Politik

Bundestagswahl: Merz und sein Netzwerk - wie der CDU-Politiker auf dem Weg zur Kanzlerschaft allen Fallstricken ausweicht

Die SPD glaubt, Friedrich Merz als Gefahr für Deutschland in die Ecke stellen zu können. Er habe, anders als Bundeskanzler Olaf Scholz keine Erfahrungen, habe nie in der Verwaltung gedient, niemals bewiesen, dass er als Bürgermeister, Landrat oder Ministerpräsident widerstreitende Interessen zusammenführen kann. Ob diese Strategie wirklich verfängt, erscheint fraglich. Viele wünschen sich jemanden im Amt, der nicht im Parteien-Filz verstrickt ist, sondern als Manager Verantwortung übernimmt. Frischen Wind, nennt man das. Merz ist kein Novize und gut aufgestellt.
28.11.2024 11:01
Lesezeit: 7 min
Bundestagswahl: Merz und sein Netzwerk - wie der CDU-Politiker auf dem Weg zur Kanzlerschaft allen Fallstricken ausweicht
Netzwerker nicht nur im Sauerland: Friedrich Merz (CDU) auf dem Balkon der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft zum Empfang der „Sauerländischen Botschaft“, einem Netzwerk von Unternehmern, Persönlichkeiten und Institutionen der Heimat von Merz. (F.: dpa) Foto: Britta Pedersen

Die Sache mit Merkels Memoiren ist überraschend glimpflich abgelaufen für Friedrich Merz. Die Ex-Kanzlerin hat zwar Störsignale in Sachen Schuldenbremse ausgestrahlt bei ihrer Buch-Präsentation mit Anne Will im Deutschen Theater. Doch dieses Thema wird Merz wohl höchstselbst schon bald relativieren. Der CDU-Chef weiß genau, dass (ohne Sonderanstrengungen) die Konjunktur weiter vor sich hin stottert, die Kiste nicht anspringt - ganz egal, ob Deutschland nun mit Verbrenner oder im E-Auto vorfährt.

Wichtig war, was Angela Merkel zur persönlichen Eignung des Kanzlerkandidaten der Union, gesagt hat: Ja, er habe das politische Rüstzeug zur Führung - den gleichen Ehrgeiz und eisernen Willen, den sie hatte, als sie 2002 den damaligen Fraktionschef Merz auf dem Weg ins Kanzleramt beiseite schob.

Auf die explizite Frage von Moderatorin Anne Will, ob Merkel Merz die Kanzlerschaft gönne, antwortete Merkel klar mit einem laut vernehmlichen „Ja“. „Man braucht diesen unbedingten Willen zur Macht. Friedrich Merz hat den auch. Und deshalb gönne ich es ihm“, bekannte die frühere Bundeskanzlerin, auch wenn sie in vielen Dingen - etwa bei der Migration - anderer Meinung sei.

Wer noch die Worte der SPD-Parteispitze im Ohr hat, als Anfang der Woche sich endlich Olaf Scholz gegen alle partei-internen Widerstände durchsetzte, ahnt, dass die Taktik, Merz als Anfänger darzustellen und Dilettanten keine Wählerstimmen bringen wird. Ganz im Gegenteil: Dinge neu denken und andere Wege zu beschreiten, gehören zu den unabdinglichen Managementfähigkeiten nun einmal dazu. Merz weiß, wie Wirtschaft funktioniert.

Besser gut vernetzt und von Experten umgeben, als stur nur auf das Bauchgefühl hören

Wenn man derzeit den Blick in die USA richtet, wünscht man sich geradezu, dass ein Staatsoberhaupt nicht besserwisserisch agiert, stur und beratungsresistent. Gut beraten, von einem engen Kreis bewährter Fachmänner unterstützt, sollte ein Kanzler seine Entscheidungen treffen. Wo ist der Unterschied zwischen Donald Trump und Olaf Scholz etwa bei der Ukrainehilfe, wo der Kanzler sich von Gefühlen leiten lässt, statt den Experten zuzuhören. Das ist auch nicht sehr viel anders, als Trump der seinen Instinkten folgt und rücksichtslos die Dinge durcheinander wirbelt.

Wer also sind die Leute, die Merz beraten, denen der CDU-Parteichef - bei Rat und Tat - bei Wohl und Wehe vertraut. Ihn als Outsider anzusehen, der politisch unerfahren sei, wie die SPD es suggerieren möchte, übersieht, wie sich der Sauerländer (seit dem Showdown mit Angela Merkel) nicht etwa schmollend zurückgezogen hat aus der Politik, sondern ein einflussreiches Netzwerk gestrickt hat - für den Tag X.

