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Grüner Wasserstoff aus Saudi-Arabien: Das Megacity-Projekt Neom

Lesezeit: 4 min
20.11.2024 15:14  Aktualisiert: 01.01.2030 15:04
Saudi-Arabien strebt die globale Führungsrolle bei grünem Wasserstoff an. Für Deutschland ist das spannend - doch wie grün ist der Wasserstoff wirklich? Und was hat das Ganze mit dem größenwahnsinnigen Mega-City-Projekt Neom zu tun?
Grüner Wasserstoff aus Saudi-Arabien: Das Megacity-Projekt Neom
Wasserstoff-Partnerschaft: Anfang 2024 war Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen zu Besuch in Saudi-Arabien (Foto: dpa).
Foto: Kay Nietfeld

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Saudi-Arabien will eine globale Wasserstoff-Supermacht werden. Denn ewig werden die Ölvorräte nicht halten - Sonne und auch Wind gibt es dafür satt. Das Königreich produziert derzeit etwa 2,5 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr und plant, den Ausstoß bald auf 2,9 Millionen Tonnen zu steigern. Nach der reinen Produktionsmenge gehört das Land noch nicht zu den Spitzenreitern wie Deutschland, China oder den USA. Doch gemessen an den bald einsatzbereiten Kapazitäten steht Saudi-Arabien bereits weltweit an zweiter Stelle – direkt hinter China.

Neom: Wasserstoff-Megastadt in der Wüste

Saudi-Arabien will der größte Wasserstoff-Lieferant der Welt werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei ein futuristisches Mega-Bauprojekt namens Neom, das ursprünglich mal aus vier verschiedenen Megastädten bestehen sollte und ein Symbol für die großen Pläne des Königreichs ist. Neom ist ein im Bau befindliches Siedlungsprojekt auf einer Fläche von 26.500 Quadratkilometer - fast so groß wie Belgien. Gebaut wird im Nordwesten des Landes unweit des Golfs von Akaba an der Küste des Roten Meeres und Teil des Projekts Saudi Vision 2030. Ursprünglich umfasste Neom vier räumlich getrennte Bauprojekte: die als 170 km lange Bandstadt geplante „The Line“, den schwimmenden Industriekomplex und Seehafen „Oxagon“ und die Ferienresorts „Sindalah“ im Meer sowie das Skigebiet „Trojena“ in den Bergen. Im Jahr 2023 und 2024 wurden elf weitere Elemente für Neom vorgestellt und die Projektziele für The Line stark zusammengestrichen. Aus 170 Kilometern wurden so nur noch 2,4 Kilometer. Das Prestigeprojekt kämpft mit mangelnder Finanzierung, mit schlechter Presse und Menschenrechtsverletzungen, auf denen besagte schlechte Presse basiert. Aber das Bauprojekt schreitet voran.

Kontroversen um Menschenrechte und Umwelt

Das ambitionierte Projekt Neom steht auch wegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltbedenken in der Kritik. Dabei geht es um die Vertreibung der lokalen Bevölkerung, den Einsatz von Zwangsarbeit und Überwachungstechnologien. Damit Saudi-Arabien sein Megacity-Projekt Neom umsetzen kann, geht es hart gegen Bewohner von anliegenden Dörfern vor. 28.000 Menschen sollen zum Umzug gezwungen werden, etwa 6.000 sind bereits umgesiedelt, einige wurden dafür bezahlt. Ein Mann wurde offenbar erschossen, als er sich weigerte, sein Haus zu verlassen. Das räumten die Behörden ein, sie sprachen von einem Gefecht.

Ölquellen werden dieses Jahrhundert vertrocknen

Nichtsdestotrotz zeigt die megalomanische Zukunftsvision den Weg an, den Saudi-Arabien beschreiten will. Ein Weg, der zu einem Teil aus Größenwahn, einem Teil aus Greenwashing und einem Teil schierer Notwendigkeit besteht. Anders als etwa Katar oder die Emirate hat Saudi-Arabien mit etwa 30 Millionen Einwohnern eine große Bevölkerung, die auch auf Dauer Arbeit und Auskommen finden will. Wenn die saudischen Erdölvorräte – nach jenen Venezuelas sind es die zweitgrößten der Welt – in spätestens 80 Jahren aufgebraucht sind, verliert das Land seine Haupteinnahmequelle. Darum ist die Arbeit an Ersatz für diese Ressource ein Kernpunkt in der Wirtschaftsstrategie „Vision 2030“, mit der Kronprinz Mohammed Bin Salman das Land ökonomisch öffnen und modernisieren will. Mit der neuen Wasserstoff-Partnerschaft verstärkt das Königreich aber natürlich auch weiter die Abhängigkeit Europas vom Partner Saudi-Arabien. An dem Königreich kommt Deutschland nur schwer vorbei, wenn es um seine Energieversorgung geht.

