Panorama

Erinnerungen einer Bardame: In den Angela-Merkel-Memoiren geht es um Vergangenheit und persönliche Erlebnisse

In ihren neuen Memoiren gewährt Angela Merkel überraschende Einblicke in ihr Privatleben und ihre politischen Jahre. Von ihrer Zeit als Bardame bis zu persönlichen Erlebnissen als Kanzlerin, erfahren Leser mehr über die Frau hinter der politischen Ikone. „Freiheit. Erinnerungen 1954 - 2021“ gibt einen außergewöhnlichen Blick auf die ehemalige CDU-Vorsitzende.
27.11.2024 17:42
Aktualisiert: 27.11.2024 17:48
Lesezeit: 5 min
Erinnerungen einer Bardame: In den Angela-Merkel-Memoiren geht es um Vergangenheit und persönliche Erlebnisse
Angela Merkel gewährt in ihren neuen Memoiren intime Einblicke in ihr politisches und persönliches Leben. (Foto: dpa) Foto: Leonie Asendorpf

Ihr Privatleben hielt die frühere Kanzlerin Angela Merkel stets unter Verschluss. In ihren Memoiren gibt sie nun jedoch einige persönliche Einblicke, die bislang kaum bekannt waren.

Angela-Merkel-Memoiren: Einblicke in ihr Leben

Bouletten, Bärenfleisch und ein paar starke Männer. Wer die rund 740 Seiten von Angela Merkels Memoiren durchliest, findet neben ihrem politischen Erbe auch kleine Details, die den Menschen Merkel greifbar machen. Ein besonderes Augenmerk wird auf die wichtige Rolle ihrer Vertrauten und Co-Autorin Beate Baumann gelegt, die im politischen Leben der 70-Jährigen eine zentrale Rolle spielt. Am Dienstagabend wird Merkel ihr Buch mit dem Titel "Freiheit. Erinnerungen 1954 - 2021" im Deutschen Theater in Berlin vorstellen, moderiert von der Journalistin Anne Will.

Private Einblicke in Merkels Vergangenheit

Bardame in der Studentenzeit

Merkel bezeichnet sich zwar selbst als solche. Doch eine anrüchige Vergangenheit hat sie nie verheimlicht. Sie erzählt, dass ihre Seminargruppe beim Physikstudium in Leipzig regelmäßig in den Fluren der Hochschule eine Disco organisierte. "Für den Verkauf der Getränke war ich zuständig, ich arbeitete also in gewisser Weise als Bardame. Das machte mir viel Freude und brachte auch noch etwas zusätzliches Geld ein", so Merkel.

Das Hausbesetzersyndrom

Es war nur eine leere Wohnung, doch Merkel besetzte sie tatsächlich. Und so kam es dazu: Im Frühjahr 1981 trennte sich die spätere Kanzlerin von ihrem ersten Ehemann Ulrich Merkel und zog zunächst bei einer Kollegin ein. Ein Bekannter gab ihr den Tipp, dass in der Templiner Straße in Berlin eine Wohnung leer stand. "Freunde redeten mir zu, diese Wohnung zu besetzen. Das fiel mir alles andere als leicht, aber ich hatte keine Wahl; ich konnte nicht unendlich lange bei meiner Kollegin wohnen und musste etwas tun." Es war kein luxuriöses Leben, doch "meine Möbel holte ich mir im Wesentlichen vom Sperrmüll und strich sie ein wenig an. Ich schlief auf Holzpaletten, auf die ich eine Matratze legte. Das Wohnniveau war überaus bescheiden, trotzdem fühlte ich mich wohl."

Merkel fragte die Nachbarn, wie viel sie an Miete zahlten, und überwies diesen Betrag an die Kommunale Wohnungsverwaltung. "Niemand verweigerte die Annahme des Geldes." Später versuchte sie, das illegale Mietverhältnis zu legalisieren – was sich jedoch nicht als einfach herausstellte, aber schließlich auf Umwegen gelang.

