Unternehmensporträt

Fisch ohne Fang: Wie das Startup Bluu Seafood Fischstäbchen neu denkt

Wie das Food-Biotech-Startup Bluu Seafood zellbasierten Fisch zu einer marktfähigen Alternative zu Fischstäbchen, Sashimi und Co. machen will.
14.02.2025 16:30
Lesezeit: 5 min
Fisch ohne Fang: Wie das Startup Bluu Seafood Fischstäbchen neu denkt
Zellen eines Atlantik Lachses werden aus einem Kryotank genommen (Bluu GmbH, Henrik Gergen).

Hamburg-Altona: Auf den ersten Blick könnte man meinen, hier würde noch immer Marzipan produziert. Doch hinter den roten Backsteinmauern der ehemaligen Marzipanfabrik im Westen von Hamburg forscht Bluu Seafood an der Zukunft unseres Fisch-Konsums. Statt Teig und Mandeln stehen Fischstäbchen und Sashimi auf dem Programm – nicht aus dem Meer, sondern aus Bioreaktoren, sogenannten Fermentern.

Dafür setzt das Food-Biotech-Startup mit Standorten in Berlin und Hamburg auf zellbasierten Fisch als nachhaltige und ethische Alternative zu wildgefangenem oder gezüchtetem Fisch. “Wir wollen Fisch produzieren, ohne dabei ein einziges Tier zu töten”, erklärt Cornelius Lahme, der bei Bluu Seafood die strategische Entwicklung verantwortet.

Das Unternehmen wurde 2020 von dem promovierten Meeresbiologen Sebastian Rakers und dem Start-up-Experten Simon Fabich ins Leben gerufen – als Ausgründung des Fraunhofer-Instituts in Lübeck. Lahme beschreibt die Gründungsphase als eine Mischung aus wissenschaftlicher Vision und unternehmerischem Mut: „Wir hatten die Technologie und erste vielversprechende Ergebnisse aus der Forschung. Es war klar, dass wir hier eine echte Chance haben, die Lebensmittelindustrie nachhaltig zu transformieren.“ Heute beschäftigt Bluu Seafood 33 Mitarbeiter aus zwölf Nationen.

“Wollen den Fischkonsum nachhaltig revolutionieren”

Überfischung, die Auswirkungen des Klimawandels und die weltweit steigende Nachfrage nach Fisch stellen die Branche vor Herausforderungen. Bluu Seafood will mit zellbasiertem Fisch eine skalierbare und nachhaltige Alternative zur Schonung von Umwelt und Ressourcen bei gleichzeitiger Vermeidung von Tierleid bieten. „Unsere Technologie soll den Fischkonsum revolutionieren, ohne Abstriche beim Geschmack oder Nährwert zu machen“, sagt Cornelius Lahme.

Lahme vermeidet bewusst den Begriff „Labor“ für die künftige Herstellung. „Wir sprechen von zellbasierter Produktion.“ Aktuell finde die Entwicklung zwar noch im Labor statt, doch mit zunehmender Skalierung werde sich das ändern. Der eigentliche Produktionsprozess findet in hochmodernen Bioreaktoren statt, die die natürlichen Wachstumsbedingungen im Fischkörper simulieren. Das Ergebnis sind Fischprodukte, die nicht nur geschmacklich überzeugen, sondern auch frei von Mikroplastik, Schwermetallen und Antibiotika sind. Ziel sei es, den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine qualitativ hochwertige und gleichzeitig nachhaltige Alternative zu bieten.

Die Marzipanfabrik: Hamburg als Innovationsstandort

Seit ihrer Revitalisierung im Jahr 2012 hat sich die Marzipanfabrik in Hamburg-Altona zu einem modernen Gewerbequartier für technologische Innovationen entwickelt. Bluu Seafood nutzt die historischen Backsteinmauern nicht nur als Produktionsstandort, sondern auch als strategische Basis für die Weiterentwicklung zellbasierter Fischprodukte.

„Die Marzipanfabrik bietet uns die notwendige Infrastruktur und eine ideale Nähe zu Partnern und Forschungsinstituten“, betont Cornelius Lahme. Besonders wichtig sei die Verbindung zu Unternehmen wie Carlsberg, Merck oder Frosta, die mit ihrer Expertise in der großtechnischen Fermentation eine entscheidende Rolle spielen.

„Wir werden in den nächsten Jahren enorm von den etablierten Prozessen der Brauereien profitieren, insbesondere bei der Zellkultivierung und der Feinabstimmung der Fermentationsparameter“, erklärt Lahme. Solche Partnerschaften seien in Zukunft wichtig, um die Produktionsprozesse zu skalieren und die Technologie für den Massenmarkt vorzubereiten.

Von der Zellisolation zur Marktreife

Der Weg von der ersten isolierten Zelle bis hin zu marktfähigen Produkten ist bei Bluu Seafood klar vorgegeben. Den Ausgangspunkt bildet die Zellisolierung, bei der Stammzellen aus Fischgewebe gewonnen werden. Aktuell arbeitet das Unternehmen mit Zellen von Regenbogenforellen und atlantischem Lachs. Einige dieser Zelllinien sind von Natur aus immortal – man muss sie allerdings gezielt identifizieren, erklärt Lahme. „Das bedeutet, sie teilen sich unendlich oft und bleiben dabei stabil.“ Diese Eigenschaft mache sie ideal für die Massenproduktion und eröffne deshalb neue Möglichkeiten für die industrielle Anwendung.

