Es war bereits eine Zäsur für BMW, als Vorstandschef Norbert Reithofer 2015 in den Aufsichtsrat der Bayerischen Motorenwerke wechseln musste. Niemand ahnte freilich, dass es damit nicht leichter geworden ist, den Paradigmenwechsel im Automobilbau zu bewältigen. Die deutschen Autobauer gehen seit Jahren durch ein Tal der Tränen. Auch BMW hat einen heftigen Dämpfer im dritten Quartal einstecken müssen. Die Folge: Auch bei BMW wird gespart und Weihnachtsgeld gestrichen. Anders als in Wolfsburg und den anderen VW-Standorten wird bei BMW sicher keine Revolution ausbrechen und auch kein vom Betriebsrat angezettelter Straßenkampf stattfinden. Das China-Geschäft jedoch ist auch bei BMW im Keller.
BMW-Aktie: Als BMW in Los Angeles den i3 vorstellte und zu den Frontrunnern am E-Auto-Markt zählte
Für BMW ist die Delle bei den E-Autos allerdings insofern noch verkraftbar, weil die stockende Nachfrage wohl tatsächlich der generellen Konjunkturschwäche und Verunsicherung bei den Kunden geschuldet ist – und kein grundsätzliches Problem entlarvt. Bei der Technik war BMW stets vorneweg. So hatte BMW schon Ende November 2012 auf der LA-Autoshow sein Elektroauto i3 mit 170-PS-Antrieb vorgestellt, als die Konkurrenz noch immer von seligen und nie endenden Diesel-Zeiten träumte. Die BMW-Aktie legte in den Tagen und Wochen nach der i3-Vorstellung kräftig zu von annähernd 67 Euro auf über 75 Euro Ende Januar 2013 – ein Kursplus von mehr als 11 Prozent in nur wenigen Wochen.
Nicht nur die technischen Innovationen kamen bei BMW stets etwas schneller. Auch die Einsicht, wenn Personalveränderungen nötig werden. Jetzt auch im Aufsichtsrat: Norbert Reithofer zieht sich nach 25 Jahren (in Vorstand und Board) im Mai 2025 auf der nächsten Hauptversammlung zurück. Eine neue Ära beginnt – ein Lichtblick, wenn sich im Kreise der Eigentümer offensichtlich die Anspruchs- und Erwartungshaltung verändert und man an der Spitze beispielgebend vorangeht.
Die Neuaufstellung für die nächste Dekade hat begonnen. Die Position von Vorstandschef Oliver Zipse gilt zwar als unangefochten – sein Vertrag wurde jüngst verlängert und läuft bis August 2026. Doch als neuen Chef für künftige Personalentscheidungen haben sich die Hauptaktionäre Stefan Quandt und Susanne Klatten (beide zusammen mit 47 Prozent der Shares) mit den Arbeitnehmervertretern um Betriebsratschef Martin Kimmich auf Dr. Nicolas Peter verständigt – ein weiteres Mal ein Aufstieg aus den eigenen Reihen. Eine entsprechende Empfehlung will der Aufsichtsrat auf einer Sitzung in der kommenden Woche aussprechen, heißt es.
Der Wechsel wurde quasi schon von langer Hand vorbereitet, als der ehemalige Finanzvorstand vorübergehend in die BMW-Stiftung wechselte. An der Börse nennt man dies die Cooling-off-Phase, damit der Chef nicht gleich die Treppe hoch fällt. So wie es einst bei Norbert Reithofer war, mit entsprechenden Repercussions (Rückkopplungen) im Konzern und bei Aktionärsvertretern.
Jefferies-Analysten: Positiv für die BMW-Aktie
Die Analysten goutieren, dass in München mit ruhiger Hand die Weichen neu gestellt werden. Die Mehrheit der Analysten schwenkt bei der BMW-Aktie derzeit von „Hold“ auf „Buy“ oder sogar „Strong buy“ um, wohlwissend, dass BMW mit 44 Milliarden Euro Marktwert so sehr unterbewertet ist, dass die Eigentümer es als bedrohlich ansehen werden. Schließlich haben Quandt und Klatten dem 62-jährigen Juristen Peter die klare Devise vorgegeben, die „Unabhängigkeit des Unternehmens“ zu sichern. 155 Milliarden Umsatz macht BMW mittlerweile weltweit - ein Global Player zum Schnäppchenpreis, sollten sich schon bald die aktuellen Zweifel an der Börse verziehen und die Investoren der BMW-Aktie (die zu 50 Prozent an der Börse gestreuten) Shares einsammeln. Vor allem dann, wenn es BMW gelingt, das US-Geschäft auch in der zweiten Amtszeit Donald Trumps aufrecht zu halten. Immerhin hat BMW ja auch schon lange vor Trump in den Südstaaten investiert (siehe DWN-Bericht vom September 2024).
