In einer Zeit, in der Wirtschaft und Gesellschaft durch künstliche Intelligenz neu gestaltet werden, gilt es für Führungskräfte aus der Wirtschaft zu klären, wie sie mit politischen Entscheidungsträgern zusammenarbeiten wollen, um die Entwicklung der Technologie zu steuern. In der Europäischen Union verpflichtet das kürzlich verabschiedete KI-Gesetz Unternehmen dazu, je nach den mit verschiedenen Anwendungsfällen verbundenen Risiken Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. So gilt der Einsatz von KI zur Bewertung sozialen Verhaltens, des so genannten „Social Scorings“, als „inakzeptabel“, während KI-gestützte E-Mail-Filter mit einem „minimalen Risiko“ verbunden sein sollen.
Der Erfolg dieses Ansatzes wird davon abhängen, ob Unternehmen technisches Fachwissen und praktische Erkenntnisse einbringen, um ein Gleichgewicht zwischen der Förderung von Innovationen und der Berücksichtigung gesellschaftlicher Belange zu schaffen. Überlässt man die Regulierung vollständig der Politik und einigen wenigen mächtigen Unternehmen, besteht die Gefahr, dass Regeln geschaffen werden, die nur den Interessen großer Technologieunternehmen dienen, während andere Branchenperspektiven außen vor bleiben.
Im Falle des KI-Gesetzes der EU hat die mangelnde Beteiligung der Unternehmen am Entwurfsprozess bereits dazu geführt, dass kritische Details der Umsetzung ungeklärt blieben. So könnte das Gesetz etwa dahingehend ausgelegt werden, dass damit herkömmliche statistische Verfahren wie die im Finanzsektor häufig eingesetzte lineare Regression reguliert werden. Dies würde zu einer unnötigen Belastung im Hinblick auf die Einhaltung von Vorschriften führen. Ebenso ist im Gesetz nicht eindeutig geregelt, welche Standardinstrumente der Arzneimittelentwicklung in dessen Geltungsbereich fallen. Eine derartige Unsicherheit könnte die Entwicklung verlangsamen und die Kosten in einer bereits stark regulierten Branche noch weiter in die Höhe treiben.
Probleme dieser Art ließen sich vermeiden, wenn sich die CEOs dieser Branchen stärker einbringen. Obwohl der Text des KI-Gesetzes fertiggestellt ist, harren Fragen der Auslegung, Umsetzung und Durchsetzung noch in ihrer endgültigen Klärung. Die genaue Liste der KI-Systeme mit hohem Risiko – die wichtigste Kategorie für Branchen vom Gesundheitswesen bis zum Bankwesen – dürfte sich im Laufe der Zeit auf der Grundlage von Rückmeldungen aus der Branche ändern.
Da in den USA und anderen Ländern sowie im Rahmen internationaler Kooperationen Regeln und Rahmenbedingungen formuliert werden, besteht für Führungskräfte in der Wirtschaft zudem die Notwendigkeit, ihren Blickwinkel zu erweitern. Sie könnten wertvolle Beiträge zu einer sich schnell entwickelnden komplexen, mehrere Rechtsordnungen umfassenden Regulierungslandschaft leisten.
Historisch gesehen war die Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor der Schlüssel zur Steuerung transformativer Technologien. Während der Covid-19-Pandemie sorgte diese Kooperation für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Innovation und Sicherheit im Hinblick auf die beschleunigte Entwicklung von Impfstoffen. In ähnlicher Weise führte die frühzeitige Abstimmung der Atomindustrie mit den Aufsichtsbehörden zu Bestimmungen für kleine modulare Reaktoren, die zu Kostensenkungen, einer Straffung der Genehmigungsverfahren und der Harmonisierung von Standards führten. Dadurch konnten Unternehmen in neue Märkte expandieren, Investitionen generieren und ihre Wettbewerbsposition verbessern – eine bemerkenswerte Abkehr von der traditionell schwerfälligen Regulierungslandschaft des Sektors.
In beiden Fällen profitierten die regulatorischen Rahmenbedingungen von Beiträgen aus der Praxis. Im Fall von KI verharren jedoch zu viele Unternehmen in der Zuschauerrolle, wodurch das Risiko schlecht konzipierter, fortschrittshemmender Regeln steigt. Dieses mangelnde Engagement der Wirtschaft ist nicht auf fehlende Möglichkeiten zurückzuführen. Nur 7 Prozent der Unternehmen, die zur Teilnahme am Entwurfsprozess der EU für ihren Verhaltenskodex für allgemeine KI eingeladen wurden, folgten dieser Einladung auch, weshalb NGOs und akademische Kreise die Diskussionen dominierten. In einer kürzlich durchgeführten BCG-Umfrage gaben 72 Prozent der Führungskräfte an, dass ihre Unternehmen nicht vollständig auf die KI-Regulierung vorbereitet sind.