Wie Merz von langer Hand und hintersinnig ein Netzwerk für Tag X hinter sich versammelt hat

Weggefährten und auch Mitarbeiter aus seiner Zeit in der früheren CDU-Fraktion, vor 2009, als Merz vorübergehend sein Bundestagsmandat bis 2018 abgegeben hat, berichten, dass sie immer wieder von ihm eingeladen wurden. Er hält den Kontakt, wohlwissend und womöglich etwas hintersinnig, dass er die Mannschaft noch einmal brauchen wird - eines lieben Tages. Die Rede ist von einem Kreis von zwei Dutzend Leuten, die sich immer wieder in Düsseldorf, irgendwo im Umland Berlins oder gar in Arnsberg, der Heimat von Friedrich Merz, verabredet haben.

Merz hat viele Verbündete. Und steht deshalb heute öffentlich besser da als Angela Merkel, die seit ihrem Ausscheiden nicht mal mehr Parteifreunde kennt. Selbst die Jungen in seiner Partei können mit Merz - für ein Urgestein der CDU rockt er noch und kommt vergleichsweise jugendlich rüber.

Einer der Insider im Team Merz ist Michael Eilfort, der schon anno 2000 das Büro leitete, als Merz seinen Vorgänger Wolfgang Schäuble in der CDU-Fraktion abgelöst hat. Der 61-jährige Politikwissenschaftlicher aus Kiel gilt als „wirtschaftspolitisches Gehirn“ und steckt (wie dereinst bei der Sache mit der Steuer und dem Bierdeckel) als Stichwortgeber den wirtschaftsliberalen Kurs für Merz ab. Zusammen mit dem Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen aus Freiburg arbeitet Eilfort an neuen Konzepten der Stiftung Marktwirtschaft. Dort wird nach Wegen hin zu einem schnellen Aufschwung gesucht, Vorschläge für eine Strukturformel gesammelt und Ludwig Erhards soziale Marktwirtschaft auf seinen Kern zurecht gestutzt - ohne gleich wie Elon Musk in den USA alles auf den Kopf stellen zu wollen. Wie eng Eilforts Kontakt zu Merz ist, zeigt sich an dessen Büroleiterin im Konrad-Adenauer-Haus - Barbara Götze leitet dort das Büro des CDU-Vorsitzenden, die Ehefrau Eilforts.

„Ich kann Kanzler“ - das Büro Merz leitet wahrhaft der Gewinner jener Casting-Show im ZDF

Und dann gibt es seit der neuen Amtszeit im Deutschen Bundestag auch frischen Wind im Berliner Fraktions-Büro. Jacob Schrot ist Politikwissenschaftler, nicht einmal Mitte 30, dient seit 2021 in der CDU-Parteizentrale und ist nun als Büroleiter außenpolitischer Ratgeber von Merz. Schrot ist Gründer und Ehrenvorsitzender der Initiative junger Transatlantiker und konnte bereits zu Merkels Zeiten als Mitarbeiter im Kanzleramt und im Wahlkampf-Team Armin Laschets Erfahrungen sammeln. Bemerkenswert ist, dass es sich beim „fleißigen Jacob“, wie Schrot wegen seiner „Erfahrung im Maschinenraum der Macht“ genannt wird, um exakt jenen jungen Mann handelt, der 2009 als erst 18-Jähriger die politische Casting-Show „Ich kann Kanzler“ im ZDF gewonnen hat und sich in der ersten TV-Staffel gegen 2.500 junge Leute durchsetzen konnte. Jacob Schrot, in Brandenburg an der Havel aufgewachsen, gewann einst mit 72,6 Prozent der Stimmen. Moderiert wurde die Sendung von Merkels späterem Regierungssprecher Steffen Seibert - Anke Engelke, Günther Jauch und Bremens früherer Erster Bürgermeister Henning Scherf saßen damals in der Jury. Wenn das kein Gewinner ist, den Merz da angeheuert hat!

Bei Statistiken, Trends und Zahlen behält indessen Renate Köcher für Friedrich Merz den Überblick - die Chefin des Meinungsforschungsinstituts für Demoskopie IfD Allensbach. Sie weiß wie kaum sonst wer im Lande, wie die Deutschen und damit die Wähler ticken - und wo überall die Fettnäpfchen in der öffentlichen Wahrnehmung lauern. Köcher war so schlau und weitsichtig, Merz beim innerparteilichen Wettbewerb gegen den NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst zu beschwichtigen und auf die Erfolgsspur zu lotsen. Auch in Sachen Europa und Amerika hilft sie Merz, den Fokus zu bewahren. Ihr Kompass manövriert den Wirtschaftskonservativen durch die Untiefen von Politik und Ökonomie.

