Panorama

Wer ist Spitzenkandidat? ARD und ZDF verheddern sich im Bundestags-Wahlkampf

Am liebsten wäre den Chefredakteuren von ARD und ZDF natürlich ein Showdown Merz versus Scholz. Doch wir sind in Deutschland, nicht in den USA. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat mehr zu beachten als nur die Einschaltquoten. Die Grünen sind sauer, die AfD möchte sich sogar ins Programm einklagen. Der zunehmend eskalierende Streit zwischen Programmauftrag und Parteienwerbung droht das Weihnachtsfest zu überschatten.
18.12.2024 14:30
Lesezeit: 4 min
Wer ist Spitzenkandidat? ARD und ZDF verheddern sich im Bundestags-Wahlkampf
Showdown wie in Amerika: Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) bei "Bild-TV" anno 2021 - für ARD und ZDF sollten 2025 andere Maßstäbe gelten. (Foto: dpa) Foto: Michael Kappeler

Das passt dem Kanzler in spe so gar nicht: Robert Habeck von den Grünen sieht sich auf Augenhöhe mit Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU), wenn es um die Bundestagswahl geht. An den Katzentisch möchte er nicht, schon gar nicht, wenn er da zusammen mit Alice Weidel von der AfD sitzen soll.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk setzt sich Vorwurf der Parteilichkeit aus

Nicht nur die Tatsache, dass der Wahlkampf nach dem plötzlichen Ampel-Aus kurz und heftig wird, stellt sich zunehmend als ärgerliches Problem dar. Die ehrenamtlichen Wahlhelfer sind jedenfalls alles andere als begeistert, bei Schmuddelwetter in den Fußgängerzonen zu stehen und sich anmotzen zu lassen – vom Wahlvolk. Als weiteres Ärgernis droht nun obendrein noch, dass womöglich die ausgewogene Berichterstattung in den Medien in Gefahr gerät. Diese Woche ist aus heiterem Himmel ein wuchtiger Streit um Sendezeit und TV-Formate entbrannt, bei dem sich ausgerechnet der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Parteilichkeit und Widersprüchen zu verheddern droht. Vor allem die Grünen machen Front und stellen die Sender öffentlich bloß. Was ist da nur los?

Die Idee der Programmdirektion lag auf der Hand: Friedrich Merz und Olaf Scholz sollen sich am 9. Februar 2025 zu bester Sendezeit ordentlich beharken, bis die Fetzen fliegen. Das schafft Quote, Unterhaltungswert – und bringt die Wähler vielleicht n Scharen an die Urne. Doch warum wollen ARD und ZDF nur die beiden „Spitzenkandidaten“ einladen? Was ist etwa mit dem „schönen Robert“? Soll der nur am Küchentisch zu Wort kommen? Und Alice Weidel von der AfD? Darf man die so einfach ausladen, weil schon ihre Präsenz für Ärger und Disruption zu sorgen droht? Jedenfalls sollten Habeck gegen Weidel unter ferner liefen antreten – quasi als Übertragung der zweiten Bundesliga.

Doch Robert Habeck will partout nicht an einem solchen TV-Duell teilnehmen. „Wir hatten ein solches Duell im Vorfeld klar ausgeschlossen und auch mitgeteilt, dass wir eine Einladung nicht akzeptieren werden“, sagte Habecks Wahlkampfsprecher. Für Ärger sorgt insbesondere, dass ARD und ZDF dennoch ihre Einladung ausgesprochen hätten und dann per Pressemitteilung in der Öffentlichkeit Fakten geschaffen haben. „Warum das zwei Monate vor der Wahl verkündet werden musste, ist unverständlich. Damit greifen ARD und ZDF in einen extrem kurzen, intensiven und vor allem offenen Wahlkampf ein“, so die nicht unberechtigte Kritik der Grünen.

Pocht gerne mal auf den Rechtsstaat: AfD kündigt juristische Schritte gegen ARD und ZDF an

Auch AfD-Chefin Weidel möchte das alles so nicht akzeptieren. „Dass die AfD als Partei mit den aktuell zweitbesten Umfragewerten wieder in Ameisen-Runden verschwinden soll, werden wir juristisch prüfen“, sagte ein AfD-Sprecher. Die rechtspopulistische Partei beklagt, dass die AfD wie schon bei der Wahl anno 2021 ausgeschlossen werden soll. Damals hatten ARD und ZDF anstelle eines Duells eine Dreierrunde – ein „Triell“, mit den damaligen Spitzenkandidaten Olaf Scholz, Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne) gesendet. „Nun hat man neue Maßstäbe angelegt, wonach der aktuelle Kanzler gegen den vermeintlich aussichtsreichsten Herausforderer antreten darf“, kritisierte Weidels Sprecher. „Die Grünen sind dabei nun der klare Kollateralschaden und bleiben wie die AfD auf der Strecke.“

Und was machen derweil die Privaten wie RTL und n-tv? RTL hat gleichfalls nur Scholz und Merz am 16. Februar zu einem Schlagabtausch eingeladen und will nach eigenen Angaben mit den Spitzenkandidaten der anderen Parteien über weitere Duell-Kombinationen sprechen, wie es heißt. Die anderen Sendern sind vorerst noch mit dem Weihnachtsprogramm beschäftigt und schauen erst einmal fasziniert zu, wie ARD und ZDF (und deren Ableger wie Phoenix und die „dritten Programme“) sich aus der Affäre ziehen. „Welt TV“ zum Beispiel muss sich ja nicht an die Maßstäbe des Gebühren-finanzierten Rundfunks halten.

