Politik

Bundestagswahl: Kein Rettungsanker (und kein Land) für FDP in Sicht - hat Kapitän Lindner sich verpeilt?

Die Umfragen sind dramatisch schlecht für die Liberalen. Plötzlich geht wenige Monate vor den vorgezogenen Bundestagswahlen wieder die Angst um in der FDP. Nicht nur im Bundestag, vor allem in der Parteizentrale. Warum das Boot zu kentern droht? Ein maritimer Ausblick der Deutschen Wirtschaftsnachrichten.
29.11.2024 06:01
Lesezeit: 4 min
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Bundestagswahl: Kein Rettungsanker (und kein Land) für FDP in Sicht - hat Kapitän Lindner sich verpeilt?
Geht auch die FDP bald unter in der Ostsee? Filmszene an Bord der MS „Wilhelm Gustloff“: Kai Wiesinger (l.) als Kapitän Hellmut Kehding, Michael Mendl (Kapitän Johannsen), Karl Markovics (Korvettenkapitän Petri) und Detlev Buck (Hagen Koch). (Foto: dpa) Foto: Oliver Berg

Vielleicht hat sich FDP-Parteichef Christian Lindner bei den Entscheidungen für und gegen Koalitionen, Pro und Kontra von Regierungsbeteiligungen zu sehr auf sein Bauchgefühl verlassen. Ein guter Skipper hat immer seinen Kompass in der Tasche, selbst wenn er glaubt, das Steuer fest in der Hand zu haben und besser auf Sicht zu fahren. Wer glaubt, sein Orientierungssinn sei untrüglich, droht Schiffbruch zu erleiden.

Dieser kurze Ausflug in die Schifffahrt und Nautik muss erlaubt sein. Nicht so sehr wegen der trefflichen Metaphern vom Kentern und den trügerischen Seitenwinden, den Crosswinds der Politik, sondern damit selbst das irrlichternde Lotsenschiff in der Kieler Förde versteht, wie ernst es um die Liberalen bestellt ist. Die Entscheidung, die Ampel-Koalition zu verlassen, und auf kräftigen Rückenwind von der Unternehmerschaft (vor allem in der Kernwählerschaft unter den Selbstständigen) zu hoffen beim Weg zurück in den Bundestag, war womöglich ein strategischer Irrtum von Captain Christian. Selbst der Obermaat der FDP im hohen Norden, Wolfgang Kubicki, sollte einsehen, dass man beim Walfang nicht nur Harpunen braucht.

Ruder gebrochen: Wann Fraktionschef Christian Dürr im Bundestag SOS funkt

Die anfänglichen Rückmeldungen von der Parteibasis finden keinerlei Entsprechung in den Umfragen - und schon gar nicht in der Wahrnehmung und Perzeption der Wähler. Während Friedrich Merz mit ruhiger Hand weit vor Kanzler Olaf Scholz segelt (und der seinen knallroten SPD-Spinnaker im Bootshaus vergessen hat), ist die FDP in schwere See geraten. Die ersten Regatta-Beobachter befürchten bereits, dass aus der FDP-Fraktion Christian Dürrs bald SOS gefunkt wird.

Selbst der quicke Alleinsegler Robert Habeck von den Grünen hat auf seiner neu gebauten Yacht die dümpelnde Jolle der Wirtschaftsliberalen bereits überholt und hinter sich gelassen. Vom Turn durch die Ostsee zurück, hat Habeck den Nord-Ostsee-Kanal bereits unbeschadet passiert und versucht sich jetzt als einsamer Kanzlerkandidat und Eroberer der Weltmeere (wie Boris Herrmann beim diesjährigen Segel-Rennen der Vendée Globe) auf hoher See.

Spaß beiseite! Fabula rasa (sic!), Schluss mit dem Seemannsgarn. Die Umfragewerte für die FDP dümpeln bei drei bis vier Prozent. Und es stellt sich zunehmend die Frage, mit welcher Heldengeschichte die FDP jemals wieder zurückkehren soll, wenn sie wie von 2013 bis 2017 tatsächlich am 23. Februar 2025 abgestraft wird - und aus dem Bundestag ausscheidet.

