Finanzen

DWN-Sonntagskolumne: The Rational Investor - warum Emotionen bei der Geldanlage schaden

Als ich gehört habe, dass in einer Umfrage des ZDF vor der US-Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 über 70 Prozent der Deutschen geglaubt haben, dass Kamala Harris die Wahl gewinnt, wurde mir klar, dass Trump das Rennen machen würde. Denn wir sehen hier diesseits des Atlantiks eine verzerrte Realität.
24.11.2024 12:27
Lesezeit: 3 min
DWN-Sonntagskolumne: The Rational Investor - warum Emotionen bei der Geldanlage schaden
Emotionen prägen oft Anlageentscheidungen, doch Rationalität und faktische Grundlagen können Investitionen erfolgreicher machen (Foto: pixabay.com/TheInvestorPost).

Genau so war es ja auch bei der Wahl Trump/Clinton im Jahr 2016: Große Wahlparty bei Bertelsmann unter den Linden 1 in Berlin. Die Gäste waren zu 100 Prozent für Clinton, in großen Glasschüsseln lagen Sticker für Trump und Clinton aus - die von Trump hat keiner angefasst. Immer wenn die Deutschen Wünschen, Hoffen und Fürchten mit Fakten verwechseln, und das machen sie ständig, dann sollte man misstrauisch werden.

„In den Zeiten als das Wünschen noch geholfen hat …“, so beginnt der Froschkönig von den Gebrüdern Grimm. Und das ist sehr, sehr lange her.

Oder um es mit den Worten von Helmut Kohl zu sagen: „Die Wirklichkeit stellt sich oft anders dar als die Realität.“ Niemand hat so recht verstanden, was er damit meinte, aber vermutlich genau das: die „Realität“ in diesem Sinne ist unser rosagetünchter Ponyhof voll von ideologischen Wunschvorstellungen, Realitätsverweigerung und ökonomischer Infantilität. Im menschlichen Hause herrscht nicht etwa der Verstand wie die Philosophen der Aufklärung meinten, sondern Triebe und Emotionen, wie Schopenhauer und Nietzsche im 19. Jahrhundert bemerkt haben, und der Verstand ist ihr Handlanger.

Hidden Emotional Bias

So ist es auch bei Investments ausgesprochen schwierig, die Emotionen herauszuhalten. Es nützt nichts, auf den Screen zu starren und einen Aktien-Chart mit bloßer Willenskraft in die Höhe treiben zu wollen. Aktien interessieren sich überhaupt nicht für dich. Was du denkst und hoffst, ist denen völlig gleichgültig. Sie interessieren sich auch überhaupt nicht dafür, ob du den Einstandskurs wieder erreichst, damit du ohne Verluste rauskommst (sunk cost fallacy).

Der Staatsbürger und der Investor

So sollte man auch unterscheiden zwischen dem Staatsbürger und dem Investor. Meine Bank sagt: Rüstungsaktien, das ist gegen unsere ethischen Leitlinien, das dürfen wir Ihnen nicht empfehlen. Ist das rational in einer Welt massiver Remilitarisierung? Oder nehmen wir die Palantir-Aktie, die in der deutschen Politik und in den deutschen Medien ganz negativ besetzt ist. Die machen irgendwas mit Datenauswertung mittels KI, Rasterfahndung, Geheimdiensten … und Peter Thiel ist da beteiligt. Das ist ja auch ein Böser.

Tatsächlich ist Peter Thiel ein Contrarian Thinker. Das macht seine Überlegungen im Gegensatz zum Mainstream recht erfrischend. Natürlich, nur weil jemand Contrarian Thinker ist, hat er nicht öfter recht, als der Mainstream - aber man muss doch offen bleiben für die entgegengesetzten Möglichkeiten. Ideologisch motiviertes Anlegen zum Beispiel in ESG-Fonds ist rein staatsbürgerlich und menschlich gesehen natürlich sehr zu begrüßen, für die Rendite aber möglicherweise nicht so gut, denn ideologische Moden führen regelmäßig zu Überinvestition in diesen Bereichen, was längerfristig die Rendite drückt.

