Mit theoretisch simplen Bohrungen könnte die Erdwärme nutzbar gemacht werden. Diese liefert mehr als genügend Energie, um die gesamte Menschheit zu versorgen. In Deutschland entbrennt derzeit eine Diskussion über intensive Bohrungen zur Versorgung tausender Haushalte mit der regenerativen Energie. Doch Bürokratie und hohe Kosten könnten den Traum der endlosen Erdwärme schnell zunichtemachen.
Einfaches System, endlose Energie
Deutschland will nicht nur energetische Unabhängigkeit. Das Land strebt spätestens seit dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 die Verringerung seiner Treibhausgasemissionen im großen Maßstab an. Um im Vergleich zur vorindustriellen Temperatur die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, soll der Energiemix grundlegend auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Besonders wichtig sind dabei heimische, emissionsfreie Energien, zu denen die Geothermie gezählt wird.
Erdwärme entsteht aus dem Zerfall radioaktiver Stoffe wie Uran und aus der Restwärme des Erdkerns, der sich seit seiner Entstehung langsam abkühlt. Beide Wärmequellen können durch
Geothermiekraftwerke nutzbar gemacht werden. Dazu werden Bohrungen in bis zu vier Kilometern Tiefe vorgenommen, heißes Thermalwasser schießt mit Druck in eine von Ingenieuren verlegte Leitung und kann auf der Erdoberfläche direkt zum Heizen verwendet werden. In den Tiefebenen finden sich oft schon in nur 1.000 Metern unter dem Erdboden Gewässer mit Temperaturen von 100 Grad Celsius. Bei dieser konstanten Hitze lässt sich die Geothermie sogar zu Strom verarbeiten. Ebenfalls vielversprechend: Durch neuartige Technologien könnte Geothermie in alten Kraftwerken gefördert werden, die einst zur Förderung von Öl und Gas gebaut wurden. Ebenfalls brisant: In Bruchsal konnte im August 2024 in einem Geothermiekraftwerk nicht nur Strom und Wärme, sondern auch Lithium über das Tiefenwasser gewonnen werden. Dieser doppelte Nutzen wäre ein großer Wurf für den Standort Deutschland, doch steckt die Technologie dafür noch in den Kinderschuhen.
Geothermie bietet potenziell deutliche Vorteile gegenüber anderen Energieformen. Sie ist lokal erhältlich, steht ganztägig zur Verfügung, erlaubt eine simple Förderung in der Nähe der Abnehmer und gilt mittlerweile als umweltverträglich. Doch warum ist die Erdwärme für Deutschlands Wärmeerzeugung quasi irrelevant? Nur knapp neun Prozent entfallen auf Umweltwärme und Geothermie, während Geothermie im Strommix unter den sonstigen erneuerbaren Energien mit insgesamt 2,9 Prozent Anteil verharrt. Die Gründe für diese Nichtnutzung liegen in einem scheinbaren Widerspruch: Die Geothermie, die als günstig, sicher und zuverlässig gilt, ist viel zu oft teuer, unsicher und wenig zuverlässig.
Kostendruck, Bürokratie und Erdbebengefahr: Warum Geothermie in Verruf steht
Nach anfänglicher Euphorie und der Errichtung von Geothermiekraftwerken führten diese jedoch zu Erdbeben, die die Energiegewinnung nachhaltig in Verruf bringen sollten. Viele kleine Erdbeben in Basel 2006 und in der pfälzischen Stadt Lindau 2010 gehörten zu den bekanntesten Katastrophen, die mit Erdwärmegewinnung in Verbindung gebracht werden. Zwar beteuern Forscher mittlerweile, durch schonendere Bohrungen die Erdbebengefahr minimieren zu können. Doch damit steigen die Kosten für die Errichtung entsprechender Kraftwerke noch weiter in die Höhe.
Und diese Kosten gelten ohnehin als vergleichsweise hoch. Die Errichtung von Geothermiekraftwerken kostet laut einem Paper über Erdwärme vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) etwa zwei- bis dreimal so viel wie die von Windkraft- und Solaranlagen. Zwar ist die Leistung eines solchen Kraftwerks gleichmäßiger und höher als die von Solar- und Wind- anlagen. Doch neben den hohen Investitionskosten drücken die langen Bauzeiten die Motivation, solche Anlagen zu errichten, zusätzlich. Während die Errichtung von Windparks oder Solarpanels zügig vorangetrieben werden kann, erfordert die Geothermie tiefe Bohrungen und aufwendige Planungen, die durch unvorhersehbare Naturereignisse verteuert werden können. Nicht selten rentieren sich die Projekte erst nach einem Jahrzehnt, sodass der großflächige Ausbau von Geothermiekraftwerken kaum als attraktiv bezeichnet werden kann.
