Man könnte flapsig sagen, dass es etwas "im Busch" war, bei der Siemens AG. Tatsächlich ist Firmenlenker Roland Busch jetzt in die Vollen gegangen, um das altehrwürdige Flaggschiff der Deutschland-AG (mit Sitz in München und Berlin) vom in die Jahre gekommenen Elektro-Konzern wie (General Electric in den USA) zum Golbal-Player für KI- und Tech-Anwendungen umzubauen und für die Zukunft fit zu machen. Vergangene Woche wurde der Erwerb von Altair Engineering an der Börse bekanntgegeben - für 113 Dollar je Aktie wurde die Produktdesign- und Entwicklungsgesellschaft aus Michigan/USA mit klarem Fokus auf CAE und Grid Computing übernommen. Dies bedeutet einen tiefen Griff ins Portemonnaie, die mit zehn Milliarden US-Dollar zu beziffern ist, allerdings nach Angaben von Finanzvorstand Ralf Thomas bar bezahlt wird.
Siemens investiert damit eine stattliche Summe, um den Traditionskonzern neu aufzustellen und zu verwandeln. In Zukunft wird es weniger um Hardware und Maschinen im Unternehmen gehen, die Geschäfte werden sich verstärkt um Software, Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge drehen. Altair in Detroit bietet Industrie-Software für Unternehmen etwa in der Luftfahrt-, Automobil- und Energiebranche sowie im Bereich Finanzdienstleistungen an. Die Nachfrage hiernach dürfte den Erwartungen zufolge im Gleichklang mit der zunehmenden Verbreitung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Alltag steigen. Das könnte helfen auf dem Weg ins industrielle Metaversum.
Gemischtwarenläden werden an der Börse mit kräftigen Abschlägen bestraft
Busch plant schon länger den großen Umbau von Siemens. Nach Geschmack von Finanzexperten ist er dabei bisher viel zu zaghaft vorgegangen. Es gibt noch keine wirklich neue Story über Siemens zu erzählen. Mitunter konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Konzern sich in seiner Historie verheddert hat und nicht wirklich gut loslassen kann. Das könnte sich jetzt sukzessive ändern. Statt weiter als Gemischtwarenladen mitzuspielen (im Wettbewerb vor allem mit ABB in der Schweiz und der französischen Schneider Electric), könnte sich das deutsche Vorzeigen-Unternehmen allmählich als zukunftsträchtiger Tech-Konzern nach Vorbild des Silicon Valley entpuppen. Die Folge wäre vermutlich ein Kursfeuerwerk an der Börse, wo die Papiere der Siemens AG derzeit mit rund 180 Euro zwar erfreulich dastehen, aber in keinster Weise den wahren intrinsischen Wert und die weltwirtschaftlichen Aussichten des Unternehmens widerspiegeln. Darüber besteht ziemliches Einvernehmen unter Analysten.
Für Siemens bedeutet der Erwerb von Altair Engineering den bislang größten Zukauf. Für den Öl- und Gasausrüster Dresser-Rand hatte der Konzern 2015 einmal 7,6 Milliarden Dollar inklusive Schulden gezahlt. Die Tochter Siemens Healthineers musste mit dem Krebsspezialisten Varian für 16,4 Milliarden Dollar eine der größeren Akquisition im Konzern-Verbund stemmen. Doch in der Geschichte von Siemens ist der Konzern eigentlich eher dafür bekannt gewesen, die neuen Geschäftsfelder selbst abzustecken, ingenieurtechnische Lösungen und Produkte zu entwickeln und dann auch selbst in der Praxis umzusetzen. Nach diesem Credo wird etwa gerade in Ägypten für Staatschef Abdel Fatah al-Sisi das komplette Eisenbahnnetz entweder gleich neu gebaut oder ertüchtigt. Ein Auftrag für über acht Milliarden Euro, mit dem Siemens selbst an der Vormachtstellung Chinas beim Eisenbahnbau kratzt.
Lange Jahre galt das Unternehmen als Bank mit angeschlossener Elektroabteilung, was die Potenz und Stabilität verdeutlichen sollte, zuletzt aber eher auf Unbeweglichkeit hindeutete. Die Fantasie, dass in München die Zukunft neu gedacht werden könnte, blieb ein wohlfeiler Traum, der in der knallharten Finanzwelt der Hedge-Fonds kein große Resonanz mehr fand. Erheblichen Schaden aber immer wieder Meldungen über Staatsaufträge verursacht, die maßgeblich durch Korruption zustande kamen.