Bezeichnend für die aktuelle Situation im Autosektor ist, dass nur wenige Tage nach der Schweizer Großbank UBS nun auch das Analysehaus Jefferies mit einem Favoritenwechsel von Mercedes-Benz zu BMW um die Ecke kommt. Als Grund für den Wechsel zur BMW-Aktie erwähnte der Jefferies-Analyst Philippe Houchois ein besseres Risikoprofil in Bezug auf Wachstum, Zollaussichten und CO2-Konformität. Außerdem hätten die Ausgaben bei den Münchnern in diesem Jahr einen Höhepunkt erreicht, während Mercedes-Benz sich dagegen erst neu positionieren und Geld in die Hand nehmen müsse. Das Kursziel für die BMW-Aktie hebt Houchois von 80 auf 85 Euro an, bei Mercedes Benz streicht er in seiner am Nikolaustag vorliegenden Neubewertung derweil die Kaufempfehlung.
Einen Favoritenwechsel hatte es am 3. Dezember von Patrick Hummel von der UBS gegeben. Er hatte dabei den verbesserten freien Mittelzufluss und die besonders attraktiven Renditeaussichten als Gründe genannt.
Wo der neue Aufsichtsratschef Donald Trumps eigenwilligen Verhandlungsstil selbst erlebt hat
Peter ist auch in dieser Hinsicht eine gute Wahl. Das BMW-Eigengewächs war bereits im Dezember 2019 dabei, als Trump die deutschen Hersteller zu einem Autogipfel ins Weiße Haus geladen hatte. Neben VW-Chef Herbert Diess und Daimler-CEO Dieter Zetsche war für BMW tatsächlich Finanzvorstand Nicolas Peter (seit 2017) statt des erkrankten BMW-Vorstands Harald Krüger in Washington vor Ort. Wenn das mal kein Zeichen ist! Immerhin hatte Peter so schon einmal genug Vorlauf, sich für das Thema mit den Strafzöllen eine Strategie zu überlegen.
Im Gegensatz zu den täglichen Meldungen von möglichen Werksschließungen bei VW, Opel oder Ford hält BMW an seinem Wachstumskurs fest. Mancherlei Investitionen, wie etwa beim Ausbau des Forschungs- und Entwicklungszentrums, werden zwar gestreckt. An den Plänen für eine neue Fertigung für Elektroautos im ungarischen Debrecen hat BMW freilich festgehalten. Dass derlei Fabriken in Zukunft nicht mehr in Deutschland (bzw. Bayern) entstehen, mag zwar die Belegschaft wurmen, entspricht aber wohl den neuen Realitäten am Wirtschaftsstandort Deutschland – zu wenig flexibel, zu teuer, zu hohe Energiepreise.
Wo BMW immer noch technologisch in der Weltspitze mitspielt – etwa beim Radnaben-Antrieb
Aber immer noch innovativ und mit frischen Ideen ausgestattet. So hat sich BMW der Entwicklung einer neuen Antriebstechnik verschrieben und sich an einem vielversprechenden Start-up beteiligt – der Firma DeepDrive, die einen neuartigen Radnabenmotor entwickelt hat. Der ist angeblich nicht nur besonders Energie-effizient, sondern auch günstiger bei den Produktionskosten, heißt es. Die Ingenieure von BMW sind dermaßen begeistert, dass sie mit Hochdruck an einer Serienreife arbeiten. Wobei die Technologie nicht allein BMW zur Verfügung steht, sondern auch der Zulieferer Continental mit von der Partie ist und bereits weitere Hersteller Interesse angemeldet haben.
BMW hat das Potenzial nur wieder einmal früher erkannt als die Konkurrenz. „Die Zusammenarbeit mit BMW war für uns ein ganz frühes Sprungbrett“, lobt Felix Pörnbacher, einer der Gründer von DeepDrive in München. „Das hat uns geholfen, uns in der komplexen Konzernwelt zurechtzufinden und die hohen Standards der Automobilindustrie zu erfüllen und zu übertreffen.“ Er verweist auf Studien, wonach sich durch den an der Randnabe angebrachten Doppel-Rotor -Motor die Drehmoment-Dichte bei niedrigerem Verbrauch erhöhen und bis 150 Kilo weniger Gewicht spürbar reduzieren lässt.
DeepDrive ist eines von mehreren Ideenschmieden, die aus der von BMW gestarteten Start-up-Garage hervorgegangen sind. 2015 wurde die am Standort München für Joint-Ventures begründet, um den frühen Zugang zu bahnbrechenden Neuerungen zu sichern. Im April 2024 wurde DeepDrive für seinen bahnbrechenden Antrieb mit dem deutschen Innovationspreis geehrt. Im Vorstandsbüro von BMW hat man ordentlich mit gefeiert. Bei guter Automobil-Technologie kommt es scheinbar doch nicht allein auf das Unterhaltungsprogramm im Display an.