Finanzen

Bürokratieentlastungsgesetz IV: Bürokratieabbau oder Gefahr für Steuerhinterziehung?

Das Bürokratieentlastungsgesetz IV soll Unternehmen jährlich um fast eine Milliarde Euro entlasten. Doch könnte es gleichzeitig Steuerhinterziehern in die Hände spielen? Experten schlagen Alarm.
18.01.2025 11:07
Lesezeit: 3 min
Bürokratieentlastungsgesetz IV: Bürokratieabbau oder Gefahr für Steuerhinterziehung?
Kleine Unternehmen kämpfen mit wachsender Bürokratie: Das Bürokratieentlastungsgesetz soll Entlastung bringen, doch der Nutzen bleibt fraglich. (Foto: iStock.com/DesignRage) Foto: DesignRage

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) warnt: „Die Bürokratie würgt uns ab!“ Vor allem kleine und mittlere Unternehmen ächzen unter der Last stetig wachsender Bürokratie – mehr Papierkram, weniger Zeit für die eigentliche Arbeit. Eine Umfrage des ZDH unter 10.630 handwerklichen Betrieben zeigt: Über die Hälfte (58-Prozent) der Betriebe empfindet die Selbständigkeit wegen der Bürokratie als immer unattraktiver - ein alarmierendes Zeichen!

Heino Fischer, Tischler aus Kiel, fasst es so zusammen: „Es kann doch nicht sein, dass die Politik Jahr für Jahr Erfolge beim Bürokratieabbau verkündet und ich das Gefühl habe, dass die Belastung für meine Mitarbeiter und mich immer größer wird.“

Bürokratieentlastungsgesetz IV – Entlastung oder Tropfen auf den heißen Stein?

Nun soll endlich Abhilfe kommen. Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz IV will die Bundesregierung den bürokratischen Aufwand erheblich minimieren und den Unternehmen mehr Freiräume schaffen. Das Gesetz ist in Kraft und Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann verspricht eine Ersparnis von fast einer Milliarde Euro für die deutsche Wirtschaft. Doch bringen die neuen Vorschriften tatsächlich die erhoffte Entlastung?

Inhalt und Nutzen des Gesetzes für Unternehmen

Das Gesetz umfasst 62 Artikel und betrifft Bereiche von Steuerrecht über Arbeitsrecht bis hin zum Umweltrecht. Die wichtigsten Änderungen für Unternehmen sind:

  • Verkürzte Aufbewahrungsfristen: Die Fristen für die Aufbewahrung von Buchungsbelegen werden von zehn auf acht Jahre reduziert, was zu Einsparungen bei Lagerkosten und der elektronischen Speicherung führt. Dies soll die Wirtschaft jährlich um rund 626 Millionen Euro entlasten. Auch nationale und europäische Meldepflichten werden vereinfacht.

  • Zentrale Vollmachtsdatenbank für Steuerberater: Eine zentrale Datenbank für Vollmachten erleichtert den Prozess für rund 1,9 Millionen Arbeitgeber und spart Zeit und Aufwand.

  • Streichung der Hotelmeldepflicht für deutsche Staatsangehörige: Diese Maßnahme spart jährlich etwa 62 Millionen Euro und reduziert den Zeitaufwand der Bürger um drei Millionen Stunden.

  • Erleichterung bei digitalen Rechtsgeschäften: Schriftformerfordernisse werden auf Textformerfordernisse herabgesetzt, sodass E-Mails oder SMS als rechtsgültig anerkannt werden, was die Digitalisierung vorantreibt. Arbeitgeber können künftig die wesentlichen Arbeitsvertragsbedingungen per E-Mail mitteilen, was eine vereinfachte, digitale Kommunikation ermöglicht.

  • Digitale Steuerbescheide: Steuerbescheide sollen künftig digital zugestellt werden, was den Papierverbrauch drastisch reduziert.

Mehr Schein als Sein: Kleine Entlastung – große Herausforderungen bleiben

Doch wie viel Entlastung bringen diese Änderungen wirklich? Der Ökonom Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bezeichnet das Gesetz als „kleinen Schritt“ und die Einsparungen als „Tropfen auf den heißen Stein“.

Auch SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi übt Kritik: Die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen um zwei Jahre bringt einem Unternehmen nur etwa 24 Euro Einsparung pro Jahr – eine kaum spürbare Entlastung. Schon jetzt würden in vielen Unternehmen Buchungsbelege zudem nur noch digital archiviert, so Schrodi.

Markus Lüke, Geschäftsführer von Dirostahl in Remscheid, sieht die wahren Herausforderungen nicht im Bürokratieabbau, sondern in neuen gesetzlichen Anforderungen wie der Nachhaltigkeitsberichterstattung nach ESG-Kriterien oder der IT-Sicherheitsverordnung der EU: „Es rollt eine Welle neuer Gesetze auf uns zu“, warnt Lüke, „die alle mehr Arbeit machen würden“.

