Wirtschaft

Arbeitsmarkt: Zuwanderung laut Bertelsmann Stiftung langfristig wichtig

Eine aktuelle Studie zeigt, dass der deutsche Arbeitsmarkt bis 2040 jährlich etwa 288.000 Zuwanderer benötigt, um ausreichend Fachkräfte sicherzustellen. Die von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebene Analyse verdeutlicht, dass die aktuelle Erwerbsmigration nicht ausreicht.
26.11.2024 08:40
Aktualisiert: 26.11.2024 08:40
Lesezeit: 2 min
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Laut der Migrationsforscherin Susanne Schultz sind Hürden abzubauen und Bedingungen für Zuwanderer zu verbessern, damit die Herausforderungen am Arbeitsmarkt bewältigt werden können.

Vom Flüchtling zum IT-Fachmann – und doch Abschied aus Deutschland

Ein konkretes Beispiel macht das Problem deutlich: Ein 29-jähriger Syrer, der 2016 nach Deutschland kam, hat erfolgreich einen Bachelor und Master in Nordrhein-Westfalen abgeschlossen und arbeitet als IT-Fachkraft – verlässt aber nun Deutschland in Richtung Schweiz. "Ich habe hier Topleistungen gebracht, aber mich dennoch diskriminiert gefühlt", erzählt er. Trotz seiner Qualifikationen erhielt er kein passendes Jobangebot. "Ich möchte auf Augenhöhe behandelt werden, ohne darum kämpfen zu müssen."

Susanne Schultz betont, dass solche Fälle keine Ausnahme seien: "Deutschland kann sich das nicht leisten." Sie fordert mehr Anstrengungen bei der Rekrutierung internationaler Fachkräfte und den Abbau bürokratischer Hürden.

Arbeitskräftemangel mit regionalen Unterschieden

Die Studie prognostiziert einen Bedarf von jährlich 288.000 internationalen Arbeitskräften bis 2040. Ein weiteres Modell rechnet sogar mit 368.000 Fachkräften jährlich. Ab 2041 könnte der jährliche Bedarf aufgrund positiver Effekte aus vorheriger Zuwanderung auf durchschnittlich 270.000 Personen sinken.

Ohne Zuwanderung würde die Zahl der Erwerbstätigen von derzeit 46,4 Millionen auf 41,9 Millionen fallen – ein Rückgang um 10 Prozent. Regional gäbe es Unterschiede: Nordrhein-Westfalen würde mit einem Minus von 10 Prozent im Mittelfeld liegen, während Bundesländer wie Thüringen, Sachsen-Anhalt und das Saarland stärker betroffen wären. Auch in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen wäre der Bedarf ohne Zuwanderung groß.

Arbeitsmarkt: Zuwanderung und die wachsende Bedeutung von Drittstaaten

Die Nettozuwanderung aus EU-Staaten ist stark gesunken und wird laut Studie zukünftig nur eine geringe Rolle spielen. Drittstaaten gewinnen daher an Bedeutung. Im Jahr 2023 kamen etwa 70.000 Fachkräfte aus Drittstaaten nach Deutschland, während 20.000 das Land wieder verließen. Laut Schultz liegt dies unter anderem an Problemen mit Aufenthaltstiteln und Diskriminierungen.

"Deutschland hat ein sehr liberales Einwanderungsgesetz, das aber besser umgesetzt werden muss", erklärt Schultz. Bürokratische Hürden und Personalengpässe in den Ausländerbehörden seien Herausforderungen. Auch ein kultureller Wandel sei nötig, hin zu einem aktiven Willkommen. Gleichzeitig gebe es positive Beispiele, die zeigen, dass Fachkräfte aus Drittstaaten erfolgreich integriert werden können.

Diskriminierung vor allem in gehobenen Berufen ein Problem

Die Studie unterstreicht, dass erfolgreiche Zuwanderung nicht nur den Arbeitsmarkt entlastet, sondern auch die Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung fördert. Dennoch gibt es Benachteiligungen, insbesondere in akademischen Berufen. Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erklärt: "Je höher die angestrebte Position, desto größer sind die Vorbehalte."

Dies betreffe vor allem Berufe wie Lehrer, Professoren oder Richter. "Interessanterweise sind diese Fachkräfte meist gut integriert, berichten aber dennoch häufig von Diskriminierung", so Brücker. Studien zeigen, dass viele Menschen zwar Migranten als Kollegen akzeptieren, sie jedoch als Vorgesetzte ablehnen.

Herkunft spielt eine entscheidende Rolle

Brücker hebt hervor, dass nicht alle Zuwanderer gleichermaßen von Diskriminierung betroffen sind. Während Menschen aus Ländern wie Österreich oder der Schweiz kaum Vorbehalte erleben, sehen sich Fachkräfte aus der Türkei, dem Nahen Osten oder Schwarzafrika deutlich häufiger Diskriminierung ausgesetzt. Dies sei jedoch kein rein deutsches Phänomen, sondern auch in anderen Ländern wie der Schweiz oder den USA verbreitet.

In der Schweiz sei es allerdings normaler, dass Ausländer auch Spitzenpositionen einnehmen. Der 29-jährige IT-Experte, der nun in der Schweiz arbeitet, zieht ein positives Fazit: "Ich fühle mich respektiert und hatte hier sofort berufliche sowie private Angebote. Das macht einen Neustart leicht."

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