Organisierte Kriminalität - BGH lässt Chats als Beweise zu
Zur Aufklärung schwerer Straftaten dürfen Ermittler in Deutschland Daten von Kryptohandys des Anbieters "Anom" verwenden, die das FBI gezielt an Kriminelle verkauft hat. Die US-Polizeibehörde hatte Codes, um verschlüsselte Chat-Nachrichten mitzulesen. Höchstrichterlich hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe nun in einem Fall aus Tübingen entschieden, dass die von den USA übermittelten Daten als Beweismittel genutzt werden dürfen, wenn sie der Aufklärung schwerer Straftaten dienen. Diese Frage war lange Zeit unklar.
Schwerste Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität
Im März 2021 startete das Bundeskriminalamt (BKA) im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main – Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität – Ermittlungen zu diesem Thema. Laut früheren Angaben geht es um Daten von rund 2.700 Nutzern mit Deutschlandbezug und um schwerste Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität.
Bis Ende September 2024 hatte das BKA mehr als 1.400 Nutzer identifiziert und knapp 830 Ermittlungsverfahren eingeleitet. 378 Haftbefehle wurden vollstreckt, 279 Urteile gesprochen. In der Bilanz nach mehreren Durchsuchungen stehen unter anderem mehrere Tausend Kilogramm Cannabis und synthetische Drogen sowie 96 sichergestellte Schusswaffen und fast 4.000 Stück Munition.
Staat will geheim bleiben
Bislang war es mangels höchstrichterlicher Rechtsprechung umstritten, ob die "Anom"-Daten als Beweise verwertet werden dürfen, wie es in einem Beitrag der "Kriminalpolitischen Zeitschrift" heißt. Im Vergleich mit den sogenannten "EncroChat"-Fällen sei "AnomChat" nicht gleichzusetzen. Aufgrund zahlreicher rechtlicher Fragestellungen und der Art der Datenerhebung tendierte die Rechtsprechung bei den letztgenannten Fällen dazu, ein sogenanntes Beweisverwertungsverbot anzunehmen.
Hintergrund ist unter anderem, dass ein Server, an den beim Versand einer Chatnachricht eine Kopie gesendet wurde, seit Sommer 2019 in einem EU-Mitgliedstaat stand, dessen Identität das FBI auf dessen Bitte nicht preisgab. Warum dieser Staat um Geheimhaltung bat, ist nach BGH-Angaben unbekannt. Das Aus- und Weiterleiten der Daten war laut Gerichtsbeschluss bis zum 7. Juni 2021 begrenzt.
Das BKA hatte über eine internetbasierte Auswerteplattform Zugang zu den entschlüsselten Daten mit Deutschlandbezug erhalten. Auf ein Rechtshilfeersuchen der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft hatte das US-Justizministerium dem Verwerten der Daten zugestimmt.
"Designed by criminals for criminals"
Nach Ansicht des 1. Strafsenats des BGH wiegt es in der Abwägung nicht so schwer, dass einige Informationen geheim sind und selbst die deutsche Justiz vieles nur vom Hörensagen weiß (Az.: 1 StR 54/24).
Ob ein Beweisverwertungsverbot besteht, sei ausschließlich nach deutschem Recht zu beantworten. Ausländische Ermittlungsmaßnahmen müssten nicht nach dem jeweiligen Recht überprüft werden. "Es ist auch nicht entscheidend, ob die deutschen Ermittlungsbehörden in gleicher Weise hätten vorgehen dürfen."
Die Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis wurden als begrenzt betrachtet. Der BGH stellte klar, dass die Maßnahmen sich ausschließlich gegen Personen richteten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für die Beteiligung an Straftaten der organisierten Kriminalität, insbesondere im Bereich des Betäubungsmittel- und Waffenhandels, vorlagen.
Bereits der Vertriebsweg habe sich ausschließlich an kriminelle Kreise gerichtet. Der BGH zitierte den Slogan "designed by criminals for criminals" (auf Deutsch: von Kriminellen für Kriminelle entwickelt). Dies und die hohen Kosten deuteten darauf hin, dass der Nutzer das Gerät zur Planung und Begehung schwerer Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität verwendete.
Versteckt in Taschenrechnerfunktion
Im konkreten Fall muss das Landgericht Tübingen jedoch noch einmal verhandeln. Dabei geht es nicht um die Frage der Datenverwertung. Hintergrund ist unter anderem, dass das neue Cannabisgesetz inzwischen in Kraft getreten ist.
Im Oktober 2023 hatte das Landgericht den Angeklagten wegen 35 Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt und angeordnet, dass mehr als eine halbe Million Euro an Taterlösen eingezogen werde. Die "Anom"-App war in der Taschenrechnerfunktion seines Mobiltelefons versteckt gewesen.