Ein Geschenk an Kriminelle: Offene Türen für Steuerhinterziehung?

Ein weiteres Problem des Gesetzes sind die potenziellen Auswirkungen auf die Steuererhebung. Die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen auf acht Jahre erschwert eine Prüfung von Steuerunterlagen im neunten und zehnten Jahr. Michael Schrodi warnt: „Die Aufbewahrungspflicht hatte einen klaren Zweck, nämlich Steuerbetrügereien zu verhindern. Die Verkürzung erschwert die Aufdeckung von Steuerhinterziehungen.“

Auch Anne Brorhilker, ehemalige Chefermittlerin im Fall Cum-Ex und heute bei der NGO „Finanzwende“, sieht erhebliche Risiken: Fehlen diese Dokumente, verschwinden auch die Steuermilliarden, die möglicherweise hinter den Betrügereien stecken. Florian Köbler, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, kritisiert, dass das Gesetz Straftätern Tür und Tor öffnet und die Mittel des Rechtsstaats aufs Spiel setzt.

Fazit: Bürokratieabbau auf dünnem Eis

Dies zeigt: Insgesamt bietet das Bürokratieentlastungsgesetz zwar kleine Entlastungen für Betriebe, - wie bei der Reduzierung von Papierbergen und Lagerkosten - doch die tatsächliche Wirkung ist begrenzt. Insbesondere die Auswirkungen auf die Steuererhebung und die potenziellen Risiken für Steuerhinterziehung werfen ernste Fragen auf. Durch die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen könnte es schwieriger werden, Steuerhinterziehung rechtzeitig aufzudecken. Das Finanzministerium rechnet bereits mit Steuerausfällen von rund 200 Millionen Euro jährlich.

Es bleibt abzuwarten, wie gut Bürokratieabbau und Steuerprävention miteinander vereinbar sind. Wirtschaftsminister Robert Habeck gibt sich optimistisch: „Das Entbürokratisierungsgesetz ist eine Frage, welches Land wir sein wollen. Ein Land von Misstrauen oder ein Land von Vertrauen und unternehmerischer Verantwortung?“ Hoffen wir, dass er mit dieser Einschätzung richtig liegt.

 

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs: Zinssignale aus Japan belasten Stimmung am Kryptomarkt – wie es weitergeht
07.12.2025

Der Bitcoin-Kurs steht erneut im Mittelpunkt der Marktdebatten, da globale Zinssignale und eine wachsende Verunsicherung unter Anlegern die...

DWN
Technologie
Technologie Social Media im Umbruch: KI verdrängt persönliche Beiträge immer mehr
07.12.2025

Die sozialen Netzwerke verändern sich rasant, während persönliche Beiträge seltener werden und KI-Inhalte die Feeds bestimmen. Welche...

DWN
Finanzen
Finanzen Nvidia-Aktie: Weshalb selbst starke Zahlen ein strukturelles Problem nicht lösen
07.12.2025

Die Nvidia-Aktie glänzt mit beeindruckenden Ergebnissen, doch Anleger übersehen oft ein zentrales Risiko. Die enorme Größe des Konzerns...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Mautkosten in Europa steigen: Wie sich Speditionen jetzt Wettbewerbsvorteile sichern
07.12.2025

Trotz wachsender Belastungen im europäischen Transportsektor zeigt sich immer deutlicher, dass Mautgebühren weit mehr sind als ein...

DWN
Panorama
Panorama Weihnachten mit kleinerem Budget: Viele Menschen müssen bei Weihnachtsgeschenken sparen
07.12.2025

Weihnachten rückt näher, doch viele Haushalte kalkulieren strenger als je zuvor. Eine neue Umfrage zeigt, wie stark Preissteigerungen die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft OpenAI-Bilanz: Deloitte prüft Milliardenpläne und Michael Burry entfacht Debatte
07.12.2025

OpenAIs rasanter Aufstieg und die enormen Investitionspläne des Unternehmens rücken die Transparenz der OpenAI-Bilanz in den Mittelpunkt....

DWN
Politik
Politik Elektromobilitätssteuer Großbritannien: Wie London die E-Auto-Revolution abbremst
07.12.2025

Großbritannien setzt mit einer kilometerbasierten Abgabe ein hartes Signal an alle E-Autofahrer und stellt die finanzielle Logik der...

DWN
Politik
Politik Russlands Desinformationskampagnen: Wie Europa gegen Putins Trolle kämpft
06.12.2025

Europe wird zunehmend Ziel digitaler Einflussoperationen, die gesellschaftliche Stabilität, politische Prozesse und wirtschaftliche...