Die Nerven liegen allmählich blank, nicht nur auf den parlamentarischen Hinterbänken. Der Wahlkampf der FDP in den Fußgängerzonen von Bonn, Bremen, Böblingen und Berlin droht eisig zu werden. Die Erzählung vom geplanten und gezielten Schiffbruch der Ampel hat sich in den Köpfen der Wähler festgesetzt - unbeirrt davon, was Lindner am 6. November im FDP-Logbuch notiert hat.

FDP-Besatzung in Sorge - nicht mal der Bordgeistliche scheint noch Hoffnung zu haben

Sogar aus dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus an der Berliner Reinhardtstraße schwappt miese Stimmung hinaus ins Regierungsviertel. Die Besatzung - vom FDP-Steuermann bis zum Bootsjungen und dem Bordgeistlichen - sorgen sich langsam um ihre Jobs. Von den Hoffnungsträgern der alten FDP sind ja auch nicht mehr viele an Bord - der kämpferische Guido Westerwelle nicht mehr dabei, selbst Wolfgang Gerhardt, von 1995 bis 2001 FDP-Bundesvorsitzender, ist unlängst verstorben.

Nach einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Forsa hätten die meisten Deutschen kein Problem damit, wenn die FDP nicht mehr im Parlament vertreten wäre: 65 Prozent hätten „kein Bedauern“, nur 32 Prozent fänden dies immerhin noch „schade“. Bei Infratest liegt die FDP aktuell bei vier Prozent, bei der Forschungsgruppe Wahlen sind es drei Prozent.

Ob die FDP mit einer mittlerweile schon traditionellen Zweitstimmen-Kampagne wieder vor den Wind kommt, ist der letzte Hoffnungsschimmer. Forsa hat auf Grundlage der Zahlen bei der Wahl von 2021, wo die FDP wenigstens noch auf der Landesliste 5,3 Millionen Kreuzchen erhalten hat und damit 11,5 Prozent der Stimmen. Angeblich gebe es da draußen im Wähler-Meer noch gut 2,5 Millionen Seelen, die sich zwar abgewendet hätten von der FDP, aber wenigstens noch mit sich und ihrer Stimme hadern.

Christian Lindner, der diese Woche die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung besucht hat, um auf dem Zukunftsforum über das „schönste Amt der Welt“ zu sprechen - Finanzminister, Kanzler oder doch gleich Papst? Er kommt gar nicht mehr in die Verlegenheit, mit dem Fernglas das rettende Ufer, geschweige denn neue Ziele am Horizont anzupeilen. Alle wollen immer nur sein Kapitänspatent sehen, ob er wirklich Backbord von Steuerbord zu unterscheiden vermag.

Wer sich immer wieder aus dem Maschinenraum meldet, ohne die schwere See im Blick

Und dann meldet sich immer wieder der eigensinnige Kubicki aus dem Maschinenraum des Dampfers. Er sagt: „Es dauert einige Zeit, bis bei den Menschen durchgreifend angekommen ist, dass die Ampel nicht mehr existiert.“ Und vor allem glaubt er: „Ich stelle weiterhin in meinem persönlichen Umfeld fest, dass die meisten Menschen sehr erleichtert sind, dass dieses Gewürge ein Ende gefunden hat.“ So mancher Passagier ist derweil froh, rechtzeitig von Bord gegangen zu sein. Wie der Unternehmer und langjährige Ex-FDP-Schatzmeister Harald Christ. Der droht jetzt sogar öffentlich mit Parteiaustritt: „Ich bin sehr nachdenklich geworden“, gesteht Christ. Nicht nur er hätte sich wohl gewünscht, „dass man diese Regierungszeit verantwortungsvoll zu Ende bringt“.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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