Es hilft nichts, alle unsere Handlungen sind von Interessen geleitet, die guten wie die schlechten. Das kann man nicht völlig ausschalten, aber man sollte sich dessen zumindest bewusst sein.

Das Mögliche und das Wahrscheinliche

Aber selbst, wenn man versucht, alle Emotionen aus der Entscheidung herauszuhalten, bleibt das Problem, dass wir nicht alles wissen können (vielleicht kann meine Assistentin bei ChatGPT4.0 das künftig) und vor allen Dingen, dass wir die Zukunft nicht kennen (das kann wohl auch ChatGPT nicht). Investieren heißt immer, eine Wette auf die Zukunft zu schließen. Warren Buffett hat einmal gesagt: „I don’t know anything. But I do know basic probability.” Ein sehr tiefsinniger Satz. „Möglicherweise, antwortete der Burgschauspieler, haben sie recht, meine Liebe, aber wahrscheinlich haben sie nicht recht.“ (Thomas Bernhardt, Holzfällen)

Nur wer das Mögliche vom Wahrscheinlichen zu unterscheiden vermag, wird gut durchs Leben kommen – und sein Depot auch.

Nvidia-Aktie und Taiwan

Ein Fall-Beispiel: Sie machen sich Sorgen um Ihre Nvidia-Aktien? Wird China Taiwan überfallen und sich die Chip-Zulieferer von Nvidia einverleiben (TSMC Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, UMC, ASE Technology Holding, PSMC, Macronix International Co., Ltd.)? Bricht dann das Geschäftsmodell dieses großartigen Unternehmens zusammen und das anderer US-Techunternehmen auch? Möglich ist ein solcher Überfall schon morgen. Aber ist er wahrscheinlich?

  1. Es ist eine beliebte Strategie, einen auswärtigen Krieg zu beginnen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Und China hat reichlich ökonomische und demographische Probleme. Das ist nicht gut.
  2. Andererseits ist China in der Vergangenheit nicht durch militärische Abenteuer außerhalb seiner Grenzen aufgefallen, das hilft im Fall Taiwan als Argument allerdings nur bedingt.
  3. China hat erheblich aufgerüstet, es fehlen seiner Marine aber noch ausreichend Landungsschiffe. Das wird einige Jahre dauern.
  4. Aber vor allem wird China zögern, sich mit einem so unberechenbaren Typen wie Donald Trump anzulegen.
  5. Und sie wissen, dass die USA auf die Chip-Lohnfertigung in Taiwan für seine Tech-Industrie und die Entwicklung der KI essenziell angewiesen sind, weshalb die USA im Falle eines Überfalls auf Taiwan vermutlich in einen direkten Krieg mit China eintreten werden. Und das will China vielleicht doch im Moment noch nicht. Diese Situation wird sich ändern, wenn Chipfertigungs-Kapazitäten in den USA aufgebaut sind und sie unabhängig von Taiwan sind - auch das wird einige Jahre dauern.

Fazit unter dem Strich: Bis etwa zum Jahr 2028 bleibt es zwischen China und Taiwan wahrscheinlich ruhig. Jedenfalls „wahrscheinlich“. Oder ist doch ein bisschen Hoffen und Wünschen in das Räsonnement eingeflossen?

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Prof. Dr. Ulrich Seibert

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Prof. Dr. Ulrich Seibert ist Jurist und Honorarprofessor für Wirtschaftsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Als ehemaliger Leiter des Referats für Gesellschaftsrecht, Unternehmensverfassung und Corporate Governance im Bundesministerium der Justiz hat er bis 2020 maßgeblich an zahlreichen Reformen im Gesellschaftsrecht mitgewirkt. Mit über 200 veröffentlichten Aufsätzen zählt er zu den renommierten Experten auf diesem Gebiet.

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