Analysten horchen auf: Akquisition von Altair Engineering erscheint schlüssig und zielführend
Es dauerte, bis die Ingenieure und biederen Kaufleute im Vorstand von Siemens, sich personell wie strategisch öffneten und international neu organisierten. Plötzlich bewegt sich was und die Analysten werden hellhörig. Der Altair-Kauf ist teuer, aber er sei es wert, schreibt etwa Nicholas Green von Bernstein Research. Simon Toennessen vom Investmenthaus Jefferies wertet den Deal als "aus industrieller Sicht sehr sinnvoll". Er würde das Angebot des Technologiekonzerns im wachsenden Simulationsmarkt stärken, der durch zunehmende Kenntnisse in den Bereichen KI und Hochleistungsrechnern angetrieben werde. Toennessen zeigt sich sogar überrascht vom hohen Synergie-Potenzial. RBC-Experte Mark Fielding betont, die Übernahme liege in den bilanziellen Möglichkeiten des Konzerns. Die Siemens-Aktie verlor zunächst anfänglich ein Prozent, konnte das Minus jedoch aufholen und den Trend drehen.
"Die Akquisition von Altair ist ein bedeutender Meilenstein für Siemens. Diese strategische Investition steht im Einklang mit unserem Engagement, die digitale und nachhaltige Transformation unserer Kunden durch die Verbindung der realen und digitalen Welt zu beschleunigen", begründet Siemens-Chef Busch den Zukauf. So entstünde durch die Übernahme "das weltweit umfassendste KI-gestützte Design- und Simulationsportfolio". Die Münchener Traditionalisten konzentrieren sich plötzlich (nach dem Börsengang von Siemens Healthineers und der Abspaltung von Siemens Energy) zunehmend auf Digitalisierungs-Geschäfte. Dafür trennt man sich nun offensiv von Randbereichen. Dieses Jahr hatte Siemens bereits Innomotics für 3,5 Milliarden Euro verkauft. Jetzt kündigte der Vorstand gleich am Folgetag der Altair-Übernahme den Verkauf der Flughafenlogistik an.
Siemens Logistics mit Hauptsitz in Nürnberg gehört nun zum japanischen Toyota-Konzern
Das Geschäft mit Flughafen-Gepäcksortieranlagen geht für für 300 Millionen Euro an den japanischen Toyota-Konzern. Siemens Logistics mit 2.500 Mitarbeitern und Hauptsitz in Nürnberg hat nach Angaben der Siemens-Zentrale München eine führende Position am Markt und sei profitabel. Doch beabsichtige der Konzern sein "Portfolio als führendes Technologieunternehmen" schärfen, wie es in einer Mitteilung hieß. Vollzogen werden soll der Verkauf im nächsten Jahr. Der Münchner Dax-Konzern hat bereits im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte einen großen Teil seiner einstigen Industrieproduktion - von Computertechnik über Telefontechnik bis zu Kraftwerksturbinen - in separate börsennotierte Gesellschaften ausgegliedert oder ganz verkauft. Nun also die Trennung von Siemens Logistics, was keine Überraschung ist.
Siemens Logistics unterhält Standorte in 25 Ländern. Am Hauptsitz in Nürnberg arbeiten noch gut 150 Mitarbeiter. Die größte Niederlassung ist freilich in Dubai mit 500 Beschäftigten. Die Gesellschaft machte zuletzt einen Jahresumsatz von 550 Millionen Euro. Zu den Kunden zählen laut Mitteilung namhafte Flughäfen und Fluggesellschaften. Käufer ist die Toyota-Tochter Vanderlande, ein Hersteller von Automatisierungstechnik für Lager, Flughäfen und Paketdienste. Siemens Logistics war als sogenannte Portfolio-Gesellschaft seit längerem für den Verkauf vorgesehen. Zu diesen Firmen gehörte auch der Elektromotorenhersteller Innomotics, der bereits im Mai abgestoßen wurde.
