Politik

Streit um Fliegerhorst Holzdorf in Brandenburg: Wie das BSW zur Gefahr für die deutsche Sicherheit wird

Lesezeit: 5 min
27.11.2024 16:01  Aktualisiert: 27.11.2024 16:01
Als Sahra Wagenknecht nach den Landtagswahlen im Osten damit anfing, bundespolitische Sicherheitsthemen in den Mittelpunkt ihrer Programmatik zu stellen, war eigentlich klar, was das BSW im Schilde führt – die Schwächung der Bundeswehr. Jetzt hat das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei den Koalitionshandlungen in Brandenburg die nächste Katze aus dem Sack gelassen: Der Fliegerhorst Holzdorf droht ein Dauerbrenner zu werden, sicherheitspolitischer Stress ist programmiert – auch wenn die Koalition aus SPD und BSW jetzt zu stehen scheint.
Streit um Fliegerhorst Holzdorf in Brandenburg: Wie das BSW zur Gefahr für die deutsche Sicherheit wird
Links Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, rechts Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, machen Selfies vor einem Kampfflugzeug vom Typ F-35 Raptor am Fliegerhorst Holzdorf (Foto: dpa).
Foto: Frank Hammerschmidt

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Fliegerhorst Holzdorf ETSH: Zankapfel zwischen SPD und BSW

Als Sahra Wagenknecht nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg anfing, bundespolitische Sicherheitsthemen wie die Stationierung von US-Raketen zu diskutieren, schwante Verteidigungsexperten bereits, was da wohl noch kommen könnte. Brandenburgs Dietmar Woidke (SPD) indes hat scheinbar gar nichts bemerkt und sah sich in den vergangenen Tagen deshalb ganz unvermittelt mit dem nächsten Schikanierzwickel Wagenknechts konfrontiert. Es geht um den Fliegerhorst Holzdorf in Brandenburg mit dem ICAO-Flugplatzcode ETSH. Die Sache schmeckt offenkundig weder dem BSW – noch den Russen.

SPD und BSW waren gerade im Begriff zum Endspurt bei ihren Koalitionsverhandlungen anzusetzen. Da polterte der BSW-Hinterbänkler Sven Hornauf in einem Interview los, er wolle nicht für den Ministerpräsidenten Dietmar Woidke stimmen – wegen dem Holzdorf-Fliegerhorst. Der Landtagsabgeordnete versuchte über Tage den von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) geplanten Ausbau des Bundeswehr-Flugplatzes Holzdorf im Süden Brandenburgs zu verhindern. Über seine Motivation muss man nicht lange rätseln: Wahrscheinlich wollte Hornauf der Galionsfigur seiner Partei gefallen – alles für Sahra!

„Wer die Aufstellung der Arrow 3 in Brandenburg unterstützt, kriegt meine Stimme nicht“, drohte Hornauf ultimativ. Viele haben zunächst gar nicht recht verstanden, worum es dem BSW-Wüterich überhaupt geht. Bis sie endlich mal am Laptop gegoogelt haben und schnell herausfanden, dass es sich bei Arrow 3 um Raketen handelt. Teufelszeug der Amerikaner? Mitnichten, sie stammen aus Israel, wo sie das seit seiner Gründung angefeindete Land vor seinen aggressiven Nachbarn schützen. Und warum sollen die nicht in Brandenburg stationiert werden, wo sie zum Beispiel die Bundeshauptstadt schützen?

Luftverteidigungsschirm für die Hauptstadt? Für BSW bleibt Rakete trotzdem Rakete

Es geht um ein Raketenabwehrsystem, das von Holzdorf u. a. in Berlin das Regierungsviertel gegen Angriffe schützen soll. Doch für Hornauf bleibt Rakete halt Rakete. Verwirrend, dass er öffentlich bekannte: „Ich bin nicht gegen den Bundeswehrstandort, auch nicht gegen die Ansiedlung der Chinook-Staffel (Helikopter) oder die Hawk-Raketen.“ Doch Arrows, nein danke!

Vier Milliarden Euro lässt es sich die Bundesregierung kosten, das von Israelis ausgeklügelte Abwehrsystem zu erwerben. Nicht wenige Verteidigungsexperten bezeichneten es als Glücksfall, dass Deutschland als Freund Israels überhaupt in den Genuss der mehr als anspruchsvollen Wehrtechnik aus Nahost kommt. Die Arrows (Pfeile) gelten geradezu als „State of the Art“ und Wunderwaffe zum Schutz gegen Luftschläge. Mit dem System soll ein weiterer Pfeiler des Nato-Schutzschildes über Europa errichtet werden – um weitreichend auf alle Risiken vorbereitet zu sein.

Arrow 3 - defensive Wunderwaffe aus Israel, für die Deutschland dankbar sein sollte

Bislang hat Deutschland nichts Vergleichbares im Portfolio. Die Israelis haben das System eigens entwickelt, um gegen iranische Angriffe mit Mittel- und Langstreckenwaffen gewappnet zu sein. Arrow 3 sind womöglich bald auch unser bester Schutz gegen Atomsprengköpfe – etwa aus Russland. Und genau das scheint der „Casus knacksus“ zu sein – für BSW-Mann Hornauf und vor allem Sahra Wagenknecht.

Das Abwehrsystem kann feindliche Raketen bereits in der Erdatmosphäre und selbst oberhalb zerstören. Klingt futuristisch – wie Krieg der Sterne. Und schon damit werden in gewissen Kreisen Impulse getriggert. Neue schwere US-Transporthubschrauber vom Typ Chinook sind gleichfalls geordert und sollen hier stationiert werden. Das Gesamtpaket macht den Fliegerhorst Holzdorf, unweit der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt gelegen, im Verteidigungsgefüge Deutschlands unentbehrlich. Beim Tag der offenen Tür im Sommer schossen Dietmar Woidke und sein CDU-Amtskollege aus Magdeburg, Reiner Haseloff, noch kräftig Selfies und sonnten sich in der Volksfeststimmung der Besucher.

