für Erdgas schnell verblassen. Andernfalls könnte der Konzern doch noch recht behalten – mit allen wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen für den Kontinent.

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Iana Roth ist Redakteurin bei den DWN und schreibt über Steuern, Recht und HR-Themen. Zuvor war sie als Personalsachbearbeiterin tätig. Davor arbeitete sie mehrere Jahre als Autorin für einen russischen Verlag, der Fachliteratur vor allem für Buchhalter und Juristen produziert.

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