Die Stimmung ist mies. Zwar ist die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal minimal gewachsen. Von Juli bis September legte das Bruttoinlandsprodukt um 0,1 Prozent zum Vorquartal zu, wie das Statistische Bundesamt in einer zweiten Schätzung mitteilte. Ende Oktober hatte die Wiesbadener Behörde anhand vorläufiger Daten noch ein Wachstum von 0,2 Prozent für Europas größte Volkswirtschaft errechnet. Zu den wesentlichen Gründen für das Mini-Wachstum gehören ausgabefreudigere Verbraucher: Nach dem Abebben der Inflationswelle und angesichts steigender Löhne sitzt das Geld bei vielen Menschen wieder etwas lockerer. Ein Anspringen des Konsums ist die wichtigste Hoffnung für die angeschlagene deutsche Wirtschaft. Zudem bewahrten höhere Staatsausgaben die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal haarscharf vor einer Rezession. Aber die Exporte sanken bereits deutlich. Denn es stehen gigantische Herausforderungen an für die deutsche Wirtschaft.
Deutsche Wirtschaft am Rande der Rezession
Im zweiten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt bereits um 0,3 Prozent zurückgegangen. Wäre das BIP im dritten Quartal erneut geschrumpft, wäre die deutsche Wirtschaft nach üblicher Definition in eine "technische Rezession" gerutscht. Volkswirte sprechen davon bei einem Rückgang in zwei Quartalen in Folge.
Trotz des jüngsten Lichtblicks bleibt die deutsche Wirtschaft in einer Schwächephase, die nach Einschätzung der Bundesbank auch im laufenden Schlussquartal anhalten dürfte. Gegenwind gibt es reichlich: Auf den Weltmärkten hat China als Wachstumstreiber an Schwung verloren, im Inland steigt die Zahl der Firmenpleiten kräftig.
Zugleich sind die Exportaussichten für die Industrie trüb und vergleichsweise hohe Energiepreise sowie die große Bürokratie belasten den Standort Deutschland. Schlüsselindustrien wie die Chemie und die Automobilbranche stecken in der Krise. Der Autobauer Ford etwa will 2900 Stellen hierzulande abbauen, und bei Volkswagen drohen Werkschließungen.
Einen positiven Effekt auf die Konjunktur dürften nach Ansicht von Volkswirten sinkende Leitzinsen der Europäischen Zentralbank haben, die Kredite für Unternehmen und Verbraucher tendenziell günstiger machen. Bis sich Impulse von Zinssenkungen in der Realwirtschaft niederschlagen, vergeht aber einige Zeit.
Viel Unsicherheit wegen Trump und Ende der Regierungskoalition
Zudem hat die Unsicherheit mit dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA und dem Bruch der Regierungskoalition in Deutschland stark zugenommen. Manche Ökonomen haben bereits ihre Prognosen für die deutsche Wirtschaft gesenkt. Denn sollte Trump wie angekündigt Zölle erhöhen, würde das die exportorientierte deutsche Wirtschaft besonders treffen.
Die Bundesregierung erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr um 0,2 Prozent schrumpft. Es wäre das zweite Rezessionsjahr in Folge nach 2023, als die Wirtschaft bereits leicht geschrumpft war. Im kommenden Jahr soll sich die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung der Bundesregierung mit einem Wachstum von 1,1 Prozent wieder erholen. Der Sachverständigenrat (die "Wirtschaftsweisen") erwartet dagegen nur ein Plus von 0,4 Prozent 2025.
Ökonomen-Stimmen zur Abwärtsrevision der deutschen Wirtschaftsleistung
Die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal nur minimal gewachsen. Von Juli bis September legte das Bruttoinlandsprodukt um 0,1 Prozent zum Vorquartal zu, wie das Statistische Bundesamt in einer zweiten Schätzung mitteilte. Ende Oktober hatte die Wiesbadener Behörde anhand vorläufiger Daten noch ein Wachstum von 0,2 Prozent für Europas größte Volkswirtschaft errechnet.