Das Stadtprojekt Neom stammt direkt aus einem Science-Fiction-Film: Die verspiegelte Mauer soll 500 Meter hoch und 200 Meter breit sein. Durch ihre Höhe soll sie im Vergleich zu europäischen Metropolen deutlich weniger Platz benötigen. Durch den hohen Aufbau sollen alle Geschäfte und Dienstleistungen innerhalb von fünf Minuten erreichbar sein. Die Stadt ist ohne Autos und CO2-neutral geplant. Die Energie-Versorgung wird über Solar- und Windkraft-Anlagen sichergestellt. Außerdem soll das Leben in ihr autark funktionieren - die Bewohner sollen The Line also niemals verlassen müssen. Innerhalb der Stadt soll es eine natürliche Belüftung geben, die von einem begrünten Dach ermöglicht wird.

Neom soll mit architektonischen Entwürfen der Architekurbüros Morphosis, Zaha Hadid Architects, Mecanoo, Aedas und UNStudio Gestalt annehmen. Der Name Neom steht für „neue Zukunft“. Er leitet sich vom altgriechischen Präfix „neo“ ab, das „neu“ bedeutet. Der vierte Buchtstabe steht als Abkürzung für „mostaqbal“ – das arabische Wort für „Zukunft“. Die Stadt soll aus zwei schnurgeraden Mauern aus Hochhäusern bestehen und bis zu neun Millionen Menschen beherbergen können – versorgt mit erneuerbaren Energien. Hier kommt der Wasserstoff ins Spiel. Ein zentraler Teil von Neom ist das weltgrößte Projekt für grünen Wasserstoff mit dem Namen Helios, der griechische Sonnengott. Ab 2026 soll die Helios-Anlage täglich bis zu 600 Tonnen Wasserstoff produzieren. Die dafür notwendige Energie liefern unter anderem dann Windparks am Golf von Akaba. Und hier, zwischen Science-Fiction-Märchenstadt und dem Umstieg Saudi-Arabiens auf nachhaltige Energien, wird es für Deutschland interessant.

Europäische Beteiligung und deutsche Technologie

Offenbar hat Saudi-Arabien bereits grüne Wasserstoff-Projekte im Wert von sechs Milliarden US-Dollar angekündigt. Das Helios Green Hydrogen and Ammonia Project in Neom, mit einem Budget von 500 Milliarden US-Dollar, soll bis 2025 starten und täglich 650 Tonnen grünen Wasserstoff exportieren. Gleichzeitig setzt der staatliche Ölkonzern Saudi Aramco auf „blauen Wasserstoff“, bei dem das entstehende CO₂ mittels CSS-Verpressung unterirdisch gespeichert wird. Übrigens: Wird Wasserstoff mit fossilen Energien produziert, spricht man von „grauem Wasserstoff“. Kommen hingegen erneuerbare Energien zum Einsatz, entsteht „grüner Wasserstoff“. Am Wasserstoff-Projekt sind auf saudischer Seite eine Tochter des Public Investment Fund sowie europäische Unternehmen beteiligt. Eine neue Gesellschaft unter Leitung des deutschen Energiemanagers Cord Landsmann soll der weltweit größte Lieferant von grünem Wasserstoff werden. Laut „Handelsblatt“ stehen deutsche Konzerne wie Siemens Energy und ThyssenKrupp Nucera bereits in Verhandlungen mit den saudischen Partnern. Der Wasserstoff soll per Schiff in Form von Ammoniak nach Europa transportiert werden.

Was unter idealen Bedingungen am Golf produziert werden kann, wird in Deutschland und Europa dringend benötigt. Ohne ausreichend Wasserstoff wird die ökologische Transformation der Wirtschaft scheitern. Deutschland kann in den kommenden Jahren bestenfalls ein Viertel bis ein Drittel des Bedarfs selbst decken – und das nur, wenn alles reibungslos läuft. Der Großteil muss jedoch importiert werden. Zwar hat die Bundesregierung kürzlich den Startschuss für ein 9700 Kilometer langes Wasserstoffkernnetz gegeben, doch der Ausbau schreitet nicht so schnell voran, wie es erforderlich wäre. Erst vor Kurzem sagte Norwegen die Lieferung von Wasserstoff nach Deutschland ab; die Umsetzung sei zu teuer, die Absatzbedingungen zu unklar, hieß es. Auch die Wasserstofflieferungen aus Dänemark verzögern sich um mindestens drei Jahre.

Abhängigkeit und Chancen

Trotz der Kontroversen hat Deutschland die Wasserstoff-Kooperation mit Saudi-Arabien intensiviert. Das Gas soll einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft leisten. Für den Export in Form von Ammoniak fehlt aktuell jedoch noch die notwendige Infrastruktur in Deutschland. Die Planung für sogenannte „Cracker“, die den Wasserstoff aus dem Ammoniak extrahieren, läuft – unter anderem in Wilhelmshaven, wo ein Wasserstoff-Drehkreuz entstehen soll.

                                                                            ***

Maximilian Modler berichtet über spannende Entwicklungen aus den Bereichen Energie, Technologie - und über alles, was sonst noch für die deutsche Wirtschaft relevant ist. Er hat BWL, Soziologie und Germanistik in Freiburg, London und Göteborg studiert. Als freier Journalist war er u.a. für die Deutsche Welle, den RBB, die Stiftung Warentest, Spiegel Online und Verbraucherblick tätig.


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