Politik

So wollen die Schweiz und die EU enger zusammenarbeiten

Die Schweiz ist nicht in der EU, aber es gibt etliche Abkommen. Doch die sind teils veraltet. Das soll sich nun ändern. Was bedeutet das für Pendler und Studenten? Die wichtigsten Antworten.
21.12.2024 13:15
Aktualisiert: 22.12.2024 18:04
Lesezeit: 3 min
So wollen die Schweiz und die EU enger zusammenarbeiten
EU-Schweiz-Kooperation: Neue Einigung stärkt Beziehungen und Marktintegration. (Foto: dpa) Foto: Benjamin Manser

Die Grundsatzeinigung auf eine engere Kooperation zwischen der Europäischen Union und der Schweiz gilt als Meilenstein in den teils dornigen Beziehungen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem "Kraftpaket für die Zukunft". Die Schweiz ist auf allen Seiten umgeben von EU-Staaten, möchte aber nicht beitreten. Was man zum EU-Schweiz-Verhältnis wissen muss:

Warum ist die Schweiz nicht EU-Mitglied?

Die wählerstärkste Partei, die rechte SVP, kämpft gegen jede Annäherung. Sie spricht bei dem neuen Verhandlungspaket von einem "Unterwerfungsvertrag". Sie macht Stimmung gegen Ausländer und fürchtet um den Wohlstand des Landes. Die SVP war auch treibende Kraft hinter dem Volksvotum 1992 gegen einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), der mit 50,3 Prozent abgelehnt wurde. Die SVP bekam bei der Wahl 2023 knapp 28 Prozent der Stimmen.

Was will sie dann von der EU?

"Für die Schweiz ist ein maßgeschneiderter Zugang zum EU-Binnenmarkt wichtig", so das Außenministerium. Und Michael Grabher, Geschäftsführer des Pharmaunternehmens Swiss Can, sagt: "Wohlstand können wir nur durch das Ausland erreichen, weil wir sonst einfach zu klein sind." Die Schweiz hat schon weitgehend Zugang zum Binnenmarkt, das neue Verhandlungspaket soll die älteren Abkommen aber modernisieren.

Die Schweiz zahlt der EU dafür aber keine Beiträge?

Nein, aber sie kann natürlich auch nicht mitbestimmen. Bislang hat sie im Jahr etwa 140 Millionen Euro zur Stärkung strukturschwacher Regionen in den östlichen EU-Mitgliedsländern gegeben, freiwillig, wie betont wird. Das soll nun steigen, auf verbindliche 375 Millionen Euro pro Jahr.

Die Personenfreizügigkeit gilt aber doch schon wie unter EU-Ländern?

Ja, im Gegenzug für den Zugang zum Binnenmarkt können EU-Bürgerinnen und Bürger unter bestimmten Auflagen in der Schweiz arbeiten und umgekehrt. Neu verpflichtet sich die Schweiz, mit wenigen Ausnahmen, auch künftiges EU-Recht dazu zu übernehmen. Eine bestehende Ausnahmeregel wird präzisiert: Die Freizügigkeit kann bei schweren wirtschaftlichen Problemen im gegenseitigen Einvernehmen beschränkt werden. Für Zweifelsfälle gibt es ein Schiedsgericht.

Die Schweiz gehört auch zum EU-Schengenraum ohne systematische Grenzkontrollen. Dies und viele andere Kooperationen sind in fünf Binnenmarkt- und rund 20 weiteren bilateralen Verträgen verankert.

Gibt es mit dem neuen Verhandlungspaket weitere Kooperationen?

Ja, zum Beispiel können europäische Studenten künftig zu gleichen Konditionen an Schweizer Unis studieren wie Einheimische. Die Schweiz wird in den europäischen Strommarkt integriert, es gibt neue Kooperation beim Gesundheitsschutz und der Weltraumforschung. Auch, wenn das Paket noch lange nicht in Kraft ist, können Schweizer Forscherinnen und Forscher schon ab 1. Januar 2025 wieder an EU-Programmen teilnehmen.

Zudem werden die teils 25 Jahre alten Abkommen aktualisiert, etwa mit der dynamischen Rechtsübernahme: Das heißt, EU-Änderungen werden künftig umgehend auch in der Schweiz umgesetzt.

Was haben die EU und Deutschland von der Kooperation mit der Schweiz?