Merkel und ihr Ehemann Joachim Sauer

Über ihren zweiten Ehemann Joachim Sauer berichtet Merkel: "Wir liebten und lieben beide die Natur und das Reisen. Über ihn lernte ich die Musik von Richard Wagner erst richtig kennen und verstehen." Der Zeitpunkt ihrer Hochzeit hatte auch eine politische Dimension. "In konservativen Kreisen meiner Partei gab es seit 1990 immer wieder Kritik daran, dass ich als geschiedene Frau in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft lebte. Da ich jeden Eindruck vermeiden wollte, dass ich aus Karrieregründen heiratete, hatten Joachim und ich mit diesem Schritt gewartet, bis die CDU in der Opposition war." Nach der Bundestagswahl 1998 war es schließlich so weit. "Am 30. Dezember 1998 heirateten wir."

Bouletten und Kartoffelsalat

Ihren ersten Tag als Kanzlerin beendete Merkel am 22. November 2005 mit einer Runde, in der bei der Kanzlerküche Würstchen, Kartoffelsalat, Bouletten und Getränke serviert wurden. Auch nach dem Großen Zapfenstreich am 2. Dezember 2021, als sie als Kanzlerin verabschiedet wurde, fand ein solches Treffen statt: "Wie sechzehn Jahre zuvor gab es Würstchen, Bouletten und Kartoffelsalat", schreibt Merkel. "Ein Kreis schloss sich."

Suppe und Bärenfleisch: Erinnerungen an die Amtszeit

Als Kanzlerin erinnerte sich Merkel auch an Zeiten, in denen sie nach Auslandsreisen oder langen Sitzungen "wunderbar eine Hühner-, Kartoffel- oder Linsensuppe" aß. Besonders prägend war für sie jedoch ein Ereignis während deutsch-russischer Gespräche in April 2006 in Tomsk, Russland. Sie erzählt von einem Festmahl, bei dem sie zwischen einem klassischen Steak und Bärenfleisch wählen konnte. Sie entschied sich für das "Abenteuer" und fand, dass das Bärenfleisch "sehr gut, kräftig und wie Wild" schmeckte.

Weniger Exotisches aus der Kindheit

In ihrer Kindheit war das Essen deutlich weniger exotisch. "Der Unterricht begann um halb acht. Ich stand gegen 6.15 Uhr auf, das Frühstück bestand nur aus einer Stulle in der Hand und einer Tasse Tee oder Muckefuck, zum Hinsetzen blieb keine Zeit", erinnert sich Merkel an ihre Tage im elterlichen Pfarrhaus. "Um achtzehn Uhr gab es Abendessen, zumeist Stullen, manchmal aber auch Griesbrei mit Kirschen oder Blaubeeren."

Schulzeit und einfache Stullen

In ihrer Schulzeit war das Frühstück bescheiden: „Der Unterricht begann um halb acht. Ich stand gegen 6.15 Uhr auf, das Frühstück bestand nur aus einer Stulle in der Hand und einer Tasse Tee oder Muckefuck“, beschreibt Merkel ihre Kindheit im Pfarrhaus.

Fußball und öffentliche Auftritte

Merkel, die als Kanzlerin regelmäßig bei Länderspielen anwesend war, erzählt von ihrer Liebe zum Fußball. "Ich mochte Fußball schon immer", schreibt sie. Bei Spielen konnte sie oft schon zu Beginn ahnen, ob es an diesem Tag mit einer Mannschaft etwas werden würde, so die Altkanzlerin.

Merkels Verhältnis zu Friedrich Merz

Friedrich Merz, der heutige CDU-Vorsitzende, taucht in Merkels Memoiren in mehreren Passagen auf. Sie schildert knapp die Situation, als sie Merz nach der Bundestagswahl 2002 mitteilte, dass sie ihn vom Vorsitz der Unionsfraktion verdrängen werde: "Friedrich Merz war tief getroffen." Merkel beschreibt ihn als "brillanten Redner", merkt aber an, dass beide von Anfang an den Wunsch hatten, Chef zu werden.

Das Geheimnis der Frisur

Merkel spricht offen über die Bedeutung ihres öffentlichen Aussehens. „In unzähligen Stunden stand mir meine Visagistin zur Seite – bis heute“, berichtet sie über die Zusammenarbeit mit Petra Keller, die ihr half, ihre Frisur zu stylen.