Was sollten Sie also tun, wenn Sie CEO sind? Da es sich bei der KI-Regulierung und deren Umsetzung in erster Linie um sektorspezifische Prozesse handelt, sollten Sie sich zunächst mit Ihrer Branche abstimmen, damit alle an einem Strang ziehen. Das ist wohl der beste Ansatz, um sich neben den Technologiegiganten Gehör zu verschaffen, die mehr als 100 Millionen US-Dollar jährlich für Lobbyarbeit bei politischen Entscheidungsträgern in Brüssel ausgeben (allen voran Meta).
Bei der KI-Regulierung geht es jedoch nicht nur darum, Leitplanken zu errichten und Grenzen abzustecken. Neben dem Aufbau von Allianzen in der Branche und der Einigung auf gemeinsame KI-Standards gilt es für CEOs auch, einen Beitrag zu sämtlichen digitalen Bestimmungen zu leisten, die sich auf ihre Branchen auswirken könnten.
Im Rahmen ihrer umfassenderen digitalen Strategie hat die Europäische Kommission vier weitere wichtige Gesetze verabschiedet und das Konzept der „Datenräume“ eingeführt. Diese sollen einen sicheren Datenfluss innerhalb der EU und zwischen den Sektoren ermöglichen, wobei die Einhaltung der EU-Gesetze gewährleistet sein muss. Nun liegt es an der Branche, diese Kanäle (mit öffentlichen Mitteln) aufzubauen. CEOs, die ihre Unternehmensstrategien an diesem neuen System ausrichten, haben die besten Voraussetzungen, um von sektorspezifischen Möglichkeiten zu profitieren.
Darüber hinaus sollten Führungskräfte Beziehungen zu hochrangigen politischen Entscheidungsträgern und anderen einflussreichen Interessengruppen in ihren jeweiligen Sektoren und auf allen Regierungsebenen aufbauen und pflegen. Dazu gehören der Europäische Datenschutzausschuss ebenso wie nationale KI-Regulierungsbehörden in Europa sowie Behörden wie die Federal Trade Commission und das Justizministerium in den Vereinigten Staaten. In jedem Fall gilt es, langfristig zu denken und stabile Beziehungen aufzubauen, die auf Fachwissen und Vertrauen basieren und nicht auf transaktionalem Austausch.
Um diese Bemühungen zu unterstützen, sollten CEOs auf ein spezialisiertes Team zurückgreifen können, das allein für die Zusammenarbeit mit Regulierungsbehörden zuständig ist. Es reicht nicht aus, Regulierungsvorschläge einfach abzulehnen. Entscheidend ist vielmehr, faire Kompromisse zu finden. Die Führungsetagen von Unternehmen sollten darauf vorbereitet sein, mit klaren, umsetzbaren Alternativen zu reagieren, die in der Sprache der politischen Entscheidungsträger und nicht im Fachjargon der Branche formuliert sind. Banken könnten beispielsweise vorschlagen, dass die Bewertung der Kreditwürdigkeit von der Hochrisikoklassifizierung im Rahmen des KI-Gesetzes ausgenommen wird, da diese Bewertungen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Innovation und Rechenschaftspflicht schaffen, Kosten senken und die Verfügbarkeit von Finanzmitteln für Verbraucher erhöhen könnten.
Die KI-Regulierung ist nicht nur eine reine Frage der Einhaltung von Vorschriften. Branchenführer verfügen auch über die Möglichkeit, Regeln zu gestalten, die sich direkt auf Innovation und Betriebsabläufe auswirken. Bleiben Unternehmen passiv, laufen sie Gefahr, dass sich Vorschriften ohne ihren Beitrag weiterentwickeln und Rahmenbedingungen entstehen, die von der betrieblichen Realität abgekoppelt sind. Wir wollen kein Umfeld, in dem Regulierungsbehörden auf Kosten des praktischen Fortschritts übermäßig auf theoretische Risiken reagieren.
So wie die industrielle Revolution neue Regeln für transformative Technologien erforderte, brauchen auch die Fortschritte in der KI entsprechende Rahmenbedingungen. Führungskräfte aus der Wirtschaft haben in ähnlichen Situationen schon immer wichtige Beiträge geleistet, und das ist auch dieses Mal erforderlich.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
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