Fliegerhorst Holzdorf: Peinlich, wie hinter den Kulissen um Dinge gerungen wird, die mit Landespolitik nichts zu tun haben

So was kommt von so was. Zur Erinnerung: SPD und BSW hatten sich in ihren Sondierungsgesprächen auf Geheiß Wagenknechts auf die Formel verständigt, „dass für Frieden und Sicherheit die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes von großer Bedeutung ist und die Fähigkeit der Bundeswehr zur Verteidigung gestärkt werden muss“. Auch der Satz „Deswegen stehen wir zur Bundeswehr und ihren Brandenburger Standorten“ ist ausdrücklich enthalten. Weshalb dem sonst so pragmatischen BSW-Landesvorsitzenden Robert Crumbach die Sache mit Hornauf, dem Platz 8 der Landesliste, ziemlich peinlich ist.

Crumbach hat immerhin versucht, den offenen Konflikt um Verteidigungsfragen noch rechtzeitig abzubiegen und zu entschärfen. Eine geplante Anfrage aus der Brandenburger BSW-Landtagsfraktion zum Fliegerhorst Holzdorf wurde sogar eigens zurückgezogen. Die Sache werde, hoffte Crumbach, sowieso durch eine Anfrage der BSW-Bundestagsgruppe geklärt. Der Streit in Potsdam sei mithin völlig unnütz und entbehrlich.

Deshalb „haben unsere Abgeordneten gesagt, dann brauchen wir die Kleine Anfrage nicht“, hieß es im Parteivorstand. Bloß kein Drama bei den Koalitionsverhandlungen – so kurz vor deren Abschluss und der Posten-Verteilung zwischen SPD und BSW. Leises Aufatmen auch bei der SPD. „Die Kleine Anfrage gibt es nicht mehr. Mehr braucht man dazu nicht zu sagen“, hoffte SPD-Generalsekretär David Kolesnyk – womöglich sehr verfrüht. Denn irgendwer im BSW kann es einfach nicht sein lassen, in der Sache weiter zu sticheln und künftige Konflikte zu provozieren. Hornauf bleibt offenkundig uneinsichtig. Und er ist womöglich nicht der einzige unsichere Kantonist.

Tatsächlich verlangten nämlich gleich sechs Abgeordnete Auskunft, wie die SPD-geführte Landesregierung unter Dietmar Woidke in die Entscheidung der Bundesregierung eingebunden war. Dass der Standort Holzdorf einer der wenigen neuen Vorzeige-Standorte der Bundeswehr bundesweit ist, passt bei der BSW offenbar vielen nicht. Ausbau zum Raketenstandort, das geht dem Kreml zu weit. Bislang dient der Fliegerhorst Holzdorf in erster Linie dem Nachschub und Transport.

Streit köchelt weiter: Holzdorf soll einer der größten Nato-Luftwaffenstützpunkte werden

Die dort stationierten Bundeswehr-Soldaten helfen (wie sonst nur die Luftwaffenbasis Wunstorf in Niedersachsen) als Transport-Hub bei der Unterstützung der Ukraine-Hilfe. Entsprechend dringen die BSW-Bedenkenträger auch auf Erörterung der Frage, inwieweit der Luftwaffen-Standort im Elbe-Elster-Keis bei Schönewalde im Süden Brandenburgs (ICAO-Code: ETSH) im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes Ziel gegnerischer Luftschlägen werden könnte. Zumal, wenn Holzdorf, wie geplant, zu einem der größten Luftwaffenstützpunkte der Nato ausgebaut und aufgewertet werden soll. Undenkbar für den von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht eingeschworenen Putin-Freundeskreis.

Mitte der Woche wurde vom BSW erst einmal beteuert, der Koalitionsvertrag mit der SPD sei unterschriftsreif. Der Wahl Dietmar Woidkes zum Ministerpräsidenten am 11. Dezember stehe nichts im Wege. Inhaltlich seien die Streitpunkte ausgeräumt. Wobei Crumbach einschränken musste, dass er nicht wisse, wie Hornauf letztlich abstimmen wird.

Überzeugen konnte er den Abweichler offensichtlich nicht. Crumbach behauptet, die absolute Mehrheit sei auch ohne den Abgeordneten aus Frankfurt/Oder gesichert. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Denn es könnten sich durchaus noch weitere Schläfer unter den 14 Abgeordneten seiner Fraktion verstecken. Ein Eklat kurz vor Weihnachten ist längst nicht ausgeschlossen. Dass Wagenknecht in erster Linie die Disruption antreibt, gilt nach dem aufgeflammten Streit um Holzdorf jedenfalls als erwiesen. Die Sache köchelt vorübergehend nur auf kleinerer Flamme. Dass der Nato-Standort ein Dauerbrenner bleibt, dürfte als sicher gelten.

Warum es bei der Wahl des Ministerpräsidenten am 11. Dezember zum Eklat kommen könnte

Am 11. Dezember soll Dietmar Woidke gewählt werden. 45 Stimmen sind bei insgesamt 88 Sitzen im Potsdamer Landtag erforderlich. 46 Stimmen bringen SPD (32) und BSW (14) gemeinsam auf die Waage – aber nur, wenn Vernunft einkehrt und die Ideologie daheim im Saarland bleibt. Drei Ministerien soll die BSW in Potsdam erhalten – Finanzen, Infrastruktur sowie Arbeit/Soziales. Für die Landesverteidigung sind sie noch nicht zuständig. Allerdings fühlen sie sich dazu jederzeit berufen.

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.


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