Das sagen die Ökonomen zur Lage:
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank:
"Die Wachstumsdetails zeigen, wo der Schuh drückt. Es sind die Investitionen. Die Anlageinvestitionen gingen im dritten Quartal um 0,2 Prozent zurück. Die Unternehmen sind mit zu vielen Unabwägbarkeiten konfrontiert. Zu nennen ist dabei die weitere wirtschaftliche Entwicklung, die offensichtlichen Deglobalisierungstendenzen und die bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Energiepreise. Und häufig zu beobachten ist auch, dass es Unternehmen nicht an Aufträgen, sondern an Arbeitskräften fehlt. Schon jetzt belastet der demografische Wandel das Wachstum schwerwiegend. Auch die Bauinvestitionen waren im dritten Quartal rückläufig. In Anbetracht noch immer vergleichsweiser hoher Zinsen und hoher Immobilienpreise kommt dies alles andere als unerwartet."
Jens-Oliver Niklasch, Volkswirt bei der Landesbank Baden-Württemberg:
"Faktisch tritt die Wirtschaftsleistung in Deutschland auf der Stelle - bestenfalls. Erfreulich ist allenfalls, dass sich der private Verbrauch nun endlich etwas besser entwickelt. Wenn man die Zahlen zur Bruttowertschöpfung betrachtet, gab es ein Minus in eigentlich allen marktnahen Wirtschaftszweigen. Gewachsen sind eigentlich nur der öffentliche Dienst und das Gesundheits- und Erziehungswesen. Mehr oder weniger sind das Bereiche, die von Beiträgen und Steuern finanziert werden. Insgesamt unterstreichen die Daten einmal mehr das Ausmaß der aktuellen Krise in Deutschland."
Claus Vistesen, Volkswirt bei Pantheon Macroeconomics:
"Die deutsche Wirtschaft kam im dritten Quartal kaum voran und setzte damit den Trend fort, dass es in der größten Volkswirtschaft der Eurozone praktisch kein Wachstum gibt. Die Abwärtskorrektur hatte sich nach den negativen Überraschungen bei der Industrieproduktion und dem Außenhandel im September (...) angedeutet."
Andreas Scheuerle, Leiter Industrieländer bei der Dekabank:
"Deutschland befindet sich in einer quälend langen Stagnationsphase. In toxischer Art und Weise verbinden sich seit geraumer Zeit konjunkturelle und strukturelle Probleme in Deutschland. Während sich die konjunkturellen Belastungen allmählich ausschleichen, bleiben wir auf den strukturellen Problemen so lange sitzen, bis die Politik den großen (Reform-)Wurf wagt."
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der Bank ING:
"Auch wenn die deutsche Wirtschaft eine Sommerrezession vermieden hat, droht eine Winterrezession. Über den Winter hinaus werden die deutschen Wachstumsaussichten stark von der Fähigkeit der neuen Regierung abhängen, die Binnenwirtschaft inmitten eines möglichen Handelskriegs und einer noch stärkeren Industriepolitik in den USA zu stärken."
Unternehmensstimmung im Euroraum: "Hätte kaum schlimmer kommen können"
Die Unternehmensstimmung im Euroraum hat sich im November unerwartet eingetrübt. Der von S&P Global ermittelte Einkaufsmanagerindex fiel einer ersten Berechnung zufolge um 1,9 Punkte auf 48,1 Punkte, wie S&P am Freitag in London mitteilte. Dies ist der tiefste Stand seit zehn Monaten. Volkswirte hatten mit einem unveränderten Wert gerechnet. Der Gesamtindikator sinkt damit unter die Expansionsschwelle von 50 Punkten. Es wird also ein Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten signalisiert.
Besonders deutlich trübte sich die Stimmung im Dienstleistungssektor ein. Der Indikator fiel auch hier unter die Wachstumsschwelle. In der sowieso schon stark schwächelnden Industrie geriet der Indikator noch weiter unter Druck.
"Viel schlimmer hätte es kaum kommen können", sagte Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank. Er verweist auf die politische Unsicherheit in Deutschland und Frankreich sowie die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. "Man fährt nur noch auf Sicht."
Der Eurokurs geriet nach den Daten stark unter Druck. Er fiel bis auf 1,0335 US-Dollar und erreichte so den tiefsten Stand seit Ende 2022.