In der mexikanischen Stadt Ciudad Juárez, direkt am Grenzfluss zwischen Mexiko und den USA, errichten Arbeiter in einem Aufnahmezentrum Etagenbetten für 2.500 Menschen. Auf dem staubigen Boden des Geländes stehen 13 große weiße Zelte, die für abgeschobene Migranten vorgesehen sind. Dahinter erhebt sich der rostbraune Grenzzaun, der Mexiko von den USA trennt.
Erhöhte Anspannung: Das ist die vorherrschende Stimmung auf der mexikanischen Seite, während die von US-Präsident Donald Trump angekündigten Abschiebungen erwartet werden. Ein massiver Einsatz von US-Soldaten oder großflächige Massenabschiebungen blieben bisher jedoch aus.
"Natürlich muss man vorbereitet sein", sagt Santiago González, Menschenrechtsbeauftragter der Stadtverwaltung von Ciudad Juárez. Die Ankündigungen Trumps nehme man durchaus ernst. Es bleibe jedoch abzuwarten, welche Maßnahmen tatsächlich umgesetzt würden.
Der "American Dream" verblasst
Der "American Dream" in weiter Ferne Ciudad Juárez ist bereits jetzt ein Ort gescheiterter Hoffnungen für Migranten. In der einst gefährlichsten Stadt der Welt stranden Menschen aus Ländern wie Venezuela, Kolumbien und Kuba - darunter auch Yorwin Colina.
Der 26-jährige Venezolaner überquerte zu Fuß den gefährlichen Darién-Dschungel zwischen Süd- und Mittelamerika. Vier Tage kämpfte er sich durch den Regenwald, sah Erwachsene und Kinder in Sümpfen und Flüssen ihr Leben verlieren. Schließlich erreichte er Mexiko, wo es ihm gelang, einen Termin mit der US-Grenzbehörde zu vereinbaren. Der "American Dream" rückte in greifbare Nähe.
Da in Mexiko Drogenkartelle oft Migranten entführen, um Lösegeld zu erpressen, wurden Colina und weitere Asylsuchende mit bestätigten Terminen von mexikanischen Behörden auf den letzten 600 Kilometern zur US-Grenze eskortiert. Doch als Colina in Ciudad Juárez ankam, wurden sämtliche Termine von der US-Regierung gestrichen - am 20. Januar, dem Tag der Vereidigung von Donald Trump. "Das hatte ich nicht erwartet", sagt Colina. "Alle meine Pläne wurden über den Haufen geworfen."
Gefährliche Route nach Norden
Gefährliche Reise gen Norden Die Vergabe von Terminen per App war eine Maßnahme der Vorgängerregierung unter Joe Biden, um Asylsuchende gezielt zu offiziellen Grenzübergängen wie Ciudad Juárez zu leiten und irreguläre Einreisen zu reduzieren. In den USA leben schätzungsweise elf Millionen Menschen, die ohne gültige Dokumente eingereist sind oder deren Visa abgelaufen sind. Drei Millionen von ihnen genießen vorübergehenden Schutz. Früher stellten Mexikaner die größte Gruppe der Migranten, doch mittlerweile kommen mehr Menschen aus Krisengebieten wie Venezuela und Ecuador über Mexiko in die USA.
Viele riskieren auf dem Weg nach Norden ihr Leben: Jährlich sterben Hunderte durch Wassermangel oder Hitze. Andere fallen kriminellen Banden zum Opfer.
Harte Gangart der neuen US-Regierung
Striktere Maßnahmen der neuen US-Regierung Trump betrachtet diese Migranten als Bedrohung. Er spricht von einer "Invasion" an der Südgrenze. Direkt nach seiner Vereidigung verschärfte er die Einreisebestimmungen drastisch. In diesem Zuge wurde auch die Terminvergabe per App, die Colina genutzt hatte, abgeschafft.
Diese Entscheidung hat gravierende Auswirkungen auf den Asylprozess: Viele der Betroffenen reisten ausschließlich wegen ihres Termins nach Ciudad Juárez und sind nun gestrandet – ohne Perspektive. Ohne App sind sie gezwungen, lange auszuharren, um persönlich vorzusprechen. Grenzbeamte dürften unter Trump jedoch strengere Vorgaben erhalten, möglichst viele Asylsuchende abzuweisen, insbesondere wenn sie keinen Termin haben.
Parallel dazu kündigte die US-Regierung einen verstärkten Grenzschutz an. Der Weiterbau der Mauer – ein zentrales Versprechen aus Trumps erster Amtszeit – soll beschleunigt werden. Zudem wurden 1.500 zusätzliche Soldaten entsandt, mit der Option auf weitere Verstärkung.
Trumps Maßnahmen live auf dem Handy
Trumps Maßnahmen live auf dem Smartphone Viele der angekündigten Maßnahmen stoßen auf rechtliche und logistische Herausforderungen: Die zuständigen US-Behörden müssen entsprechend instruiert, zusätzliche Ressourcen bereitgestellt und bürokratische Prozesse beschleunigt werden. Menschenrechtsorganisationen bereiten derweil juristischen Widerstand vor. Dennoch ist die Richtung klar.
Neben den erschwerten Einreisebedingungen setzt die US-Regierung verstärkt auf Abschreckung durch mediale Inszenierung. Täglich werden Berichte über die Festnahme von angeblich kriminellen Migranten veröffentlicht.
Viele Gestrandete verfolgen diese Meldungen auf ihren Mobiltelefonen. Die Vereidigung Trumps sei ein "düsterer Tag" gewesen, sagt Rosa María Parra, Mitarbeiterin der Herberge "Casa del Migrante". Menschen hätten geweint und sich gegenseitig getröstet. "Jetzt sehen sie auf ihren Handys, wie Leute abgeschoben werden."
Wirkt die Abschreckung?
Hat die Abschreckung Erfolg? Zwar sind die tatsächlichen Zahlen bislang niedriger als das von Trump im Wahlkampf angekündigte Abschiebeprogramm, doch die Symbolwirkung ist spürbar: Die angestrebte Abschreckung scheint bereits südlich der Grenze Wirkung zu zeigen. Weniger Menschen erreichen Ciudad Juárez – viele ziehen es vor, im Landesinneren zu bleiben und suchen Alternativen, etwa in Mexiko-Stadt.
Das gilt auch für den Venezolaner Colina. "Ich bin etwas niedergeschlagen, aber ich hoffe, dass es eine andere Zukunft für mich gibt", sagt er. "Wenn nicht in den Vereinigten Staaten, dann wünsche ich mir Stabilität in einem anderen Land."