Die EU will den Zugang der EU-Bürger zum lukrativen Schweizer Arbeitsmarkt sichern. Die Löhne sind dort deutlich höher. Ein Vergleichsdienst für Grenzgänger nennt als durchschnittliches Haushaltseinkommen in der Schweiz gut 10.000 Euro im Monat, in Deutschland nur die Hälfte. Allerdings sind die Lebenshaltungskosten in der Schweiz auch deutlich höher und es gibt zum Beispiel keine Arbeitgeberbeiträge zur Krankenkasse. Allein aus Baden-Württemberg arbeiten rund 60.000 Pendlerinnen und Pendler in der Schweiz.

Die Schweiz ist nach den USA, China und Großbritannien der viertgrößte Handelspartner der EU. Unternehmen in der Pharma-, Tech- und vielen Zulieferbranchen sind schon jetzt grenzüberschreitend verflochten – je enger die Bindung, desto weniger Bürokratie.

Was hat die Schweiz von der Kooperation mit der EU?

Neben dem Zugang zum Binnenmarkt kann sie zum Beispiel am CO2-Emissionshandel der EU teilnehmen, kann Asylbewerber unter Umständen in EU-Länder zurückschicken und profitiert von Polizeizusammenarbeit. Zudem will sie an Forschungsprogrammen und dem europäischen Strommarkt teilnehmen. Der Handel mit der EU macht 59,2 Prozent ihres gesamten Warenhandelsvolumens aus, allein Deutschland schlägt mit 19,8 Prozent zu Buche, vor den USA und China.

Steht die EU-Schweiz-Kooperation dann ab 2025 auf neuen Füßen?

Weit gefehlt. Jetzt geht es erst einmal an das Kleingedruckte. Im Frühjahr könnte etwas Unterschriftsreifes vorliegen, dann käme das Parlament in Bern zum Zuge. Dort wird die SVP alles so lange hinauszögern, wie es geht. Im Anschluss will sie eine Volksabstimmung. Ob das vor den Wahlen 2027 passiert, ist ungewiss. Erst nach einer Annahme durch das Volk könnte das Paket in Kraft treten. Auf der EU-Seite muss der Ministerrat zustimmen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Immobilien
Immobilien Baugenehmigungen steigen wieder: Eigenheime besonders gefragt
19.12.2025

Nach langer Flaute werden in Deutschland wieder deutlich mehr Wohnungen genehmigt. Vor allem bei Einfamilienhäusern zieht die Nachfrage...

DWN
Technologie
Technologie Lothar Schupet: Warum ich nach 23 Jahren BMW für ein chinesisches Startup verlassen habe
19.12.2025

Ein deutscher Topmanager verlässt nach 23 Jahren einen der mächtigsten Autokonzerne Europas und geht ausgerechnet zu einem chinesischen...

DWN
Finanzen
Finanzen USA Börsen: Überraschend deutlicher Rückgang der US-Inflation beflügelt die Aktienmärkte
18.12.2025

Die im letzten Monat überraschend stark abgekühlten US-Inflationsdaten befeuerten die Hoffnung, dass im Jahr 2026 weitere Zinssenkungen...

DWN
Politik
Politik Feuer und Tränengas: Tausende Bauern protestieren in Brüssel gegen Mercosur
18.12.2025

Feuer, Tränengas und Traktoren: Tausende Landwirte bringen Brüssels Europaviertel zum Chaos. Sie protestieren gegen das geplante...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlandfonds startet: Wie der Staat 130 Milliarden Euro private Investitionen lostreten will
18.12.2025

Deutschland braucht Wachstum, aber der Staat allein kann es nicht finanzieren. Die Bundesregierung setzt deshalb auf einen neuen Hebel: den...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB-Zinsentscheidung: Leitzinsen der Eurozone bleiben erneut unverändert
18.12.2025

Die EZB-Zinsentscheidung ist gefallen: Wie erwartet lassen die Währungshüter der Europäischen Zentralbank den Leitzins für die Eurozone...

DWN
Immobilien
Immobilien Unser neues Magazin ist da: Urbane Zukunft – von Smart-Cities bis hin zu futuristischen Utopien
18.12.2025

Städte entscheiden, wie Freiheit, Wohlstand und Klimaschutz in der nahen Zukunft zusammengehen. Zwischen Sensoren, Sanierungswellen und...

DWN
Technologie
Technologie SMR in Schweden: Blykalla sichert fast 48 Mio Euro für KI-Energie
18.12.2025

Blykalla sammelt fast 48 Millionen Euro für kleine modulare Reaktoren (SMR) ein. Investoren aus Schweden, den USA und Japan setzen auf...