Merkels Vorliebe für farbenfrohe Blazer

Einige Erlebnisse aus ihren Jahren in der DDR begleiten Merkel bis in die Gegenwart. Der Osten habe nach Scheuermitteln, Bohnerwachs und Terpentin gerochen, beschreibt sie. Diesen Geruch habe sie noch immer in der Nase. "Die offizielle DDR war für mich insgesamt die Inkarnation der Geschmacklosigkeit. Statt echter, natürlicher Materialien gab es nur Imitate, und lebendige Farben waren kaum zu finden." Diese Eindrücke hätten Spuren hinterlassen: "Vielleicht erklärt sich meine heutige Vorliebe für farbenfrohe Blazer aus der Erfahrung, dass ich im DDR-Alltag oft kräftige Farben vermisste."

„Kayros“ – der Gott der günstigen Gelegenheit

Unter dem Titel "Runter vom Platz" erzählt Merkel von einer kleinen Skulptur des Bildhauers Thomas Jastram, die sie 2019 erwarb. Sie habe das Kunstwerk in Luftpolsterfolie verpackt auf einem Regal in ihrem Büro abgestellt, das für Besucher nicht einsehbar war. Ihr Plan war es, die Figur irgendwann in ihrem Altkanzlerinnenbüro sichtbar zu platzieren, "also erst nach meiner Amtszeit für alle zugänglich zu machen, bis dahin blieb sie verpackt und versteckt auf dem Regal".

Die 42 Zentimeter hohe Bronze-Skulptur von Jastram, die 2017 geschaffen wurde und den Namen "Kayros" trägt, stellt den Gott der günstigen Gelegenheiten dar. "Kayros" sei für sie wie geschaffen gewesen. "Zum richtigen Zeitpunkt hatte ich losgelassen", schreibt Merkel und erklärt die Beweggründe für ihre Entscheidung, im Dezember 2018 nicht erneut als Parteichefin zu kandidieren und bei der Bundestagswahl 2021 nicht wieder als Kanzlerkandidatin anzutreten.

Zittern bei der Nationalhymne

Merkel spricht offen über ein Phänomen, das gegen Ende ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft für Schlagzeilen und Spekulationen sorgte. Kurz vor dem Ende der militärischen Ehren während des Antrittsbesuchs des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Berlin am 18. Juni 2019 begannen ihre Oberschenkel leicht zu zittern. Während der Nationalhymne breitete sich das Zittern über ihren gesamten Körper aus. Einige Tage später wiederholte sich "dieser Vorgang". Bei ähnlichen Gelegenheiten hörte sie die Nationalhymne später nur noch im Sitzen.

Neurologisch und internistisch gab es keine Befunde, berichtet die Physikerin sachlich. "Die Reaktion meines vegetativen Nervensystems war offensichtlich anders zu deuten." Eine Osteopathin erklärte ihr, "dass mein Körper Spannungen abbaute, die er über längere Zeit aufgebaut hatte – nicht nur nach dem Tod meiner Mutter im Frühjahr, als ich kaum Zeit zum Trauern fand, sondern auch im Prozess des Loslassens meiner Ämter." Den Absatz beendet Merkel mit einem für sie typischen Satz: "Eigentlich also eine gute Nachricht – wenn mein Körper sich nur nicht dazu entschlossen hätte, diesen Prozess vor den Augen der Öffentlichkeit abzuwickeln."

Politische Reflexionen

Im Nachwort teilt Merkel eine Erkenntnis, die ihr beim Schreiben bewusst wurde. Heute fällt es ihr schwer, manchen Politikern zuzuhören, "weil sie viel reden, aber wenig sagen". Früher habe sie oft genauso gehandelt. Gerade jungen Politikerinnen und Politikern wolle sie jedoch "den Mut machen, weniger Angst zu haben, auf konkrete Fragen auch konkrete Antworten zu geben". Dies sei besonders wichtig in Zeiten, "in denen durch digitale Möglichkeiten und soziale Medien Wahrheiten als Lügen und Lügen als Wahrheiten bezeichnet werden können, was von führenden Persönlichkeiten in Demokratien ausgenutzt wird".

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