In Deutschland stellt die Bürokratie ein weiteres Argument gegen den Bau von Geothermiekraftwerken dar. Etliche Behörden verlangen nach der Einhaltung unterschiedlichster Regeln, damit Böden dezentral geprüft und angebohrt werden dürfen. Das Bürokratieentlastungsgesetz könnte hier die nötigen Freiheiten bringen, um den Ausbau zu gewähren. Doch nicht nur der Staat, sondern auch private Unternehmen befeuern die komplizierte Lage. So wurde kürzlich ein Fall bekannt, bei dem die bayrische Firma AFK-Geothermie GmbH die Preise für Geothermie an den Gaspreis koppelte — sodass ihre Kunden im Zuge des Ukrainekonflikts von einer massiven Preissteigerung betroffen waren. Ob diese Kopplung rechtens ist, wird derzeit vom Kartellamt geprüft.
Die Geothermie leidet also hauptsächlich unter ihrem desaströsen Ruf. Doch warum halten deutsche Politiker trotzdem an dem Konzept der Erdwärmegewinnung fest?
Deutsche Erdwärme für mehr Unabhängigkeit?
Die acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften führt in ihrer Studie zum Potenzial der Geothermie als ersten und wahrscheinlich gewichtigsten Grund an, dass diese Form der Energie komplett lokal zu beziehen ist. Sie könnte demnach Abhängigkeiten vom Ausland abbauen. So werden auf Island bereits jetzt 90 Prozent aller Haushalte mit Geothermie beheizt und 25 Prozent des gesamten Strombedarfs des Landes gedeckt, sodass sich der kleine Inselstaat weitgehend selbst versorgen kann. Doch genau hier liegt ein weiteres Problem: Nicht nur ist Deutschlands geologische Situation weitaus ungünstiger als die Islands, auch ist sein Energiebedarf um ein Vielfaches höher.
Zudem sind lohnenswerte Gegenden zum Ausbau der Geothermie in Deutschland lokal gestreut. Während im Oberrheingraben und in Norddeutschland vielversprechende geografische Bedingungen vorherrschen, sind es etwa in Mitteldeutschland deutlich weniger. Bereits jetzt gestaltet es sich als schwierig, Deutschlands Süden mit Windstrom aus den nordischen Küstengebieten zu versorgen, ob die nationale Wärmeverteilung im Falle eines Geothermie-Ausbaus wirklich unproblematischer ist, bleibt fraglich.
Neues Geothermiekraftwerk in Utah als Hoffnungsschimmer für Erdwärmenutzung?
Weltweit könnte die Geothermie bis zum Jahr 2050 drei bis fünf Prozent des Bedarfs an Fernwärme und Strom decken, wenn die ehrgeizigen Ausbauziele der Industrieländer erreicht werden. In Deutschland soll die Geothermie bis 2040 etwa ein Viertel des Wärmebedarfs decken. Laut acatech sei die Zeit reif, die Geothermie entschieden voranzutreiben, da sie gleichermaßen Deutschland unabhängig von anderen Großmächten mache und CO₂-neutrale Versorgungssicherheit böte. Ein Großprojekt scheint der Geothermie erneut Aufschub zu geben: Das weltgrößte Geothermiekraftwerk in Utah soll schon bald zwei Millionen Haushalte versorgen — mit Wärme und sauberem Strom.
Doch der Ausbau läuft jedenfalls in Deutschland zu langsam. So konstatiert Sascha Müller-Kraenner, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe: „Während die Bundesregierung Kommunen zur klimaneutralen Wärmeversorgung bis 2045 verpflichtet, verweigert sie einer hoffnungsvollen erneuerbaren Wärmequelle die Unterstützung und lässt die Kommunen im Regen stehen. Damit wird das hohe Potenzial der Tiefengeothermie für die Wärmewende vor Ort sträflich vernachlässigt und ihr Beitrag zum Klimaschutz nicht ausgeschöpft. Die Tiefengeothermie muss mit hoher Priorität vorangebracht und ein Ausbauziel für 2030 von 100 Terawattstunden festgeschrieben werden. […] Das alles ist kein Hexenwerk, wird aber wegen der falschen Prioritätensetzung der Bundesregierung aktuell nicht vorangebracht.“
Die Bundesregierung sieht den Ausbau ungleich optimistischer. Jedenfalls Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gibt sich kämpferisch: „Das Potenzial der Geothermie, also der direkten Erdwärme aus tieferen Gesteinsschichten wurde jahrzehntelang in Deutschland vernachlässigt. Jetzt holen wir die Geothermie endlich aus ihrem Schattendasein. Wir sorgen dafür, dass die Wärmeenergie aus tiefen Erdschichten für unsere Energieversorgung gezielt und unbürokratisch erschlossen werden kann. So können wir die Energiewende auch im Wärmebereich schneller vorantreiben und damit unsere Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle weiter verringern.“
Wie dieser gezielte und unbürokratische Ausbau jedoch vonstattengehen soll, lässt der Minister bislang offen.