Konzern-Umbau: Was in München und Berlin noch alles zum Verkauf steht
Es ist unterdessen längst kein Geheimnis mehr, dass Siemens sich absehbar auch von weiteren Aktienpaketen und Beteiligungen trennen wird, um liquide für weitere Okkasionen am Technologie zu sein. Neben bestehenden Mitteln, etwa aus dem Innomotics-Verkauf (u.a. das alte Dynamowerk im Berliner Ortsteil Siemensstadt) verfügt Siemens über erhebliches Potenzial durch den Verkauf von Anteilen an börsennotierten Unternehmen, sagt Finanzvorstand Thomas mit Verweis auf Siemens Healthineers und Siemens Energy. Bislang ist der Mutterkonzern noch mit mehr als 75 Prozent an den Healthineers beteiligt. Der Medizintechnikkonzern wird an der Börse aktuell mit mit 54 Milliarden Euro bewertet. Doch derlei Beteiligungen werden von Anlegern bekanntlich überhaupt nicht goutiert - in den Akten von Siemens selbst spiegelt sich dies leider nicht wider. Streamlining wäre dass Gebot der Stunde - und das scheint jetzt endlich in die Tat umgesetzt zu werden. Auch wenn Finanzvorstand Thomas zunächst einmal mit einem Angebot von fünf Prozenten einsteigen will. Entschieden sei über die Altair-Finanzierung indessen noch nicht. Sollte es zu Anteilsverkäufen kommen, werde dies kursschonend durchgeführt, sagt Thomas. Die Transaktion soll in der zweiten Hälfte 2025 abgeschlossen werden.
Nicht beeinträchtigt durch den Zukauf werde die Ausschüttungsfähigkeit von Siemens an die Aktionäre, wir betont. Der Konzern erhofft sich durch die Übernahme zudem signifikante Umsatz- und Kosten-Synergien. Sie soll den Umsatz im digitalen Geschäft von Siemens um acht Prozent steigern und den im Geschäftsjahr 2023 berichteten Umsatz in dem Bereich um ungefähr 600 Millionen Euro erhöhen. Langfristig verspricht sich Siemens einen positiven Umsatzeffekt von mehr als einer Milliarde Dollar jährlich. Im zweiten Jahr nach dem Abschluss erwartet Siemens durch Kostensynergien einen positiven Effekt auf das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von mehr als 150 Millionen Dollar pro Jahr. Die Digital-Sparte gehört zu den großen Wachstumstreibern von Siemens. Obendrein ist es ein margenstarkes Geschäft. Zuletzt geriet nur Fabrik baueder Bereich Fabrikautomation wegen der anhaltenden Konjunkturschwäche unter Druck.
Siemens Mobility: Wie ICE und Zugtechnik als Renditebremsen wirken
Roland Busch möchte Siemens ins neue Zeitalter der Digitalisierung führen und dabei technologisch eigene Zeichen setzen. Ein Schlüssel für diesen Anspruch könnte der digitale Zwilling sein, den Siemens als ureigenes Produkt zu vermarkten versucht. Gut möglich , dass dies angesichts der bestehenden Siemens-Kontakte und des seit langem weltweit aufgestellten Konzerns auch glückt. Busch misst sich vom Anspruch her an Firmen wie Amazon, Microsoft oder Alphabet (Google) messen. Was auf ersten Blick abgehoben scheint, ist angesichts des breiten Knowhows im Konzern allerdings wenigstens jetzt mal eine kühne Vision, die es zu realisieren gilt. Wenn es gelingt, könnte Siemens vor dem wichtigsten Kapitel seiner inzwischen über 175-jährigen Unternehmensgeschichte stehen. Gut möglich, dass es noch viel mehr Siemens-Abspaltungen geben wird, die zwar den Namen Siemens tragen, aber in Wirklichkeit nur noch eine Reminiszenz sind, die die einstige Größe des in Berlin von Werner Siemens gegründeten Konzerns in den Annalen begründen
Viele erwarten oder hoffen sogar , dass schon bald mit Siemens Mobility selbst die Zugtechnik zum Verkauf steht, ein lange Zeit einträgliches Geschäft, das inzwischen aber eher dem guten Ruf abträglich ist und (mit aller Kraft eines ICE) als Renditebremse in der Siemens-Bilanz wirkt.