Kevin Kühnert: Letzte Rede im Bundestag
Es ist die letzte Rede einer bemerkenswerten 20. Legislaturperiode im Deutschen Bundestag. Am Pult steht Kevin Kühnert, der zu Beginn der Kanzlerschaft von Olaf Scholz als größte Nachwuchshoffnung der SPD galt. Vier Monate lang war es still um ihn, nachdem er aus gesundheitlichen Gründen als SPD-Generalsekretär zurücktrat. Doch der 35-Jährige möchte dem Parlament noch etwas mit auf den Weg geben: "Schützen wir das, was uns wichtig ist, unsere Demokratie", appelliert er an die Abgeordneten. "Ich werde das künftig von außen tun. Bitte tun Sie es von hier drinnen."
Kühnert wird dem kommenden Bundestag nicht mehr angehören, er kandidiert nicht erneut und führt auch keinen Wahlkampf für seine Partei. Im Oktober musste er sich eingestehen: Es geht nicht mehr. "Die Energie, die mein Amt und ein Wahlkampf erfordern, brauche ich vorerst, um gesund zu werden", schrieb Kühnert damals. Wie es ihm aktuell geht, ist unklar. "Vernünftig", sagte sein persönlicher Freund und Parteichef Lars Klingbeil kürzlich. Sie hätten sich über die US-Wahlen unterhalten - "und da merkt man, er bleibt hochpolitisch".
Kühnert mahnt in Grundsatzrede zur Demokratie
Das wird auch am Rednerpult des Bundestags spürbar. Kühnert spricht zügig, seine Redezeit als letzter Redner ist knapp. Seine Worte hätten gut in die emotional geführte Debatte der vergangenen Wochen gepasst, als die Union es in Kauf nahm, bei Anträgen und einem Gesetzentwurf auf die Stimmen der AfD angewiesen zu sein.
Gut denkbar, dass genau dieser Vorfall Kühnert zu seinem letzten Auftritt bewogen hat. Er spricht von historischer Verantwortung und richtet eine Warnung an die Abgeordneten. Politik müsse das Volk hören, aber nicht nach dem Mund reden, sondern auch unbequeme Entscheidungen treffen. Kanzler wie Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl hätten für ihre Werte gestritten. "Viele von Ihnen glauben weiterhin daran, dass man Rechtsradikale ignorieren sollte", sagt der Berliner in Richtung der Abgeordneten. "Das nehme ich Ihnen ab - aber Sie geben den Kampf auf, und das kritisiere ich."
Ein emotionaler Abschied
Es ist der Schlusspunkt einer Debatte, die den Bundestag 12 Tage vor der Wahl tief gespalten hinterlässt. Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Hauptkonkurrent Friedrich Merz lieferten sich nochmals eine heftige Auseinandersetzung. Am Ende bleibt die Frage, wie beide Parteien in möglichen Koalitionsverhandlungen wieder einen respektvollen Umgang finden könnten.
Doch die fast vierstündige, letzte Bundestagssitzung vor der Wahl hatte auch bewegende Momente. Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) verabschiedete sich unter stehendem Applaus aller Fraktionen außer der AfD sichtlich gerührt von ihrem Platz im Präsidium. Die sächsische CDU-Abgeordnete hatte ihren Rückzug auch mit dem raueren gesellschaftlichen Klima begründet. Beleidigungen, Drohungen, Gleichgültigkeit - das alles habe ihr Kraft gekostet.
Musik statt Mandat
Auch weitere, teils langjährige Abgeordnete schlagen neue Wege ein. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) will nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2026 Ministerpräsident Winfried Kretschmann nachfolgen. Özdemir war 1994 erstmals in den Bundestag eingezogen und absolvierte nun seinen vorerst letzten Arbeitstag als Abgeordneter.
"Das ist ein eigenartiges Gefühl. Ich habe ja viel Zeit im Bundestag verbracht, erst in Bonn, dann hier in Berlin", sagte der 59-Jährige. Etwas wehmütig blickte der Grünen-Politiker auf eine verpasste Gelegenheit: "Nach der Rede von Kevin Kühnert dachte ich, eine Abschiedsrede wäre vielleicht doch angebracht gewesen", sagte er. Seine Parteikollegin Renate Künast will mit 69 Jahren jüngeren Politikern Platz machen.
Der dienstälteste Abgeordnete, Peter Ramsauer von der CSU, sagt nach 34 Jahren im Bundestag "Servus". Ihn zieht es zur Musik, verriet er der Deutschen Presse-Agentur. "Mein Klavierzimmer ist fertig, der Konzertflügel ist instand gesetzt. Jetzt steht den 32 Beethoven-Sonaten und der gesamten Chopin-Literatur nichts mehr im Wege."
Petra Pau von den Linken verlässt mit 61 Jahren nach 27 Jahren den Bundestag - bleibt aber politisch aktiv. Gegenüber der dpa kritisierte sie die Verrohung der Debattenkultur. "Das hat sich in den letzten sechs, sieben Jahren sowohl im Parlament als auch in der Gesellschaft verändert." Auch persönliche Anfeindungen, Diffamierungen und Aufrufe zu Konfrontationen hätten zugenommen. Auch Ramsauer sieht eine zunehmend aggressive Atmosphäre. "Was man sich alles gefallen lassen muss an Beleidigungen, an Drohungen, an Grenzüberschreitungen - da braucht man ein sehr dickes Fell."
Nächster Bundestag schrumpft
Weitere Abgeordnete können nur vermuten, dass dies womöglich ihre letzte Bundestagssitzung war. Das hängt auch mit der Verkleinerung des Parlaments zusammen. Die erste Sitzung des neuen Bundestags wird spätestens 30 Tage nach der Wahl stattfinden - dann mit weniger Abgeordneten. Das neue Wahlrecht begrenzt die Größe auf 630 Mandate - statt zuletzt 736.