Wo schon Adenauer Hof hielt, verhandeln Wirtschaft und Politik die soziale Marktwirtschaft

Nicht zu unterschätzen ist ein Name, den fast nur Insider des Partei-Establishments kennen. Die Rede ist von Christoph Brand, der als Student anno 1985 mal als Bundesvorsitzender den einst mächtigen RCDS angeführt hat - den Ring Christlich-Demokratischer Studenten. Wann hat man davon seit Merkels Zeiten im Kanzleramt je wieder Maßgebliches vernommen? Brand ist immer noch höchst aktiv und bestens vernetzt, wenn auch als eher scheues Reh in Wirtschaftskreisen unterwegs. Brand logiert am sicherlich idyllischen Ort der Parteigeschichte - in Cadenabbia, dem einstigen Feriendomizil Konrad Adenauers am Comer See. Der Jurist hat eine ähnliche Vita wie Merz. Während Merz für die Vermögensverwaltung Blackrock tätig war, ist Brand bei Goldman Sachs für Geschäfte im öffentlichen Sektor verantwortlich gewesen.

In Norditalien, unweit der Schweizer Grenze, leitet Brand mittlerweile für die Konrad-Adenauer-Stiftung die Sommerresidenz Villa La Collina - eine Akademie für Tagungen und Seminare, von der es bedeutungsschwer heißt: „Politik trifft Wirtschaft!“

Auch Strippenzieher von anno dazumal spielen im Merz-Kosmos wieder eine gewichtige Rolle. Roland Koch, der ehemalige CDU-Ministerpräsident von Hessen, ebenfalls ein prominentes Opfer Angela Merkels, gilt als Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stifung immer noch als „Einflüsterer der Union“. Es heißt, Roland Koch sei es gewesen, der Merz beschworen hat, Carsten Linnemann für Mario Czaja als Generalsekretär einzuwechseln. Linnemann lebt, nicht weit weg von Merz und somit für vertrauliche Rücksprachen greifbar, gleichfalls im Sauerland und hat sich hinreichend das Chef der Mittelstandsvereinigung bewährt. Zusammen mit Bundesgeschäftsführer Philipp Birkenmaier sitzt Linnemann in der Schaltzentrale der Partei, wo sie in Teamleistung nicht nur das neue Grundsatzprogramm der CDU geschrieben worden, sondern auch der Apparat sind, der bei Interviews und Auftritten der Parteispitzen die Sprachregelung justiert und auswertet und so Merz vor peinlichen medialen Aussetzern zu bewahren hilft.

Seit dem Wechsel in der Parteizentrale sitzen auch die Presseerklärungen besser, kommen die politischen Angriffe in Talkshows und auf Podiumsveranstaltungen nicht mehr altklug und besserwisserisch, sondern zuvörderst konstruktiv herüber.

Freundlich, aber bestimmt: Die neue Wunderwaffe, wenn es um Sicherheit und Innenpolitik geht

Auch der stets angriffslustige Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn gehört zum inneren Kreis, auf den sich Merz verlässt. Als eine Art Geheimwaffe ist in jüngster Zeit vor allem Thorsten Frei, früher einmal Oberbürgermeister von Donaueschingen, hinzugestoßen, der sich immer mehr im Fernsehen als das freundliche, aber bestimmte Gesicht der CDU in Sicherheits- und innenpolitischen Fragen profiliert. Vor allem scheint er als Mann des deutschen Südens, der den kurzen Draht zur besseren Abstimmung mit CSU-Parteichef Markus Söder in Bayern und den Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, hält.

Als Schlüssel für den Erfolg oder Misserfolg von Friedrich Merz im Wahlkampf 2025 könnte sein, inwieweit es dem nicht mehr ganz jungen Parteichef gelingt, die so unterschiedlichen Politiker-Generationen der Vor- und Nach-Merkel-Ära zu verbinden und auszusöhnen. Ein Ansatz, der auch Kraft entfalten könnte, zur AfD abgewanderte Wähler einzufangen und zurückzuholen ins bürgerliche Lager. Auffällig ist schon, dass nach dem Tod Wolfgang Schäubles und Merkels Demission in ihre persönliche Geschichtsschreibung wieder altbekannte Gesichter auftauchen. Nicht nur Roland Koch als zentrale Figur (des wegen eines gemeinsamen Höhenflugs einstigen Hoffnungsträger der CDU) und sein als „Andenpakt“ bekannter Freundeskreis. Auch Altbundespräsident Christian Wulff und der langjährige EU-Kommissar Günther Oettinger aus dem Ländle gehören wieder dazu. Merz war zwar wohl nicht beim Flug in Südamerika dabei, fühlt sich dem Kreise der einst Jungen Wilden aber offenkundig eng verbunden. Schließlich sind sie nach und nach ja alle mal von Angela Merkel kaltgestellt worden.

„Roads not taken“ - wie die Jungen Wilden der CDU die Weichen zurückdrehen

Urplötzlich tauchen sie wieder (bei Wahlkampf-Veranstaltungen oder den Parteitagen der CDU) aus der Versenkung auf und erinnern uns mit ihrer Präsenz daran, dass es vor Merkels Demontage der Union auch bessere Zeiten und alternative Wegmarken gegeben hätte. Wie heißt es in der aktuellen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums doch so trefflich im Titel der Schau: „Roads not taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können.“

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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