Nährmedium als Schlüssel für Zellwachstum

Ein zentraler Bestandteil des Prozesses ist das Nährmedium, das die Grundlage für das Zellwachstum bildet. Darin liegt auch eine der größten Herausforderungen für das Unternehmen in der kontinuierlichen Optimierung einer kostengünstigen und nachhaltigen Lösung. „Wir verzichten bereits vollständig auf tierische Bestandteile wie Fötales Kälberserum“, betont Lahme. „jetzt geht es darum, dass Zellwachstum weiter zu verbessern.“ Ein solches Medium müsse nicht nur die Zellteilung optimieren, sondern auch wirtschaftlich skalierbar sein, um zellbasierten Fisch langfristig günstiger zu machen.

Skalierung mit Fermentern

Die nächste Hürde stellt die Skalierung dar. In speziell entwickelten Bioreaktoren, die als „Fermenter“ bezeichnet werden, wachsen die Zellen zu größeren Zellhaufen heran. Aktuell arbeitet Bluu Seafood mit 500-Liter-Fermentern, strebt jedoch den Einsatz von Anlagen mit mehreren tausend Litern Kapazität an. „Eine der größten Herausforderungen ist es, die Zellen gleichmäßig zu versorgen – insbesondere bei hoher Zelldichte und schneller Teilung“, erklärt Lahme. „Im natürlichen Organismus übernehmen das die Blutgefäße, doch in der zellbasierten Produktion müssen wir alternative Lösungen finden.“

Fischstäbchen und Sashimi-Alternativen

Den Abschluss des Produktionsprozesses bildet die Produktentwicklung, bei der die Zellbiomasse in marktfähige Lebensmittel umgewandelt wird. Bluu Seafood konzentriert sich dabei zunächst auf Hybridprodukte wie Fischbällchen, Fischstäbchen oder Sashimi-Alternativen. „Wir kombinieren unsere tierische Zellbiomasse mit pflanzlichen Proteinen, um eine authentische Textur und den typischen Geschmack zu erzeugen“, sagt Lahme.

Warum Singapur eine zentrale Rolle spielt

Für Bluu Seafood wird 2025 ein entscheidendes Jahr: Der Stadtstaat Singapur könnte in der zweiten Jahreshälfte der erste Markt weltweit werden, in dem das Unternehmen seine Produkte verkaufen darf. Mit der Zulassung zellbasierter Lebensmittel will Bluu Seafood in einem globalen Vorreitermarkt Fuß fassen. „Singapur hat sich klare Ziele gesetzt: Bis 2030 sollen 30 Prozent der Lebensmittel lokal produziert werden“, erklärt Cornelius Lahme.

Neben Innovationen wie Vertical Farming fördert Singapur gezielt die Entwicklung zellbasierter Proteine, um die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten zu reduzieren. Die dortigen Behörden bieten nicht nur transparente Zulassungsverfahren, sondern auch eine enge Zusammenarbeit mit den Unternehmen, was die Markteinführung deutlich beschleunigt.

Lahme sieht Singapur nicht nur als strategischen Testmarkt, sondern auch als Vorbild für andere Länder. „Wir hoffen, noch in diesem Jahr die Zulassung zu erhalten und erste Produkte in ausgewählten Restaurants anbieten zu können.”

Die Rahmenbedingungen in Singapur stehen im deutlichen Gegensatz zu den bürokratischen Hürden in Europa und den USA. Während die USA ebenfalls Fortschritte machen und die FDA als vergleichsweise kooperativ gilt, haben Unternehmen in Europa mit besonders langwierigen und komplexen Zulassungsverfahren zu kämpfen.

„In Deutschland dauert es oft Jahre, bis Innovationen überhaupt auf den Markt kommen“, kritisiert Lahme. Zudem würden Doppelprüfungen auf nationaler und EU-Ebene den Prozess erschweren. Singapur bleibe damit vorerst das Tor zur kommerziellen Skalierung und ein entscheidender Schritt für die globale Expansion.

Eine Branche am Scheideweg

Die Vision von Bluu Seafood reicht weit über die Produktion hinaus. “Wir wollen mit großen Lebensmittelherstellern wie Iglo oder Frosta zusammenarbeiten, statt als direkter Wettbewerber aufzutreten”, erklärt Lahme. “Unser Ziel ist es, die Technologie bereitzustellen und beispielsweise als Ingredient-Lieferant anzutreten – ähnlich wie Intel mit seinen Prozessoren.”

Die großen Herausforderungen sind jedoch Skalierung und Kostenreduktion. “Die Technologie funktioniert bereits – jetzt geht es darum, sie bezahlbar und massentauglich zu machen”, so Lahme. Vergleichbar sei dies mit der Photovoltaik-Industrie, die in den letzten Jahrzehnten massive Kostensenkungen erlebte. "Wir stehen erst am Anfang, aber das Potenzial ist enorm."

Marktperspektiven und gesellschaftliche Akzeptanz

Die Nachfrage nach alternativen Proteinquellen steigt. Laut aktuellen Studien wird der globale Seafood-Markt bis 2035 auf eine Billion US-Dollar anwachsen. Lahme betont jedoch, dass zellbasierter Fisch kein Nischenprodukt bleiben soll: “Unser Ziel ist es, in den Massenmarkt vorzudringen, vor allem bei Convenience-Produkten wie Fischstäbchen oder Fischbällchen.”

Auch die gesellschaftliche Akzeptanz spielt eine wichtige Rolle. Lahme zeigt sich optimistisch: “Je jünger die Generation, desto größer die Offenheit für unsere Produkte. Viele wollen Fisch essen, aber ohne Tiere zu töten oder die Ökosysteme zu zerstören. Mit seiner Kombination aus wissenschaftlicher Exzellenz und marktorientierter Strategie könnte Bluu Seafood tatsächlich den ersten Schritt in eine nachhaltigere Zukunft der Fischerei machen. „Unser Ziel ist klar: Wir wollen die Lebensmittelindustrie nachhaltig verändern – zum Wohl von Mensch, Tier und Umwelt.“

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