Dass das letzte Wort in der Causa noch nicht gesprochen ist, dürfte klar sein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich anders aufstellen und gemäß Grundgesetz um den Programmauftrag bemühen – und den auch möglichst objektiv erfüllen. Dass das den leitenden Redakteuren in gewissen Redaktionen nicht schmeckt, wird nicht so stehenbleiben. Nach dem Bekanntwerden der Pläne für die TV-Duelle (ohne Habeck) äußerten sich zahlreiche Grünen-Politiker empört. „ARD und ZDF greifen mit dem Duell Scholz/Merz in einen offenen Wahlkampf ein“, kritisierte Grünen-Chefin Franziska Brantner. „Wer die Realität der Regierungsoptionen abbilden will, kann kein Duell aufsetzen“, fügte sie hinzu.

Grünen versuchen sich gerade in einem Shitstorm gegen ARD und ZDF

Fraktions-Geschäftsführerin Irene Mihalic polterte: „Das ist unter vielen Gesichtspunkten sehr fragwürdig und inakzeptabel.“ ARD und ZDF würden in einem offenen Wahlkampf politische Fakten schaffen, „die an der Realität vollkommen vorbeigehen“. Fraktionschefin Katharina Dröge warnte: „Sagt mal, ARD und ZDF, ist das wirklich ernst gemeint? Nur SPD und CDU einzuladen? Mit freundlicher Unterstützung zurück zur GroKo? Oder was für ein Land soll das abbilden?“ Und die Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann schrieb: „In einem extrem kurzen Wahlkampf auf diese Art Setzungen vornehmen zu wollen, ist inakzeptabel.“

Der Wahlkampfsprecher Habecks indessen rief ARD und ZDF dazu auf, ihre Pläne noch einmal zu überdenken und klingt dabei geradezu gemäßigt. Er versucht es auf die charmante „Habeck-Tour“, wenn er darauf hinweist: Die Umfragewerte für Habeck seien so gut, dass niemand voraussagen könne, wie das Ergebnis am Wahltag aussehen werde. „Zur Erinnerung: Zum gleichen Zeitpunkt vor der Wahl 2021 lag die SPD in den Umfragen weit zurück – und dennoch planten ARD und ZDF von Anfang an ein Triell.“

Und die Rechtslage? Wie weit geht die Rundfunkfreiheit?

Immer wieder kommt es vor, dass es juristischen Krach um TV-Auftritte vor Wahlen gibt. Grundsätzlich gilt die verfassungsrechtlich verbriefte Rundfunkfreiheit in Deutschland. Das heißt: Sender dürfen selbst darüber entscheiden, welches Programm sie senden und können selbst Senderkonzepte erstellen. Es darf keinen politischen Einfluss auf das Programm geben.

Andererseits kommt es immer wieder zu Klagen vor Gericht, weil es um das Thema Chancengleichheit von Parteien geht. Dies gilt es letztlich abzuwägen. Ein Beispiel: Die FDP in Brandenburg scheiterte im Herbst mit dem Versuch, sich in eine TV-Runde des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) vor der Landtagswahl mit Spitzenkandidaten einzuklagen. Ein Verwaltungsgericht entschied, dass der Sender nicht dazu verpflichtet sei. Der RBB hatte nur Kandidaten zugelassen, deren Partei entweder bereits im Landtag vertreten ist oder nach Umfragen die Fünf-Prozent-Hürde nehmen würde.

Merz über TV-Duelle: Geht keiner Diskussion aus dem Weg

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zeigt sich bei der Diskussion über die Zusammensetzung der TV-Duelle offen für Fernsehauftritte mit anderen Kandidaten. „Ich gehe keiner Diskussion um den notwendigen Politikwechsel in Deutschland aus dem Weg, auch nicht mit weiteren `Kanzlerkandidaten´anderer Parteien“, sagte der CDU-Vorsitzende der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Es liegt an den TV-Sendern zu entscheiden, wen sie einladen“, ergänzte Merz. „Die Wählerinnen und Wähler in Deutschland haben einen Anspruch darauf zu erfahren, wo die Unterschiede liegen."

Lindner und Wagenknecht bieten sich schon mal als Habeck-Ersatz an

Inzwischen gibt es schon Spitzenpolitiker anderer Parteien, die Habecks TV-Duell-Platz gerne übernehmen würden. FDP-Chef Christian Lindner postete: „Wenn der Platz also frei ist, nehme ich ihn gerne. Man darf den Ideenwettbewerb mit der AfD nicht scheuen, wenn man deren Wähler zurückgewinnen will.“ Auch Sahra Wagenknecht (BSW) würde wohl den Habeck-Platz nehmen: „Falls die Sender Bedarf haben, ich habe überhaupt kein Problem, mit Frau Weidel zu diskutieren. Ich habe das schon einmal gemacht, ich mache es auch gerne bei ARD und ZDF.“

Es geht doch nichts über einen spannenden Thriller – gleich nach der Tagesschau. Wer Opfer ist, scheint einigermaßen klar. Man darf gespannt sein, wer von den Verdächtigen diesmal ein überzeugendes Alibi vorzuweisen hat.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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